VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 18.12.2014 - 1 K 672/14.A - asyl.net: M22948
https://www.asyl.net/rsdb/M22948
Leitsatz:

Liegen die Ursachen einer psychischen Erkrankung in der Diskriminierung, der die Betreffende aufgrund ihrer sexuellen Orientierung im Herkunftsland ausgesetzt war, besteht ein Abschiebungsverbot. In Albanien ist es nicht möglich, die homosexuelle Orientierung auszuleben.

Schlagwörter: Albanien, homosexuell, psychische Erkrankung, Abschiebungsverbot, medizinische Versorgung, Suizidgefahr,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, kann ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. [...]

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Klägerin an mehreren Erkrankungen leidet: Hyperprolaktinämie (ICD-10: E 22.1 G), einem Hypophysentumor (lCD-10: D 35.2 V), Ängste und depressive Störung gemischt (ICD-10; F 41.2), Zwangsgedanken/Grübelzwang (ICD-10; F 42.0), Depressionen mit Suizidgedanken (ICD-10: F 32.2).

Die Kammer geht des Weiteren davon aus, dass sich die Erkrankungen im Fall einer ausbleibenden oder unzureichenden Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich verschlimmern würden. Nach den vorgelegten Attesten bedürfen sowohl die Tumorerkrankuhg als auch die psychischen Erkrankungen dringender Behandlung. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zudem nachvollziehbar dargelegt, dass ihre Ärzte eine Tumoroperation für sehr riskant hielten und sie deshalb weiter einer medikamentösen Behandlung bedürfe.

Schließlich rechtfertigten auch die in Albanien grundsätzlich bestehenden Behandlungsmöglichkeiten keine andere Bewertung. Die Kammer lässt dabei offen, inwieweit die für die Behandlung notwendigen Medikamente in Albanien verfügbar und für die Klägerin in finanzieller Sicht auch tatsächlich erreichbar wären. Aufgrund ihrer individuellen Vorgeschichte und der spezifischen Gegebenheiten ihres Einzelfalls kann die Klägerin gerade in Albanien nicht behandelt werden. Ihren Erkrankungen kann in Albanien nicht in geeigneter Weise entgegengewirkt werden, weil der Kern ihrer psychischen Probleme untrennbar mit ihrem Herkunftsland verbunden ist. Auch der Hypophysentumor ist nach den ärztlichen Stellungnahmen durch den in Albanien erlittenen psychischen Stress bedingt. Das Leben in Albanien, wo sie ihre sexuelle Orientierung nicht offen zeigen könnte, würde nach den ärztlichen Stellungnahmen das Tumorwachstum beschleunigen. Eine medikamentöse Behandlung wäre dann nicht mehr ausreichend. Da eine Operation für zu riskant gehalten wird, wäre die Klägerin in Albanien also einer erheblichen Gefahr ausgesetzt. Die Gefahr einer erneuten Konfrontation mit den die Klägerin psychisch und physisch überfordernden Reizen ist nicht räumlich auf bestimmte Orte oder ansonsten regional einzugrenzen. Denn dem Stress, den die Klägerin dadurch erleidet, ihre sexuelle Orientierung nicht ausleben zu können, wäre sie in ganz Albanien ausgesetzt.

Gründe, die es dem Bundesamt gestatten würden, im Rahmen der Soll-Bestimmung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der für den Regelfall vorgesehenen Feststellung eines Abschiebungsverbotes abzusehen, sind nicht ersichtlich. Mit der Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geht die teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung einher. [...]