EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 24.06.2015 - C-373/13 (H.T. gegen Deutschland) (ASYLMAGAZIN 7-8/2015, S. 248 ff.) - asyl.net: M23011
https://www.asyl.net/rsdb/M23011
Leitsatz:

1. Die Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) ist dahin auszulegen, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen.

2. Die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, die in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus in seiner zur im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit geltenden Fassung aufgeführt ist, kann einen der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 darstellen, auch wenn die in Art. 21 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Um den Aufenthaltstitel eines Flüchtlings mit der Begründung, dieser unterstütze eine solche terroristische Vereinigung, gemäß Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie widerrufen zu können, müssen die zuständigen Behörden gleichwohl unter der Kontrolle der nationalen Gerichte eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung der spezifischen tatsächlichen Umstände vornehmen, die sich sowohl auf die Handlungen der betroffenen Vereinigung als auch auf die des betroffenen Flüchtlings beziehen. Wenn ein Mitgliedstaat die Ausweisung eines Flüchtlings verfügt, dessen Aufenthaltstitel aufgehoben worden ist, aber die Vollstreckung dieser Entscheidung aussetzt, ist es mit der Richtlinie 2004/83 unvereinbar, diesem Flüchtling den Zugang zu den durch das Kapitel VII dieser Richtlinie gewährleisteten Vergünstigungen zu versagen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Zurückweisung, öffentliche Sicherheit, öffentliche Ordnung, zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, anerkannter Flüchtling, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, terroristische Vereinigung, terroristische Handlungen, Widerruf, Aufenthaltstitel, PKK, Unterstützung, Ausweisung, Nichtzurückweisung, Non-Refoulement, Terrorismus, EU-Terrorliste,
Normen: RL 2004/83/EG Art. 24 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 21 Abs. 3, GFK Art. 33 Abs. 2, GR-Charta Art. 18, GR-Charta Art. 19 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Mit seiner ersten und seiner dritten Frage, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und unter welcher Voraussetzung ein Mitgliedstaat nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 berechtigt ist, den Aufenthaltstitel eines Flüchtlings zu widerrufen oder zu beenden, obwohl diese Vorschrift diese Möglichkeit im Gegensatz zu Art. 21 Abs. 3 dieser Richtlinie nicht ausdrücklich vorsieht. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, möchte es wissen, ob der Aufenthaltstitel eines Flüchtlings nur nach Art. 21 Abs. 2 und 3 der Richtlinie, wenn der Flüchtling nicht mehr vor einer Zurückweisung geschützt ist, oder auch nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie widerrufen werden kann.

Um diese Fragen zu beantworten, sind die jeweilige Tragweite von Art. 21 Abs. 2 und 3 und von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 sowie das Verhältnis dieser beiden Vorschriften zueinander zu untersuchen.

Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 verpflichtet die Mitgliedstaaten, den Grundsatz der Nichtzurückweisung in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zu achten. Art. 21 Abs. 2 dieser Richtlinie, dessen Wortlaut im Wesentlichen dem von Art. 33 Abs. 2 der Genfer Konvention entspricht, sieht allerdings eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor, indem er es in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellt, einen Flüchtling zurückzuweisen, wenn ihnen dies nicht aufgrund dieser völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist und wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, oder wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde. Hingegen enthält Art. 21 der Richtlinie keine Regelung für die Ausweisung eines Flüchtlings, dessen Zurückweisung nicht in Betracht kommt.

Wenn die Lage eines Flüchtlings die Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83 erfüllt, haben die Mitgliedstaaten, in deren Ermessen es liegt, einen Flüchtling zurückzuweisen oder von der Zurückweisung abzusehen, drei Möglichkeiten. Erstens können sie den betroffenen Flüchtling zurückweisen. Zweitens können sie ihn in einen Drittstaat ausweisen, in dem für ihn nicht die Gefahr besteht, verfolgt zu werden oder ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 dieser Richtlinie zu erleiden. Drittens können sie ihm erlauben, in ihrem Hoheitsgebiet zu verbleiben.

