VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 18.02.2015 - 1 A 109/13 - asyl.net: M22969
https://www.asyl.net/rsdb/M22969
Leitsatz:

Bestehende, (noch) nicht erfolgreich unterbundene diskriminierende Handlungen nichtstaatlicher Akteure gegenüber Homosexuellen in Georgien erreichen nicht das für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Maß. Zudem bestehen in Georgien geeignete staatliche Schutzmaßnahmen in Form von Antidiskriminierungsgesetzen.

Schlagwörter: Georgien, homosexuell, soziale Gruppe, Gruppenverfolgung, Diskriminierung, Homophobie, Asylrelevanz, Schutzbereitschaft, Kumulation, Antidiskriminierungsgesetz,
Normen: AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3a Abs. 1 Nr. 2, AsylVfG § 3d Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

b) Gemessen an diesen Voraussetzungen und unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Georgien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylVfG unterfallende Gefährdungen drohen würden, hinsichtlich derer er keinen Schutz i.S.d. § 3d AsylVfG erlangen könnte.

Als Homosexueller gehört der Kläger nach den Gegebenheiten in Georgien zwar zu einer bestimmten sozialen Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Nr. 4 AsylVfG (vgl. zur Problematik der bestimmten sozialen Gruppe in Bezug auf LGBTI (lesbian, gay, bisexual, transgender, intersexual): Judith, Die "bestimmte soziale Gruppe" "queer" gelesen - Eine kritische Analyse der unionsrechtlichen Definition, ZAR 2014, S. 404 ff.). Es findet indessen weder eine staatliche (Gruppen-)Verfolgung statt, noch ist eine von nichtstaatlichen Akteuren i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylVfG ausgehende (Gruppen-)Verfolgung anzunehmen, hinsichtlich derer der Staat nicht in der Lage oder nicht willens wäre, i.S.d. § 3d AsylVfG Schutz zu bieten. Auch die individuellen Erlebnisse des Klägers bei seinem nur noch in die Betrachtung einzubeziehenden Aufenthalt in Georgien von Mai 2010 bis Januar 2012 rechtfertigen nicht die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht. [...]

In Bezug auf Homosexualität ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Rechnung zu stellen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei der Prüfung eines Antrags die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten können, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um die Gefahr von Verfolgung zu vermeiden. Dem Betroffenen ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn nachgewiesen ist, dass nach seiner Rückkehr in sein Herkunftsland seine Homosexualität ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Dass er die Gefahr dadurch vermeiden könnte, dass er beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung größere Zurückhaltung übt als eine heterosexuelle Person, ist insoweit unbeachtlich. Andererseits wird etwa der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher nicht als Verfolgungshandlung eingestuft, wohingegen eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten ist und somit eine Verfolgungshandlung darstellt. Auch eine Verletzung von Grundrechten stellt nur dann eine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar, wenn sie von einer bestimmten Schwere ist; nicht jede Verletzung der Grundrechte eines homosexuellen Asylbewerbers ist notwendigerweise so schwerwiegend (EuGH, Urt. v. 07.11.2013, Rs. C-199/12 bis C-201/12, juris).

Von schwerwiegenden Rechtsverletzungen, hinsichtlich derer kein Schutz gewährt wird, kann in Georgien auch dann nicht ausgegangen werden, wenn ein Homosexueller - wie der Kläger - in der Öffentlichkeit seine Homosexualität nicht verheimlicht, sondern in dem Rahmen auslebt, wie es auch Heterosexuelle üblicherweise unbehelligt tun. Sicherlich sind die Lebensbedingungen für Homosexuelle in Georgien schwierig. Dies beruht aber gerade nicht auf staatlichen Vorgaben oder Repressionen, sondern ausschließlich auf der gesellschaftlichen Stimmung, die auch religiös determiniert wird und in der Homophobie durchaus weit verbreitet ist. Anfeindungen bis hin zu Gewalttätigkeiten gerade bei offensiv nach außen ausgelebter Homosexualität sind keine Seltenheit. So formuliert etwa der seit 26. Oktober 2014 geltende und auch gegenwärtig aktuelle Sicherheitshinweis des Auswärtigen Amtes (http://www.auswaertigesamt.de/DE/ Laenderinformationen/00-SiHi/GeorgienSicherheit.html) wie folgt:

"Es wird darauf hingewiesen, dass die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften - obwohl in Georgien legal - in der georgischen Gesellschaft weniger ausgeprägt ist als in Westeuropa. Daher sind auch gewalttätige Übergriffe auf Homosexuelle und gleichgeschlechtliche Paare, insbesondere bei öffentlichem Zeigen ihrer gegenseitigen Zuneigung nicht auszuschließen."

