VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 25.03.2015 - 10 B 1479/15 - asyl.net: M22933
https://www.asyl.net/rsdb/M22933
Leitsatz:

In der Ausgestaltung des Asylverfahrens in Italien liegen systemische Mängel im Sinne fehlender oder defizitärer Strukturen vor, die bei ungehindertem Geschehensablauf auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass nach Italien überstellte Flüchtlinge in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden oder sogar gar keine Unterkunft finden.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Italien, systemische Mängel, besonders schutzbedürftig, Tarakhel, männliche alleinstehende Asylsuchende, EGMR, alleinstehende Frauen, alleinstehend,
Normen: EMRK Art. 3, AsylVfG § 34a,
Auszüge:

[...]

Es steht jedoch nicht fest, dass die Abschiebung im Sinne von § 34a Abs. 1 AsylVfG durchgeführt werden kann. Denn nach Auffassung des Gerichts ist eine Überstellung nach Italien gegenwärtig unzulässig, weil es im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller dort systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich brächten, und die Antragsgegnerin die angefochtene Abschiebungsanordnung getroffen hat, ohne vorher eine - substantiierte - Erklärung der italienischen Behörden einzuholen, eine solche Behandlung der Antragstellerin wirksam auszuschließen.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21.12.2011 - Rs. C-411/10 u. a. -, Rn. 81 ff., juris) obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich ihrer nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass die Antragstellerin tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH - a.a.O. -, Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14.11.2013 - Rs, C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch der Neufassung von Art, 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung zugrunde (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 6.6.2014 - BVerwG 10 B 35.14 -, juris).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems nach Griechenland der Sache nach bejaht (vgl. EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21.1.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S. - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ("systemic failure") abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2.4.2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4.6.2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u. a. - Rn. 66; vom 18.6.2013 - Nr. 53852/11, Halimi - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27.8.2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan - Rn. 176 und vom 10.9.2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi - Rn. 138).

Ein "systemisches Versagen" im Sinne dieser Rechtsprechung setzt allerdings nicht voraus, dass ein Systemfehler eine Vielzahl von Asylsuchenden betreffen muss. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Große Kammer) hat in seinem Urteil vom 4.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel - vielmehr die dem Betroffenen drohende Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK durch eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt und dazu ausgeführt, dass sich die Ursache der drohenden Gefahr weder auf das Schutzniveau auswirkt, das durch die Konvention garantiert wird, noch auf die sich aus der Konvention ergebenden Pflichten des Staates, der die Abschiebung der Person anordnet. Das dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens befreit diesen Staat danach gerade nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und die Durchsetzung der Abschiebungsanordnung auszusetzen, falls die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung festgestellt werden sollte (EGMR, Urteil vom 4.11.2014 - a.a.O. -, Rn. 104). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist auch darauf hin, dass dieser Ansatz auch vom Supreme Court des Vereinigten Königreichs in dessen Urteil vom 19. Februar 2014 - (2014) UKSC 12 - (Rn. 56 f.) verfolgt wurde.

Im Sinne dieser Rechtsprechung beschreibt der Begriff der "systemischen Mängel" die Vorhersehbarkeit und Reproduzierbarkeit einer drohenden Rechtsverletzung. Ein systemischer Mangel ist danach eine Systemstruktur oder eine fehlende Struktur, die als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dazu führt, dass Fälle, die diese Systemstelle durchlaufen, Rechtsverletzungen verursachen (vgl. eingehend Lübbe, ZAR 3/2014, S. 107).

In tatsächlicher Hinsicht geht das Gericht übereinstimmend mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von erheblichen Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer in Italien bestehen und nicht auszuschließen ist, dass eine erhebliche Zahl Asylsuchender ohne Unterkunft bleibt oder in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 - 2 BvR 939/14 -, juris; EGMR, Urteil vom 4.11.2014 - a.a.O. -, Rn. 106 ff.; ausführlich zum derzeitigen Erkenntnisstand VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 13.11.2014 - 7a L 1718/14.A -, juris Rn. 18 ff.).

Nachdem nicht einmal die italienische Regierung in dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - Nr. 29217/12, Tarakhel - geltend gemacht hat, dass die Kapazitäten des SPRAR-Systems und der CARAs zusammengenommen in der Lage wären, den Großteil, geschweige denn die komplette Nachfrage nach Unterbringung zu absorbieren, zugleich aber auch keine durchgreifenden Ansätze zeigt, die offenkundigen Defizite wenigstens mittelfristig abzustellen, liegen zur Überzeugung des Gerichts systemische Mängel im Sinne fehlender oder defizitärer Strukturen in der Ausgestaltung des Asylverfahrens in Italien vor, die bei ungehindertem Geschehensablauf auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass nach Italien überstellte Flüchtlinge in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden oder sogar gar keine Unterkunft finden.