Ist eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83 möglich, sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie auch befugt, einen Aufenthaltstitel zu widerrufen, zu beenden oder seine Verlängerung bzw. die Erteilung eines Aufenthaltstitels abzulehnen. Sobald nämlich ein Flüchtling zurückgewiesen wird, braucht ihm kein Aufenthaltstitel mehr ausgestellt zu werden, er einen Aufenthaltstitel nicht mehr zu besitzen oder sein Aufenthaltstitel nicht verlängert zu werden. Wenn ein Flüchtling, wie die Generalanwältin in Nr. 62 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der genannten Richtlinie fällt, kann deshalb Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zur Anwendung kommen. Daher kann der Aufenthaltstitel eines Flüchtlings nicht gemäß Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 widerrufen werden, wenn ein Mitgliedstaat unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage stehen, gegen einen Flüchtling ein Verfahren einleitet, aber ihn mangels Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie nicht zurückweisen darf.

Damit stellt sich die Frage, ob unter solchen Umständen ein Mitgliedstaat den Aufenthaltstitel eines Flüchtlings jedenfalls nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie in einer mit dieser in Einklang stehenden Weise widerrufen kann.

Dazu ist festzustellen, dass diese Vorschrift ausdrücklich nur die Möglichkeit vorsieht, einen Aufenthaltstitel nicht zu erteilen, aber nicht die Möglichkeit seines Widerrufs oder seiner Beendigung. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten insbesondere dazu, einem Flüchtling so bald wie möglich einen Aufenthaltstitel auszustellen, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar ist. Von dieser Verpflichtung darf nur abgewichen werden, wenn der Ausstellung zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen.

Obwohl es keine ausdrückliche Vorschrift gibt, die die Mitgliedstaaten dazu ermächtigt, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 einen einem Flüchtling zuvor ausgestellten Aufenthaltstitel zu widerrufen, sprechen mehrere Gründe für eine Auslegung, die den Mitgliedstaaten eine derartige Maßnahme erlaubt.

So ist erstens festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie den Widerruf eines Aufenthaltstitels nicht ausdrücklich ausschließt.

Zweitens steht der Widerruf eines Aufenthaltstitels im Einklang mit dem Zweck dieser Vorschrift. Wenn die Mitgliedstaaten berechtigt sind, die Ausstellung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels abzulehnen, sofern zwingende Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dies rechtfertigen, müssen sie erst recht dazu befugt sein, einen solchen Aufenthaltstitel zu widerrufen oder zu beenden, wenn nach seiner Ausstellung derartige Gründe entstehen.

Drittens steht diese Auslegung auch mit der Systematik der Richtlinie 2004/83 im Einklang. Wie die Europäische Kommission zutreffend dargelegt hat, vervollständigt Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie deren Art. 21 Abs. 3 dadurch, dass er den betreffenden Mitgliedstaat implizit, aber notwendigerweise dazu ermächtigt, einen Aufenthaltstitel auch in Fällen zu widerrufen oder zu beenden, in denen die Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie nicht erfüllt sind, vorausgesetzt, dass dies durch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 der Richtlinie gerechtfertigt ist.

Folglich können die Mitgliedstaaten einen einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel entweder auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 widerrufen oder beenden, wenn dieser Flüchtling in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 dieser Richtlinie fällt, oder, ist das nicht der Fall, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine solche Maßnahme rechtfertigen.

Außerdem sprechen für diese Auslegung, wie die Generalanwältin in Nr. 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Vorarbeiten für die Richtlinie 2004/83, aus denen deutlich wird, dass Art. 24 Abs. 1 auf Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika in die Richtlinie eingefügt wurde. Diese Regelung wurde somit eingeführt, um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, unter bestimmten spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen. Diese Erwägungen zeigen somit, dass die genannte Vorschrift den Mitgliedstaaten, sofern die in ihr genannten Voraussetzungen erfüllt sind, stillschweigend auch die Möglichkeit gewährt, einen erteilten Aufenthaltstitel zu widerrufen.

Diese Auslegung ergibt sich ebenso aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83, Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, einen Aufenthaltstitel auszustellen, der mindestens drei Jahre gültig ist, denn diese Verpflichtung bringt als notwendige Folge die Möglichkeit mit sich, diesen Aufenthaltstitel zu widerrufen. In diesem Zusammenhang ist beispielhaft darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2003/109 ausdrücklich den Verlust der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten vorsieht, wenn eine Ausweisung verfügt worden ist.

