VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 05.06.2015 - A 8 K 2461/14 - asyl.net: M22978
https://www.asyl.net/rsdb/M22978
Leitsatz:

Zuerkennung von subsidiärem Schutz aufgrund der Gefahr, nach einer Flucht aus dem Gefängnis in Douala/Kamerun bei Rückkehr erneut inhaftiert und dadurch von neuem Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung zu werden.

Schlagwörter: Kamerun, Haftbedingungen, Frauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, alleinstehende Frauen, Existenzgrundlage, interne Fluchtalternative, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, Inhaftierung, Haftbedingungen,
Normen: AsylVfG § 4, AsylVfG § 4 Abs. 1, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Der Klägerin droht eine solche unmenschliche und erniedrigende Behandlung dadurch, dass sie in Kamerun nach ihrer unerlaubten Flucht aus dem Gefängnis bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut inhaftiert würde.

Das von der Klägerin beschriebene Geschehen ist nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters glaubhaft. Der Bescheid der Beklagten befasst sich nur am Rande mit dem Verfolgungsschicksal und fokussiert sich im Übrigen auf die Ausreise der Klägerin. Bei der Anhörung durch den erkennenden Einzelrichter konnte die Klägerin das Geschehen hingegen zur Überzeugung des Gerichts umfassend schildern. Ihr Bericht war lebhaft, emotional und detailreich, so dass das Gericht zu der vollen Überzeugung kam (§ 108 Abs. 1 VwGO), die Klägerin habe das Erzählte tatsächlich erlebt. Dass die zeitlichen Zusammenhänge nicht präzise bezeichnet werden konnten, fällt für den erkennenden Einzelrichter in Anbetracht kultureller Unterschiede und des umfangreichen in der Folge Erlebten nicht entscheidend ins Gewicht. Die Klägerin berichtete das Geschehene auf ihre Weise überzeugend, indem sie zeitliche Abläufe anhand anderer tatsächlicher Umstände einordnete, sie räumte Widersprüche und bei oberflächlicher Betrachtung bestehende, vermeintliche Ungereimtheiten aus. Die Darstellungen der Klägerin finden ihre Entsprechung in den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln. Nach diesen Erkenntnismitteln ist es - wie auch von der Klägerin beschrieben - nicht ungewöhnlich, dass die Polizei willkürlich, vor allem freitags nachmittags Menschen verhaftet, auch aufgrund von Bestechungen durch Privatleute, die mit den Verhafteten in einer Privatfehde liegen (U.S. Department of State, 2011 Country Report on Human Rights Practices - Cameroon, abrufbar unter www.refworld.org/docid/4fc75ab1c.html, zuletzt abgerufen am 04.06.2015). Nach im Internet zu findenden behördlichen Berichten sind im Gefängnis New Bell in Douala nicht nur Männer inhaftiert (vgl. Amnesty International, Republic of Cameroon, 2013, S. 45; U.S. Department of State, 2011 Country Report an Human Rights Practices - Cameroon, [...]). Auch die bezeichnete "Anti-Gang" von Gefängnisinsassen taucht in den Erkenntnismitteln auf (vgl. Amnesty International, Cameroon, Impunity underpins persistent abuse, 2009, S. 30). In den zitierten Berichten ist auch zu lesen, dass sich Angehörige des Gefängnispersonals bestechen lassen, u.a. für bessere Behandlung und auch zeitweise Freilassung. Ihre Schilderung entspricht in den genannten Details auch weiteren Berichten, die im Internet zu finden sind (z.B. News24, Cameroon Prison "Hell an Earth", abrufbar unter www.news24.com/Africa/News/Cameroonprison-hell-on-earth-20080808, zuletzt abgerufen am 04.06.2015) und in denen die Lebensbedingungen der Gefängnisinsassen dargestellt sind. So beschrieb die Klägerin dem Gericht anschaulich, wie die Häftlinge unter freiem Himmel schliefen oder wie es jeden Tag Mais Couscous mit Bohnen zu essen gab, auch, dass Häftlinge dort für Selbstverständlichkeiten bezahlen müssen.

Es steht nach den vorliegenden Erkenntnissen außer Zweifel, dass die Haftbedingungen in Kamerun unmenschlich und erniedrigend im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG sind (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand Oktober 2014, S. 14 f.). Nach ihrem glaubhaften Vortrag muss die Klägerin wegen ihrer Flucht aus dem Gefängnis damit rechnen, bei ihrer Rückkehr erneut inhaftiert und dabei von neuem Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung zu werden.

Eine interne Fluchtmöglichkeit steht der Klägerin, auch wenn es in Kamerun wohl kein zentrales Fahndungsregister gibt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 12.04.2013), nicht zur Verfügung. Selbst wenn die Klägerin nicht bei ihrer Rückkehr sofort verhaftet würde, wäre es ihr nicht ohne weiteres zumutbar, in einem anderen Landesteil Zuflucht zu suchen. Alleinstehende Frauen sind in Kamerun von Gewalt und Stigmatisierung bedroht. Sie.werden von potentiellen Arbeitgebern und Wohnungsvermietern für Prostituierte gehalten und zurückgewiesen. Nicht selten sind sie gezwungen, sich dann auch tatsächlich zu prostituieren, um eine Existenzgrundlage zu erwirtschaften (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Länderanalyse, Sozioökonomische Situation einer alleinstehenden Frau in Kamerun, 2011, S. 3 f.). [...]