VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 09.09.2014 - W 7 K 13.30101 - asyl.net: M22953
https://www.asyl.net/rsdb/M22953
Leitsatz:

Ein Mitglied der Müsavat-Partei, das überwacht wird und Drohanrufe erhält, verhaftet und misshandelt wurde, ist politischer Verfolgung in Aserbaidschan ausgesetzt.

Schlagwörter: Aserbaidschan, Müsavat-Partei, politische Verfolgung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat der Kläger eine begründete Furcht vor Verfolgung zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht. Der Kläger ist Mitglied der Musavat-Partei. Zum einen konnte er durch den im Asylverfahren vorgelegten Parteiausweis seine Mitgliedschaft belegen, auch wenn dieser erst im Mai 2010 ausgestellt wurde, zum anderen hat er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass er als einfaches Parteimitglied an Demonstrationen teilgenommen hat und auch über seine berufliche Tätigkeit als Tischler mit der Musavat-Partei verbunden war, da er von dieser Aufträge für die Herstellung von Plakatrahmen bekommen hat.

Der Kläger hat weiterhin glaubhaft gemacht, dass er aufgrund seiner politische Überzeugung bzw. der Zugehörigkeit zur Musavat-Partei vor seiner Ausreise von Verfolgung bedroht war und bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan der erneuten Gefahr einer solchen Verfolgung ausgesetzt wäre. Zwar unterliegen einfache Parteimitglieder der Musavat-Partei nicht grundsätzlich einer politischen Verfolgung in Aserbaidschan. Das Gericht folgt insoweit der Auskunftslage, die sich aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ergibt, insbesondere der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2011. Letztere besagt aber gleichzeitig, dass es grundsätzlich auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass jemand zu seinen Aktivitäten polizeilich befragt und im Einzelfall auch überwacht wird. Wie der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert hat, ist er nicht nur überwacht worden, sondern wurde sogar Ziel von Drohanrufen, in denen ihm und seiner Familie mit Gewalt gedroht wurde, falls er sich nicht von der Partei fernhalte. Auch eine Verhaftung und Misshandlung am 3. Juli 2010 konnte er glaubhaft schildern.

Ein glaubhaftes Gesamtbild ergibt sich insbesondere auch durch die Angaben der Söhne des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Sein Sohn (Kläger im Verfahren W 7 K 13.30102) schilderte, wie er selbst in der Schule nach den politischen Aktivitäten seines Vaters befragt worden sei. Der jüngere Sohn des Klägers schilderte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft, sein Vater sei oft blutig und mit zerrissenen Kleidern nach Hause gekommen. Zudem habe er, auch wenn er selbst noch minderjährig gewesen sei, mitbekommen, wie sich die Stimmung seiner Mutter, wenn wieder ein Drohanruf gekommen sei, verändert habe.

Aus diesem Gesamtumständen, insbesondere auch der Tatsache, dass die Familie nach der Verhaftung des Klägers am 3. Juli 2010 das Land in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang verlassen hat, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 und 2 AsylVfG ausgesetzt war. Die Verfolgungshandlungen erfolgten aufgrund der politischen Überzeugung des Klägers im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylVfG, so dass auf die nach § 3a Abs. 3 AsylVfG erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründen besteht.

Da der Kläger somit vorverfolgt ausgereist ist, ist dies gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf Internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU), die die sog. Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) abgelöst hat, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass der Schutzsuchende tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Schutzsuchende erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Für solche Gründe ist im vorliegenden Fall aber nichts ersichtlich. [...]