Schließlich entspricht in diesem Kontext die Möglichkeit eines Mitgliedstaats, den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel zu widerrufen, offenkundigen logischen Erfordernissen. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass ein Mitgliedstaat, der einem Flüchtling einen Aufenthaltstitel ausgestellt hat, später durch bloßen Zufall von Handlungen erfährt, die dieser Flüchtling vor Erteilung des Aufenthaltstitels begangen hat und die, wenn der Mitgliedstaat rechtzeitig von ihnen erfahren hätte, der Ausstellung dieses Aufenthaltstitels aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegengestanden hätten. Es wäre aber unvereinbar mit dem der Richtlinie 2004/83 zugrunde liegenden Ziel, wenn in einer solchen Situation keine Möglichkeit bestünde, den bereits ausgestellten Aufenthaltstitel zu widerrufen. Diese Schlussfolgerung gilt erst recht, wenn der Flüchtling die ihm vorgeworfenen Handlungen erst begangen hat, nachdem ihm der fragliche Aufenthaltstitel erteilt wurde.

Nach alledem ist auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen.

Zur zweiten Frage

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung durch einen Flüchtling einen der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 darstellen kann, auch wenn dieser Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 dieser Richtlinie fällt.

Um dem vorlegenden Gericht hierauf eine zweckdienliche Antwort geben zu können, ist zunächst festzustellen, dass der in Art. 21 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 enthaltene Begriff "stichhaltige Gründe" und der in Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie verwendete Begriff "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" weder in diesen Vorschriften noch in einer anderen Vorschrift der Richtlinie definiert sind.

In diesem Zusammenhang sind die Bedeutung und die Tragweite dieser Begriffe nach ständiger Rechtsprechung unter Berücksichtigung sowohl des Wortlauts als auch des Kontexts der betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften sowie der Ziele zu bestimmen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (vgl. insbesondere Urteile Lundberg, C-317/12, EU:C:2013:631, Rn. 19, und Bouman, C-114/13, EU:C:2015:81, Rn. 31), sowie im vorliegenden Fall ferner der Entstehungsgeschichte dieser Regelung (vgl. entsprechend Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 135).

Was den Wortlaut von Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 angeht, so ist, wie die Kommission ausgeführt hat, zu beachten, dass diese Richtlinie hinsichtlich der Voraussetzungen, denen die in diesen Vorschriften vorgesehenen Ausnahmen unterliegen, Formulierungsunterschiede in ihren jeweiligen Sprachfassungen – und somit eine gewisse Inkohärenz – aufweist. Hinzu kommt, dass in der deutschen Fassung von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie andere Worte verwendet werden als in der deutschen Fassung von Art. 33 Abs. 2 der Genfer Konvention ("stichhaltige Gründe" anstatt "schwerwiegende Gründe"), während die englische und die französische Fassung des Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie beide den in der englischen bzw. französischen Fassung von Art. 33 Abs. 2 der Genfer Konvention verwendeten Begriff ("reasonable grounds" und "raisons sérieuses") wiederholen.

Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung, wenn zwischen den einzelnen Sprachfassungen eines Rechtstexts Unterschiede bestehen, die fragliche Vorschrift im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Europäischen Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden muss (Urteil M. u. a., C-627/13 und C-2/14, EU:C:2015:59, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung kann nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen. Eine solche Vorgehensweise wäre nämlich mit dem Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts unvereinbar (vgl. in diesem Sinne Urteil M. u. a., C-627/13 und C-2/14, EU:C:2015:59, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Textes des Unionsrechts voneinander ab, muss daher die fragliche Bestimmung anhand ihres Zusammenhangs und der Ziele ausgelegt werden, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil M. u. a., C-627/13 und C-2/14, EU:C:2015:59, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass einer Person die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, wenn sie die im Unionsrecht festgelegten Mindestnormen erfüllt. Nach Art. 13 der Richtlinie 2004/83 erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III dieser Richtlinie erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu. Aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie, wonach die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein deklaratorischer Akt ist, geht hervor, dass die Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht über kein Ermessen verfügen.

