Sofern nicht sicher davon ausgegangen werden kann, dass eine Person selbst Kenntnis von einem auf sie bezogenen Abschiebungstermin erlangt hat, liegen die Voraussetzungen zur Anordnung der Sichrungshaft gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht vor, wobei eine etwaige Kenntnis des Rechtsanwalts kein "Vertretenmüssen" im Sinne dieser Norm begründet.
[...]
1. Die Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG liegen nicht vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Betroffene gemäß dieser Vorschrift aus von ihm zu vertretenden Gründen zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen worden ist.
Es ist bereits fraglich, ob dem Betroffenen der Termin am 05.03.2015 wirksam angekündigt, d.h. in den Formen des Verwaltungsverfahrens bekannt gegeben wurde (§ 41 VwVfG; vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rn. 72). Nach den Darstellungen des Antragstellers wurde der Termin nicht dem Betroffenen selbst mitgeteilt, sondern durch Fax vom 19.02.2015 gegenüber Rechtsanwalt R., der für das Verfahren bevollmächtigt gewesen sein soll. Es ist nach Aktenlage schon nicht sicher feststellbar, ob das Fax Rechtsanwalt R. tatsächlich erreicht hat. Hierzu liegt lediglich ein Fax-Sendebericht vom 19.02.2015 vor (As. 93). Aus diesem ist nicht ersichtlich, welches Dokument übermittelt wurde und ob Rechtsanwalt R. das Schreiben mit der Androhung der Abschiebung tatsächlich zur Kenntnis bekommen hat. Ein entsprechendes Empfangsbekenntnis des Rechtsanwaltes oder ein sonstiger Nachweis der - von dem Betroffenen ersichtlich bestrittenen - Übermittlung liegen nicht vor. Auch ist fraglich, ob Herr Rechtsanwalt R. am 19.02.2015 in dem vorliegenden Verfahren überhaupt (noch) mandatiert war. Die von dem Antragsteller vorgelegte Vollmachtsurkunde vom 29.4.2014 (As. 311) bezieht sich auf ein Verfahren gegen die Stadt Heidelberg. Dass damit zugleich eine Bevollmächtigung im hiesigen Verfahren gegenüber dem Regierungspräsidium erteilt wurde, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Zudem hat der Betroffene bei seiner Anhörung mitgeteilt, dass er Rechtsanwalt R. bereits im Mai 2014 "das Mandat entzogen" habe. Immerhin erscheint diese Behauptung insofern zweifelhaft, als der Betroffene offensichtlich noch von dem früheren Termin am 29.01.2015 durch Rechtsanwalt R. Kenntnis erlangt hat. Auch ist fraglich, ob ein Widerruf, der dem Antragsteller nicht zur Kenntnis gelangt ist, die Fortdauer einer ggf. ihm gegenüber erklärten (Außen-)Vollmacht beseitigen könnte.
Letztlich kann dies dahingestellt bleiben und bedarf keiner weiteren Aufklärung, denn es steht unabhängig davon nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Betroffene zu dem für die Abschiebung angekündigten Termin am 05.03.2015 in der Gemeinschaftsunterkunft in Heidelberg aus von ihm zu vertretenden Gründen ferngeblieben ist.
Der Betroffene hat sein Fernbleiben von dem für die Abschiebung angekündigten Termin grundsätzlich nur dann zu vertreten, wenn er selbst Kenntnis von dem Abschiebungstermin (Abschiebungsversuch) erlangt hatte. Nur dann kann - wie auch in den weiteren Fällen, in denen ein Betroffener sich gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG "in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat" - von einem Sich-Entziehen im Sinne eines willentlichen und wissentlichen Vereitelns der bevorstehenden Abschiebung gesprochen werden (vgl. Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 62 AufenthG Rn.12; LG Stuttgart, Beschl. vom 1.10.2009 - 19 T 372/09 - StraFo 2010, 41, Rn. 9, juris).
