VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 02.06.2015 - 2 L 379/15.A - asyl.net: M22957
https://www.asyl.net/rsdb/M22957
Leitsatz:

In Ungarn bestehen keine systemischen Mängel hinsichtlich des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Aufnahmebedingungen, Asylverfahren, Ungarn, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, Inhaftierung, Dublin-Rückkehrer,
Normen: AsylVfG § 27a, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren zugänglichen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl - welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen - kann nicht festgestellt werden, dass in Abweichung hiervon der Antragsteller Gefahr liefe, nach einer Abschiebung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Art. 3 EMRK zu unterfallen.

Gemäß Art. 4 EuGRCh und. Art. 3 EMRK sind Folter und unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung untersagt. Eine Behandlung ist dann "unmenschlich", wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wird und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht. Demgegenüber ist "erniedrigend", wenn eine Behandlung eine Person demütigt, sie es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder diese herabsetzt oder wenn in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt werden, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Dabei kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob es Zweck der Behandlung ist, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt ist, ist eine Feststellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zwingend ausgeschlossen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.1.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413, Rn. 220).

Eine solche Behandlung des Antragstellers kann nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht festgestellt werden. Zwar mag zutreffend sein, dass eine Vielzahl von sog. "Dublin-Rückkehrer" inhaftiert werden (vgl. etwa Auskunft des UNHCR an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014 zu Frage 3; Auskunft von Pro Asyl an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014 zu Frage 3 b). Jedoch begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1.7.2013 - wieder - Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr - so der UNHCR - bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer - so Pro Asyl - inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Art. 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (vgl. EGMR, Urt. v. 21.1.2011 - 30696/09 -, juris, Rn. 221, und v. 15.7.2002 - 47095/99 -, Rn. 95. 50). Aus der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Art. 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Art. 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Art. 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Art. 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Art. 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Art. 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Art. 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Art. 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Art. 11 AufnahmeRL). So darf etwa gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil ein Antragsteller einen Asylantrag gestellt hat. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Art. 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht In der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist (so auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 15.4.2015 - 13 L 1259/15.A -, juris). Dagegen fehlt es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern - speziell Dublin-Rückkehrem - nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt.

Solche hat der Antragsteller vorliegend auch nicht substantiiert vorgetragen, sondern sich darauf beschränkt, ihm drohe als "Dublin-Rückkehrer" eine willkürliche und unverhältnismäßige Inhaftierung. Zu berücksichtigen ist bei der Situationsbewertung zudem, dass der Antragsteller bei seinem Erstaufenthalt in Ungarn im Jahr 2014 sofort aus der Haft entlassen worden ist, nachdem er den Asylantrag gestellt hatte. [...]