VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 06.03.2015 - 3 K 904/14 - asyl.net: M22936
https://www.asyl.net/rsdb/M22936
Leitsatz:

Die Umdeutung eines Bescheides des Bundesamtes nach § 27a AsylVfG in einen solchen nach § 26a AsylVfG ist zulässig nach § 47 VwVfG. Das italienische Asylsystem leidet nicht an systematischen Mängeln.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: systemische Mängel, Italien, Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Tarakhel, Umdeutung, Drittstaatenregelung, sichere Drittstaaten, subsidiärer Schutz,
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 26a, VwVfG § 47,
Auszüge:

[...]

Zunächst ist anzumerken, dass der angefochtene Bescheid seine Rechtsgrundlage nicht mehr in §§ 27a, 34a AsylVfG findet, sondern nunmehr in Anwendung des § 47 VwVfG in Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 31 Abs. 4, 34a AsylVfG (vgl. dazu, dass die Regelungen der Art 16a GG und die darauf beruhenden Regelungen des AsylVfG nicht zu beanstanden sind BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -, juris), nachdem bekannt geworden ist, dass dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zuerkannt worden ist. Nach § 47 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Umdeutung ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht zulässig, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Die Voraussetzungen einer Umdeutung nach § 47 VwVfG sind vorliegend gegeben. So sind beide möglichen Verwaltungsakte, die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 27a AsylVfG einerseits und die Ablehnung eines Asylantrags nach § 26a AsylVfG andererseits, auf das gleiche Ziel gerichtet, denn in beiden Verfahren steht das Asylbegehren nicht inmitten; es erfolgt keine materielle Durchführung eines Asylverfahrens. Auch das anzuwendende Verfahren (vgl. § 31 Abs. 1 AsylVfG, insbesondere Satz 4) und die sich aus den beiden Varianten ergebende Rechtsfolge, die Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG, ist identisch.

Der so verstandene Bescheid ist rechtmäßig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, abweichend von der gesetzlichen Grundregel des § 31 Abs. 4 AsylVfG in Deutschland in eine Prüfung der §§ 3 und 4 AsylVfG oder von § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG einzutreten, denn das Gericht kann nicht erkennen, dass dem Kläger in Italien nicht hinreichend Schutz gewährt würde. Die Sonderfälle im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des BVerfG(S. FN 1), nach denen von einer Anwendung des Art 16a Abs. 2 GG abzusehen ist, entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln im Sinne der Ausführungen in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2011 - C 411/10 und C 493/10 - und vom 10.12.2013 - C 394/12 - wonach ein Asylbewerber einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden und die zugunsten des Mitgliedstaates streitende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht, widerlegt ist(Insoweit ist der gerichtliche Prüfungsumfang nach § 27a und § 26a AsylVfG identisch, was ebenfalls mit Gewicht für die Zulässigkeit einer Umdeutung spricht).

Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Das italienische Asylsystem leidet nach der ständigen Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. nur OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.01.2015 - 2 A 196/14 -) nicht an systemischen Mängeln, auf Grund derer dem Kläger nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 18.07.2014 - 3 L 905/14 - verwiesen. An dieser rechtlichen Bewertung wird auch in Ansehung der neuesten Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG festgehalten.

Das Urteil der Großen Kammer des EGMR Nr. 29217/12 (Tarakhel) vom 04.11.2014 betrifft eine Familie mit sechs minderjährigen Kindern, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien rückgeführt werden sollte. Unter Hinweis auf die oben genannte Entscheidung des EGMR Nr. 27725/10 vom 02.04.2013 stellte der EGMR dabei nicht fest, dass es systematische Mängel im Asylsystem Italiens, insbesondere bezüglich der Gesamtlage der Aufnahmebedingungen, gibt. Allein für Familien mit Kindern, die eine "besonders verletzliche Personengruppe" darstellten, forderte der Gerichtshof, dass die Behörden vor einer Rückführung eine individuelle Erklärung der italienischen Behörden dahingehend einholen, dass die Familie in einer das Alter der Kinder angepassten Art und Weise untergebracht wird und dass die Familie zusammenleben kann (vgl. nur Pressemitteilung des EGMR vom 04.11.2014 sowie die Übersetzung der Entscheidung in Informationsverbund Asyl & Migration).

Diese Erwägungen des EGMR stehen in Einklang mit den Entscheidungen des BVerfG zu den Aufnahmebedingungen in Italien. So hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 991/14 - nicht festgestellt, dass es im italienischen Asylsystem systematischen Mängel gibt. Mit Blick auf Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer, wobei diese "regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen“ sind, hat das BVerfG jedoch ausgeführt: "… hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls … jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält,…“.

Mit Blick auf diese Entscheidungen ist bezogen auf den hier vorliegenden Fall eines erwachsenen männlichen Ausländers daher weiterhin von der (uneingeschränkten) Rechtmäßigkeit einer Rückführung nach Italien auszugehen. Diese Auffassung wird so auch vom OVG des Saarlandes geteilt(Beschluss vom 26.01.2015 - 2 A 196/14 -, auf dessen Ausführungen verwiesen wird) sowie vom EGMR in seiner Entscheidung vom 05.02.2015 (A.M.E. gegen die Niederlande Nr. 51482/10) (vgl. Pressemitteilung der Gerichtskanzlei ECHR 047/2015). [...]