Hier bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Betroffene selbst Kenntnis von dem Abschiebungstermin am 05.03.2015 hatte. Dass er durch Rechtsanwalt R. von der Terminsankündigung informiert worden ist, ist nicht nachgewiesen. Gegen die eigene Kenntnis des Betroffenen von dem Abschiebungstermin am 05.03.2015 sprechen seine detaillierten Schilderungen zu den Gründen seiner Abwesenheit. Der Betroffene hat nachvollziehbar dargetan, dass er am Folgetag auf einer Veranstaltung seiner Gemeinde am 06.03.2015 als Koch arbeiten sollte und mitsamt Gepäck am Vortag zu seiner Lebensgefährtin aufgebrochen ist, bei der er übernachten wollte und bei der er aktuell auch gemeldet ist. Dies deckt sich mit den Beobachtungen des Hausmeisters, der angegeben hat, den Betroffenen am 05.03.2015 etwa 50 Minuten vor dem geplanten Zugriff mit Umhängetasche und einem Koffer beim Verlassen der Unterkunft gesehen zu haben (Meldung d. Sachbearbeiters der Polizei v. 05.03.2015, As. 65). Dass die beschriebene kirchliche Veranstaltung tatsächlich stattgefunden hat, lässt sich anhand der von dem Betroffenen mit Schriftsatz vom 20.04.2015 mitgeteilten Internetadressen nachvollziehen. Es erscheint nach der Lebenserfahrung fernliegend, dass der Betroffene eine solche Verpflichtung übernommen und hierfür Vorbereitungen getroffen hätte, wenn er davon hätte ausgehen müssen, am Vortag abgeschoben zu werden. Dagegen, dass der Betroffene untertauchen und die Asylunterkunft dauerhaft verlassen wollte, spricht weiterhin, dass er sein Zimmer offensichtlich in einem Zustand zurückgelassen hat, der auch für die Beamten den Eindruck erweckt hat, als wolle er bald wiederkehren (vgl. die Meldung des Sachbearbeiters der Polizei v. 05.03.2015, As. 65). Tatsächlich ist der Betroffene vor dem Umzug zu seiner Lebensgefährtin in die Gemeinschaftsunterkunft zurückgekehrt, um seinen Schlüssel abzugeben.
Da wie oben ausgeführt der Betroffene selbst Kenntnis von dem Abschiebungstermin erlangt haben muss, begründet eine etwaige Kenntnis des Rechtsanwalts R. ein "Vertretenmüssen" des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auch dann nicht, wenn von einer wirksamen (Fortdauer seiner) Verfahrensbevollmächtigung auszugehen wäre. Hiervon zu unterscheiden ist die etwaige wirksame Vertretung des Betroffenen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens.
Kann nach allem nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffene Kenntnis von dem Abschiebetermin hatte, liegen die Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht vor. Für den hierin liegenden Eingriff in das grundrechtlich geschützte Freiheitsrecht müssen die gesetzlichen Haftvoraussetzungen positiv feststehen, Art. 2 Abs.2 S.2 und 3 i.V.m. Art. 104 Abs.1 GG (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 4.8. 2009 - 1 W 376/07, 1 W 379/07 -, Rn. 9, juris).
2. Auch die Voraussetzungen des Haftgrundes der Fluchtgefahr in § 62 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG liegen nicht vor. Es bestehen keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen will.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (s. etwa BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - V ZB 31/14 -, Rn. 26, juris m.w.N.) setzt der begründete Verdacht eines Entziehungswillens konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass dieser beabsichtigt, unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann.
Nach dieser Maßgabe kann die Kammer keinen hinreichend begründbaren Verdacht eines Entziehungswillens erkennen. Da nicht feststellbar ist, dass der Betroffene von dem Termin am 05.03.2015 Kenntnis hatte, lässt sein Fernbleiben an diesem Tag nicht auf einen Entziehungswillen schließen. Auch das übrige Verhalten des Betroffenen gibt keinen hinreichenden Anlass, von einem Entziehungswillen auszugehen. Allein die Tatsache, dass der Betroffene bislang, obgleich vollziehbar zur Ausreise verpflichtet, nicht freiwillig ausgereist ist, stellt keinen Haftgrund dar. Für sich gesehen gebietet das Unterbleiben einer freiwilligen Ausreise lediglich die Außerlandesbringung unter Anwendung von Zwang, also eben die Abschiebung (vgl. LG Stuttgart, Beschl. vom 1.10.2009 - 19 T 372/09 - StraFo 2010, 41, Rn. 10, juris). Entsprechend kann eine Fluchtgefahr nicht damit begründet werden, dass der Betroffene am 29.01.2015 möglicherweise passiven Widerstand geleistet hat. Denn ein solcher Widerstand kann schon durch unmittelbaren Zwang und nicht erst durch Sicherungshaft überwunden werden. Im Übrigen sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Entziehungswillen ersichtlich.
Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob, wie vom Betroffenen eingewandt, § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AufenthG gegen höherrangiges Recht verstößt. [...]