Die Feststellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dessen Urteil vom 4. November 2014 - a.a.O. -, dass die Ausgestaltung der Aufnahmebedingungen in Italien "für sich genommen kein Hindernis für sämtliche Abschiebungen von Asylsuchenden in dieses Land darstelle", ist angesichts der zugleich getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht dahingehend zu verstehen, dass dort keine systemischen Mängel im Sinne defizitärer Strukturen vorlägen, sondern dass im Gegenteil dem Grunde nach systemische Mängel bestehen, die auch geeignet sind, bei unbeeinflussten Geschehensablauf zu einer Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK zu führen. Denn der EGMR erachtet eine Überstellung (nur dann) als möglich, wenn eine Rechtsverletzung aufgrund dieser systemischen Mängel durch individuelle Garantieerklärung der italienischen Behörden ausgeschlossen ist. Die Garantieerklärung ist gerade die Einzelfallreaktion auf das systemische Defizit, das zwar ein Indikator, aber - wie vorstehend ausgeführt - keine hinreichende Bedingung für eine drohende Rechtsverletzung ist.

Deshalb kann aus Sicht des Gerichts aus den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache Tarakhel nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK ausgeschlossen ist, wenn Personen nach Italien rücküberstellt werden, die nicht zu den Gruppen besonders schutzbedürftiger Personen gehören. Denn die Verhältnisse, in die solche Personen überstellt werden, sind nicht besser als bei schutzbedürftigen Personen. Im Gegenteil ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragstellerin gar keine Unterkunft in Italien findet, sogar höher als bei Familien mit Kindern. Denn Familien mit Kindern werden nach Angaben der italienischen Regierung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als besonders schutzbedürftige Personen behandelt und normalerweise in das SPRAR-Netzwerk übernommen, das ihnen anscheinend Unterkunft, Nahrung, Gesundheitsversorgung, Italienischkurse, die Vermittlung an soziale Dienste, Rechtsberatung, Berufsbildung, Lehrstellen und Unterstützung bei der Suche einer eigenen Unterkunft garantiert (vgl. EGMR, Urteil vom 4.11.2014 - a.a.O. -, Rn. 121). Derartige Garantien werden männlichen alleinstehenden Asylsuchenden, aber auch alleinstehenden Frauen wie der Antragstellerin nicht gegeben. Angesichts der offensichtlichen Kapazitätsengpässe sind ihre Chancen auf Unterbringung deshalb sogar geringer, je mehr der ohnehin knappen Unterkünfte vorrangig an Familien mit Kindern vergeben werden.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Rechte aus Art. 3 EMRK Personen wie der Antragstellerin -- anders als schutzbedürftigen Personen - nur ein derartig geringes Schutzniveau garantieren, dass es in ihrem Fall keine Verletzung dieser Rechte darstellen würde, wenn sie unter den beschriebenen Umständen nach Italien überstellt würde, ohne dass die italienischen Behörden eine Garantieerklärung abgeben, dass ihr eine angemessene Unterkunft bereitgestellt wird.

Soweit die 3. Kammer des EG MR mit Beschluss vom 5. Februar 2015 - Nr. 51428/10, A. M. E. - die Beschwerde eines jungen männlichen Asylsuchenden ohne abhängige Angehörige gegen seine Rückführung nach Italien als offensichtlich unbegründet verworfen hat, weil "kein hinreichend reelles und unmittelbares Risiko erkennbar [sei], das die Schwelle zu einer Eröffnung des Schutzbereichs von Artikel 3 EMRK erreicht", vermag das Gericht dieser Auffassung nicht zu folgen. Der EGMR hat in dieser Entscheidung ohne weitere erkennbare Aufklärung des Sachverhalts "keinen Anhalt" für die Vermutung gesehen, dass die Antragstellerin außerstande sein würde, die "zur Verfügung stehenden Ressourcen für Asylsuchende" in Anspruch zu nehmen oder dass die italienischen Behörden nicht in angemessener Weise auf seine Bedürfnisse eingehen würden (sämtlich zitiert nach EGMR, Beschluss vom 5.2.2015 - A. M. E. -, Rn. 36 des amtl. Abdrucks). Dies widerspricht den Feststellungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Tarakhel, dass jedenfalls hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Unterkünfte die Ressourcen in Italien derart knapp bemessen sind, dass es nicht genügt, Familien mit Kindern generell bevorzugt zu behandeln, sondern einer individuellen Zusicherung der geordneten Unterbringung bedarf. Dass angesichts dessen alleinstehenden Asylsuchenden - denen nicht einmal die abstrakt zugesicherte bevorzugte Versorgung zuteil wird - offenkundig keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK droht, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar.

