VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 18.12.2014 - A 3 K2075/12 - asyl.net: M22968
https://www.asyl.net/rsdb/M22968
Leitsatz:

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender Gefahr der Verfolgung durch den gambischen Geheimdienst NIA.

Schlagwörter: Gambia, UDP, politische Überzeugung, politische Verfolgung, Journalist, Menschenrechtslage, United Democratic Party,
Normen: AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Legt man diese Grundsätze zugrunde, so hat der Kläger glaubhaft gemacht, dass er in Gambia asylrelevanter Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG ausgesetzt ist. Aufgrund der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung vor dem erkennenden Gericht und des Eindrucks, den die Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnen hat, sowie seiner Einlassungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nach Maßgabe dieser Grundsätze vorverfolgt aus Gambia ausgereist ist und die Vermutung für ihn spricht, dass sich im Falle seiner Rückkehr die frühere Verfolgung wiederholen wird. Stichhaltige Gründe, die dagegen sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Der Kläger ist bereits vorverfolgt worden. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sich der Kläger in Gambia politisch betätigt hat und dass er deswegen ins Visier der Sicherheitskräfte geraten ist, deren Zugriff er sich nur durch seine sofortige Flucht entziehen konnte. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dem Gericht einen absolut glaubwürdigen Eindruck vermittelt. Der Kläger hat detailreich und widerspruchsfrei seine politischen Aktivitäten und persönlichen Erlebnisse in Gambia geschildert sowie die Umstände, wie er sich dem Zugriff der Verfolger entziehen konnte. Etwaige Unklarheiten, die nach seiner Anhörung beim Bundesamt verblieben waren, konnte er überzeugend bereinigen.

Die Vermutung, dem Kläger drohten bei einer Rückkehr nach Gambia erneut Maßnahmen i.S.d. § 3a AsylVfG, ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt. Zwar ist Gambia auf dem Papier ein nach demokratischen Gesichtspunkten aufgebauter Staat. Indessen geben zahlreiche Erkenntnisquellen ein anderes Bild wieder. Der letzte Lagebericht des Auswärtigen Amtes datiert von 1999 und kann nicht mehr zur Bewertung der Lage herangezogen werden, denn in den Folgejahren hat sich die Menschenrechtslage in Gambia nach mehreren gescheiterten Putschversuchen wesentlich verschlechtert. So führt das Auswärtige Amt in neueren Länderinformationen aus, dass sich die Menschenrechtslage seit dem letzten Putschversuch im Jahre 2006 verschlechtert hat und dass die Gewaltenteilung durch die Machtfülle des Präsidenten untergraben wird, worunter vor allem die Unabhängigkeit der Justiz leide. Auch würden individuelle Freiheitsrechte eingeschränkt. Politische Gegner und kritische Journalisten sowie Menschenrechtsverteidiger würden durch Polizei und den Nationalen Sicherheitsdienst NIA eingeschüchtert. Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit von Gerichtsverfahren würden von internationalen Beobachtern geäußert (www.auswaertiges-amt.de [...]). Noch deutlicher wird amnesty international. In neueren Jahresberichten (vgl. AMNESTY REPORT 2013, 2012 und 2011) wird gleichfalls von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, von Unterdrückung Andersdenkender, von Menschenrechtsverletzungen und Beschränkungen der Meinungsfreiheit berichtet. Die Regierung beschränke weiterhin die politische Freiheit, unterdrücke das Recht auf freie Meinungsäußerung und verübe Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Angehörige des gambischen Geheimdienstes NIA nähmen vermeintliche Regimegegner ohne rechtliche Grundlage fest und hielten sie in Haft. Es herrsche nach wie vor ein Klima der Angst (vgl. AMNESTY REPORT 2011). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe bewertet die Menschenrechtslage in Gambia in ihrer SFH-Länderanalyse vom 13. Juli 2009 als sehr kritisch. Willkürliche Verhaftungen hätten zugenommen. Sicherheitskräfte misshandelten straflos Oppositionelle, Journalisten und Zivilisten. Häftlinge seien verlängerter Untersuchungshaft, Einzelhaft und unfairen Prozessen ausgesetzt (SFH-Länderanalyse vom 13. Juli 2009, Seite 1), würden ohne Anklage incommunicado festgehalten, hätten keinen Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen, würden gefoltert und erhielten kein faires Verfahren (ebd. Seite 2 mit Nachweisen zahlreicher internationaler Quellen). Von einem Rechtsstaat, der sich an alle einschlägigen, der Wahrung der Menschenrechte dienenden nationalen und internationalen Rechtsbestimmungen hält, kann ganz offensichtlich keine Rede sein. Vor diesem Hintergrund ist die Vermutung nicht widerlegt, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit asylerheblichen Maßnahmen seitens des gambischen Geheimdienstes rechnen muss, sodass ihm der begehrte Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist. [...]