Gleichwohl ist Homosexualität nicht nur seit dem Jahr 2000 legal, sondern es ist staatlicherseits - auch im Zuge der beabsichtigten Annäherung Georgiens an die Europäische Union - im Jahre 2014 gegen erhebliche Widerstände aus religiös-orthodoxen Kreisen eine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung verabschiedet worden, die sich auch auf die sexuelle Orientierung bezieht (vgl. etwa www.ilgaeurope.org/home/guide/country_by_country/georgia: "in Georgia, a Brave Step Toward LGBT Rights"). Der georgische Staat hat mithin durchaus i.S.d. § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG geeignete Schritte eingeleitet, um Verfolgung zu verhindern. Dies hatte sich auch schon zuvor gezeigt. Die etwa vom Kläger genannten Gay-Paraden in Tiflis wurden keineswegs von staatlicher Seite untersagt, sondern die Polizei hatte im Gegenteil den Auftrag, sie zu schützen. Dass einzelne oder vielleicht auch viele Polizisten selbst homophob eingestellt sind, ändert an dem staatlichen Kurs der Antidiskriminierung nichts. Auch der Umstand, dass bei den Gay-Paraden Angreifer sowohl LGBTI-Demonstranten und auch Polizisten verletzt haben, lässt keine abweichende Beurteilung zu. Vielmehr zeigt dies auf, dass sich der Staat sehr wohl um den Schutz von LGBTI bemüht, soweit deren Rechte verletzt zu werden drohen. Aus Sicht der Organisation ILGA (international Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) sind in Georgien für diesen Personenkreis mittlerweile rechtliche und politische Standards erreicht, die - in Prozentwerten einer gedachten vollen Gleichberechtigung - etwa denjenigen in Italien, Luxemburg und der Schweiz entsprechen (http://www.ilgaeurope.org/home/publications/rainbow_europe; Georgien: 26 %, Italien: 25 %, Schweiz: 29 %, Luxemburg: 28 %, auch für Deutschland kommt die Organisation lediglich auf einen Prozentwert von 56 %).

Allerdings wird durch die bereits ergriffenen staatlichen Maßnahmen nicht jegliche Form von "Alltagsdiskriminierung" unterbunden werden können, die Homosexuellen sicherlich vielfach sowohl im Arbeits- als auch im Privatleben begegnet. Diese verbleibenden - (noch) nicht erfolgreich unterbundenen - diskriminierenden Handlungen nichtstaatlicher Akteure - etwa religiös-orthodoxer Gruppierungen - erreichen allerdings nach Einschätzung des Gerichts auch nicht bei ihrer kumulierten Betrachtung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG das für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Maß. Selbst wenn man dies anders sehen würde, wäre die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG aufgrund der vom Staat eingeleiteten geeigneten Schritte zur Schutzgewährung in Form von Rechtsvorschriften gegen Diskriminierung nicht möglich. Es kann nicht gefordert werden, dass die staatlicherseits eingeleiteten Schritte sofort und in allen Lebensbereichen in Bezug sämtliche Diskriminierungen von Homosexuellen vollumfänglich greifen. Ein Mentafitätswechsel in der Bevölkerung kann nicht staatlicherseits erzwungen werden. Es ist nach Auffassung des Gerichts bei den jedenfalls zu verzeichnenden staatlichen Anstrengungen vielmehr die Frage entscheidend, ob einem wegen Homosexualität Schutzsuchenden gegenwärtig die Rückkehr zugemutet werden kann. Diese Frage ist zu bejahen. Es ist dem Kläger nach Auffassung des Gerichts durchaus zuzumuten, sich bei etwaigen Diskriminierungen - etwa im Arbeitsleben - an staatliche Stellen zu wenden und die existierenden Antidiskriminierungsvorschriften tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Dafür, dass dies bei zu verzeichnenden Diskriminierungen von vornherein nicht erfolgversprechend wäre, ist nichts ersichtlich. Der Einwand, die Macht der Kirche verhindere dies, greift nicht durch. Der Kläger hebt selbst darauf ab, dass sich die Kirche in den Entstehungsprozess zum Antidiskriminierungsgesetz eingemischt und versucht habe, die Regeln so schwach wie möglich auszugestalten. Trotz dieses Interventionsversuchs ist indessen die sexuelle Orientierung einschließlich der Homosexualität zum Gegenstand der Antidiskriminierungsgesetzgebung geworden. Wäre die orthodoxe Kirche davon ausgegangen, dass die gesetzlichen Regelung "nur auf dem Papier stehen" und niemals zur Anwendung gelangen, hätte sie nicht so vehement intervenieren müssen. Offenbar ist auch die Kirche davon ausgegangen, dass die Regelungen tatsächlich in Anspruch genommen werden. Auf die Inanspruchnahme der neuen Regelungen ist auch der Kläger zu verweisen. Bei einer anderen Wertung liefe das Asyl- und Flüchtlingsrecht letztlich auf die Gewährleistung möglichst optimaler Lebensbedingungen hinaus. Der Wunsch, frei zu leben und seine sexuelle Orientierung möglichst ungehindert ausleben zu können, ist sicherlich nachvollziehbar. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft reicht dies jedoch ersichtlich nicht aus.