Außerdem ergibt sich aus Art. 78 Abs. 1 AEUV, dass die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl entwickelt, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, "der internationalen Schutz benötigt", "ein angemessener Status" angeboten und die "Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung" gewährleistet werden soll.

Überdies ist dieser Grundsatz der Nichtzurückweisung in den Art. 18 und 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union als Grundrecht gewährleistet.

Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 wird in dieser Hinsicht klargestellt, dass die Richtlinie die Grundrechte achtet und insbesondere die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätze befolgt, indem sie die uneingeschränkte Wahrung der Menschenrechte, des Asylrechts für Asylsuchende und die sie begleitenden Familienangehörigen sicherstellt.

Daher benennt es der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 als deren wesentliches Ziel, zum einen ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und außerdem sicherzustellen, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.

Art. 21 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 setzen insoweit die Rechte, die das Unionsrecht jeder Person zuerkennt, um ihr einen dauerhaften Schutz vor Verfolgung zu gewährleisten, in positives Recht um. Diese beiden Vorschriften gehören im Übrigen zu Kapitel VII mit der Überschrift "Inhalt des internationalen Schutzes" der Richtlinie, in dem die Vergünstigungen festgelegt sind, die diejenigen Personen in Anspruch nehmen können, die einen Antrag auf Anerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft oder auf subsidiären Schutz gestellt haben und deren Antrag stattgegeben wurde.

Auch wenn indessen, wie oben in Rn. 50 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, zwischen Art. 21 Abs. 2 und 3 und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht nur eine gewisse Überschneidung besteht, weil beide Vorschriften die für die Mitgliedstaaten bestehende Möglichkeit betreffen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels abzulehnen, einen Aufenthaltstitel zu widerrufen oder zu beenden oder seine Verlängerung abzulehnen, sondern ebenso eine Komplementarität, steht gleichwohl fest, dass die beiden Vorschriften gesonderte Anwendungsbereiche haben und zu verschiedenen rechtlichen Regelungen gehören.

In Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 ist der Grundsatz niedergelegt, dass Flüchtlinge normalerweise vor einer Zurückweisung geschützt sind. Hingegen sieht Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor und erlaubt die Zurückweisung eines Flüchtlings – unabhängig davon, ob er als solcher förmlich anerkannt ist oder nicht – entweder nach Buchst. a dieses Absatzes, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, oder nach Buchst. b dieses Absatzes, wenn der Flüchtling eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.

Die Zurückweisung eines Flüchtlings bildet, auch wenn sie durch die Ausnahmebestimmung von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83 grundsätzlich zugelassen wird, nur die ultima ratio für einen Mitgliedstaat, wenn keine andere Maßnahme mehr möglich oder ausreichend ist, um der Gefahr entgegenzutreten, die von diesem Flüchtling für die Sicherheit oder die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats ausgeht. Wenn ein Mitgliedstaat gemäß Art. 14 Abs. 4 dieser Richtlinie die einer Person zuerkannte Flüchtlingseigenschaft aberkennt, beendet oder ihre Verlängerung ablehnt, kann diese Person gemäß Abs. 6 dieses Artikels u. a. die in den Art. 32 und 33 der Genfer Konvention genannten Rechte geltend machen.

Die Folgen, die die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen Ausnahme für den betroffenen Flüchtling hat, können, wie die Generalanwältin in Nr. 81 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, äußerst einschneidend sein, denn er kann in ein Land zurückgeschickt werden, in dem er der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Aus diesem Grund unterwirft diese Vorschrift eine Zurückweisung strengen Voraussetzungen, da insbesondere nur ein Flüchtling, der wegen einer "besonders schweren Straftat" rechtskräftig verurteilt wurde, als eine "Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats" im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann. Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, steht die Zurückweisung des betroffenen Flüchtlings überdies nur im Ermessen der Mitgliedstaaten, die darin frei bleiben, sich für andere, weniger einschneidende Optionen zu entscheiden.