Das Gericht teilt insbesondere nicht die - nicht näher begründete - Auffassung der 3. Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass schon nicht ersichtlich sei, dass der Schutzbereich des Art. 3 EMRK berührt sei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss zwar eine Misshandlung ein notwendiges Minimum an Intensität erreichen, um in den Anwendungsbereich von Artikel 3 EMRK zu fallen, wobei dieses Minimum von den Umständen des Einzelfalls abhängt, beispielsweise der Dauer der Behandlung, ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie, in einigen Fällen, Geschlecht, Alter und dem Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl. EGMR, Urteile vom 26.10.1996 (Große Kammer) - Nr. 30210/96, Kud?a -, Rn. 91, ECHR 2000-XI, und vom 21.1.2011 -- Nr. 30696/09, M. S. S. -, Rn. 249). Weiterhin hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt entschieden, dass Artikel 3 EMRK die Vertragsparteien nicht allgemein dazu verpflichtet, jedem in ihrem Hoheitsgebiet ein Zuhause zur Verfügung zu stellen oder Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteile vom 18.1.2001 (Große Kammer) - Nr. 27238/95, Chapman -, ECHR 2001 -1 Rn. 99; vom 26.4.2005 - Nr. 53566/99, Müslim -, Rn. 85; und vom 21.1.2011 - M. S. S., a.a.O. -, Rn. 249). Zugleich hat der Gerichtshof aber betont, dass Asylsuchende als Angehörige einer besonders unterprivilegierten und verletzlichen Bevölkerungsgruppe besonderen Schutzes bedürfen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass von einer Rückführung in sichere Drittstaaten betroffene Ausländer - anders als bei einer Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 - a.a.O. -). Das betrifft die Antragstellerin nicht weniger als eine Familie mit Kindern.

In dieser Konstellation sieht auch der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung Art. 3 EMRK verletzt, wenn in einer Situation extremer materieller Armut und vollkommener Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung der Betroffene in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen oder Not, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, mit behördlicher Gleichgültigkeit konfrontiert wird (vgl. EGMR, Entscheidung vom 18.6.2009 - Nr. 45603/05, Budina -). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verpflichtung, Asylsuchenden Unterkunft und anständige materielle Bedingungen zu gewähren, Bestandteil des positiven Rechts geworden und die Behörden gehalten sind, ihre eigene Gesetzgebung zu befolgen, und ein dahingehendes Unterlassen es dem Betroffenen unmöglich macht, diese Rechte in Anspruch zu nehmen und für ihre grundlegenden Bedürfnisse zu sorgen.

In diesem Zusammenhang sind die in der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen - Aufnahmerichtlinie - (ABl. L 180 S. 96) genannten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Nach Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie tragen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Anspruch nehmen können, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet. Bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen erlaubt Art. 18 der Aufnahmerichtlinie für einen angemessenen Zeitraum, der so kurz wie möglich sein sollte, niedrigere Standards der Unterbringung, wobei allerdings unter allen Umständen die Grundbedürfnisse gedeckt werden müssen. Zu diesen Grundbedürfnissen rechnet das Gericht auch die Unterkunft an sich, die Versorgung mit Nahrung, elementare Hygienebedürfnisse und den Schutz vor Übergriffen und geschlechtsbezogener Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung in Unterbringungszentren.

Es steht für das Gericht außer Zweifel, dass auch die Antragstellerin diese Grundbedürfnisse tatsächlich hat. Dagegen ist nicht erkennbar, dass der von Art. 3 EMRK gewährte Schutz diese elementaren Grundbedürfnisse nicht auch für die Gruppe der alleinstehenden Asylsuchenden, der die Antragstellerin angehört, garantiert. Dass Art. 3 EMRK bei schutzbedürftigen Personen im Sinne von Art. 21 der Aufnahmerichtlinie die Berücksichtigung weiterer individueller Bedürfnisse gebietet - etwa hinsichtlich der gemeinsamen Unterbringung von Familien und des Schutzes der Kinder oder des Bedarfs besonderer medizinischer Versorgung -, steht dem nicht entgegen.

Auch der Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie:

"Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet.

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Lebensstandard gewährleistet ist, wenn es sich um schutzbedürftige Personen im Sinne von Artikel 21 und um in Haft befindliche Personen handelt."

erlaubt keine derartige Differenzierung am untersten Rand der Existenzsicherung. Vielmehr sind eine dauerhafte Obdachlosigkeit und Unterernährung ebenso wie Gewalt und gesundheitsgefährdende Zustände in Unterkünften geeignet, auch eine alleinstehende Frau an Grenzen ihrer körperlichen und seelischen Belastbarkeit zu bringen, vor deren Überschreitung sie Art. 3 EMRK schützen soll.

Eine solche Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK droht der Antragstellerin aufgrund der systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens jedenfalls so lange, wie die italienischen Behörden keine individuelle Garantieerklärung dafür abgeben, dass die Antragstellerin einen Platz in einer Unterkunft erhält und ihre grundlegenden Bedürfnisse an Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung gedeckt sind. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen - wie hier - die italienischen Behörden schon das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin unbeantwortet gelassen haben und nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin überhaupt Zugang zu elementarer Versorgung haben wird. [...]