Der Kläger kann eine begründete Verfolgungsfurcht auch nicht mit Erfolg auf individuelle Erlebnisse stützen. Die Schilderungen seiner Probleme in der Jugend- und Schulzeit sind schon deshalb i.S. einer Vorverfolgung nicht mehr in die Betrachtung einzubeziehen, weil es diesbezüglich ersichtlich an einer Kausalität mit der letzten Ausreise vor der Asylantragstellung im Jahre 2012 fehlt. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL setzt einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung und dem Sachverhalt, der bei einer Rückkehr zur Verfolgung führen könnte, voraus (BVerwG, Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, juris Rn. 42). An einem solchen inneren Zusammenhang fehlt es ersichtlich hinsichtlich der Erlebnisse des Klägers in seiner Jugend- und Schulzeit und seiner jetzt geltend gemachten Verfolgungsfurcht.

Die Probleme, die der Kläger von Mai 2010 bis Januar 2012 gehabt haben will, erschließen sich schon teilweise nicht und verdichten sich auch nicht zur Annahme einer individuellen Vorverfolgung. Es ist schon schwer verständlich, dass der Kläger nach seinen Angaben einerseits nicht allein auf die Straße gehen konnte, ohne angeguckt oder belächelt zu werden, andererseits seine Eltern - bei denen er durchgehend gewohnt hat - von seiner sexuellen Orientierung keinerlei Kenntnisse gehabt haben sollen. Dass seine Eltern möglicherweise doch von seiner sexuellen Orientierung wussten, dies aber unausgesprochen blieb, ist eine Sichtweise, die erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung in den Vordergrund rückte. Im Übrigen räumt auch der Kläger selbst ein, dass es gerade in seiner Heimatstadt Tiflis durchaus auch Möglichkeiten gibt, Kontakte zu knüpfen und seine sexuelle Orientierung auszuleben (vgl. dazu auch: ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Georgien: 1) Gibt es eine Schwulenszene in Tiflis?; 2) Welche NGOs, Vereine und ähnliche Organisationen gibt es in Georgien bzw. Tiflis, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzen bzw. diese unterstützen?, Dokument vom 04.11.2013 (verfügbar auf www.ecoi.net). Dass dies sicherlich nicht in einem optimalen Rahmen stattfindet, reicht für eine asylrechtliche Relevanz nicht aus.

Letztlich zeigen auch die eigenen Erfahrungen des Klägers auf, dass in Georgien keine gravierenden Rechtsverletzungen Homosexueller in Rede stehen, sondern lediglich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zwar schlecht, wohl aber im Sinne des Flüchtlingsrechts zumutbar sind. [...]