Hingegen betrifft Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83, dessen Wortlaut abstrakter als der von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie gefasst ist, nur die Versagung eines Aufenthaltstitels für einen Flüchtling und dessen Widerruf, nicht jedoch die Zurückweisung dieses Flüchtlings. Diese Vorschrift betrifft somit lediglich Fälle, in denen die Gefahr, die von dem fraglichen Flüchtling für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die Allgemeinheit des fraglichen Mitgliedstaats ausgeht, nicht den Verlust des Flüchtlingsstatus und erst recht nicht die Zurückweisung des Flüchtlings rechtfertigen kann. Aus diesem Grund setzt die Anwendung der in Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung nicht das Vorliegen einer besonders schweren Straftat voraus.

Die Folgen, die die Aufhebung des Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 für den Flüchtling hat, sind demnach weniger einschneidend, weil diese Maßnahme nicht zur Aberkennung seines Flüchtlingsstatus und erst recht nicht zu seiner Zurückweisung gemäß Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie führen kann.

Daraus folgt, dass der Begriff der "zwingenden Gründe" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie hat und dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, der es einem Mitgliedstaat erlaubte, auf die Ausnahmeregelung von Art. 21 Abs. 2 der genannten Richtlinie zurückzugreifen und eine Zurückweisung zu verfügen, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen.

Nach dieser Feststellung ist hinsichtlich der speziellen Frage des vorlegenden Gerichts, ob die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung einen der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 darstellen kann, daran zu erinnern, dass die Begriffe "öffentliche Sicherheit" und "öffentliche Ordnung" in dieser Vorschrift nicht definiert sind.

Der Gerichtshof hatte allerdings bereits Gelegenheit, die in den Art. 27 und 28 der Richtlinie 2004/38 verwendeten Begriffe der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" auszulegen. Auch wenn diese Richtlinie andere Ziele als die Richtlinie 2004/83 verfolgt und es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (Urteil I., C-348/09, EU:C:2012:300, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung), kann der Umfang des Schutzes, den eine Gesellschaft ihren grundlegenden Interessen gewähren will, nicht je nach der Rechtsstellung der Person, die ihre Interessen beeinträchtigt, unterschiedlich ausfallen.

Um den Begriff "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 auszulegen, ist daher zunächst zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst (vgl. insbesondere Urteil Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung) und dass daher die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können (Urteil Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 44). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof weiter befunden, dass der Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne dieses Art. 28 Abs. 3 nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraussetzt, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist, der im Gebrauch des Ausdrucks "zwingende Gründe" zum Ausdruck kommt (Urteil Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 41).

Ferner hat der Gerichtshof den in der Richtlinie 2004/38, insbesondere in deren Art. 27 und 28, enthaltenen Begriff der öffentlichen Ordnung dahin ausgelegt, dass er jedenfalls voraussetzt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. insbesondere Urteil Byankov, C-249/11, EU:C:2012:608, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

In diesem Zusammenhang ist, was speziell die Richtlinie 2004/83 angeht, darauf hinzuweisen, dass gemäß ihrem 28. Erwägungsgrund der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass in Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) in seiner zur im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit geltenden Fassung (im Folgenden: Gemeinsamer Standpunkt 2001/931) festgelegt ist, was unter dem Ausdruck "terroristische Handlung" zu verstehen ist, und dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts aufgeführt ist.

Nach alledem bildet die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteilwerden lässt, welche Handlungen begeht, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 fallen, grundsätzlich einen Umstand, der belegen kann, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 erfüllt sind.

Die Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 ist daher, wie die Generalanwältin in Nr. 95 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein. Ein solcher Umstand ist daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen hat, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen hat.

Es ist somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 bedrohen können. Insoweit hat der Gerichtshof zu Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssen (Urteil B und D, C-57/09 und C-101/09, EU:C:2010:661, Rn. 81).

85 Ferner hat der Gerichtshof festgestellt, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (Urteil B und D, C-57/09 und C-101/09, EU:C:2010:661, Rn. 83). Daraus folgt, dass sich ein Mitgliedstaat beim Vorliegen solcher Handlungen auf das Bestehen zwingender Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 berufen könnte, um die in dieser Vorschrift vorgesehene Ausnahmeregelung anzuwenden.

