VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 05.11.2014 - 6 L 2088/14.TR - asyl.net: M22954
https://www.asyl.net/rsdb/M22954
Leitsatz:

Für die alleinerziehende Mutter eines kleines Kindes, die der Volksgruppe der Roma angehören und bei Rückkehr nach Bosien-Herzegowina auf sich allein gestellt wären, besteht eine extreme Gefahrenlage.

Schlagwörter: Bosnien-Herzegowina, Roma, alleinerziehend, extreme Gefahrenlage, Kleinkind, Existenzminimum,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

In dem hier zu entscheidenden Fall spricht vieles für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Hiernach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Satz 3 dieser Regelung bestimmt, dass Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Diese Sperrwirkung ist allerdings im Wege der verfassungskonformen Auslegung dann einzuschränken, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine extreme Gefahrenlage dergestalt zu gewärtigen hätte, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde und die obersten Landesbehörden von der nach § 60a Abs. 1 AufenthG bestehenden Ermächtigung, die Abschiebung auszusetzen, keinen Gebrauch gemacht haben. Die extremen Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen und sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 -, veröffentlicht in juris).

Im Falle der Antragstellerin kann davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage bei Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina jedenfalls derzeit erfüllt sind. Zwar vertritt die Kammer in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass Roma in Bosnien-Herzegowina nicht grundsätzlich gefährdet sind. Dem entspricht auch die jüngste Gesetzesänderung, nach der Bosnien-Herzegowina als sicherer Herkunftsstaat eingeordnet wird. In der Person der Antragstellerin besteht jedoch die Besonderheit, dass diese mit einem Säugling nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren müsste und sie weder dort noch im Ausland auf familiäre Unterstützung hoffen könnte, da ihre Familie sich wegen ihrer Beziehung zu ihrem Lebensgefährten und der daraus resultierenden Schwangerschaft von ihr abgewandt hat. Die Antragstellerin müsste daher allein auf sich gestellt bei einer Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina nicht nur sich, sondern auch ihr Kind versorgen. Es ist derzeit nicht davon auszugehen, dass sie für beide den Lebensunterhalt dauerhaft gewährleisten kann. [...]