Nachdem die zuständige Behörde diese Prüfung vorgenommen hat, muss sie in einem zweiten Schritt die genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, einer Würdigung unterziehen, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation, wie sie im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens bei Herrn T. vorgelegen zu haben scheinen, in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 fällt.

Auch wenn nämlich die Handlungen einer Organisation, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, unter den Ausnahmetatbestand von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 fallen können, kann allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt hat, nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben (vgl. entsprechend Urteil B und D, C-57/09 und C-101/09, EU:C:2010:661, Rn. 88).

Zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 besteht hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es ist nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht zieht, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stützt, die in einer Liste aufgeführt ist, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil B und D, C-57/09 und C-101/09, EU:C:2010:661, Rn. 89).

Für das Ausgangsverfahren folgt daraus, dass die Umstände, unter denen die von Herrn T. unterstützte Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgenommen wurde, nicht mit einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände vergleichbar sind, die jeder Entscheidung, einem Flüchtling gemäß Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 den Aufenthaltstitel zu entziehen, vorausgehen muss (vgl. entsprechend Urteil B und D, C-57/09 und C-101/09, EU:C:2010:661, Rn. 91).

Das vorlegende Gericht muss daher im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der von der zuständigen Behörde vorgenommenen Beurteilung die Rolle prüfen, die Herr T. im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat, indem es insbesondere untersucht, ob Herr T. selbst terroristische Handlungen begangen hat, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft hat.

Im vorliegenden Fall ergibt sich hinsichtlich der Unterstützungshandlungen von Herrn T. zugunsten der PKK aus den Akten, dass er an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt hat. Das Vorliegen derartiger Handlungen bedeutet jedoch nicht notwendig, dass ihr Urheber die Auffassung vertreten hätte, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht sind derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen.

In diesem Zusammenhang muss das vorlegende Gericht auch den Schweregrad der Gefahr beurteilen, die von den Handlungen des Herrn T. für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Es hat insbesondere zu prüfen, ob ihm eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden kann. Auch wenn in diesem Zusammenhang die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung von Herrn T. am 3. Dezember 2008 zu berücksichtigen ist, muss das vorlegende Gericht in Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren hatte, gleichwohl untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt haben mag, zu dem Zeitpunkt, zu dem die im Ausgangsverfahren streitige Entscheidung erging, noch immer bestand.

Ferner hat das vorlegende Gericht insoweit den Umstand zu berücksichtigen, dass Herr T. zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, und die Frage zu klären, ob in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen "zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 vorlagen, die eine Aufhebung des Aufenthaltstitels von Herrn T. rechtfertigen.

94 Nach diesen Klarstellungen ist weiter darauf hinzuweisen, dass die Anwendung der in Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 normierten Ausnahme als Erstes zur Folge hat, dass der betroffene Flüchtling seinen Aufenthaltstitel verliert, selbst wenn ihm, wie im Ausgangsverfahren, auf einer anderen Rechtsgrundlage gestattet wird, sich weiterhin rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufzuhalten.

Insoweit ist jedoch hervorzuheben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern nicht und solange nicht ihm dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er selbst nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Anders gesagt, es liegt nicht im Ermessen eines Mitgliedstaats, einem Flüchtling die diesem nach der Richtlinie zustehenden substanziellen Vergünstigungen weiterhin zu gewähren oder zu versagen.

Auch wenn laut dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 die Mitgliedstaaten innerhalb der durch die internationalen Verpflichtungen vorgegebenen Grenzen festlegen können, dass "Leistungen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Sozialhilfe, zur medizinischen Versorgung und zu Integrationsmaßnahmen nur dann gewährt werden können, wenn vorab ein Aufenthaltstitel ausgestellt worden ist", bezieht sich die damit aufgestellte Bedingung lediglich auf Schritte rein verwaltungstechnischer Art, da das Kapitel VII der Richtlinie das Ziel verfolgt, Flüchtlingen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen zu gewährleisten. Da im Übrigen dieser Erwägungsgrund in den Vorschriften der genannten Richtlinie keine Entsprechung findet, kann er keine Rechtsgrundlage bilden, um den Mitgliedstaaten im Fall der Aufhebung des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings eine Schmälerung der durch dieses Kapitel VII gewährleisteten Vergünstigungen zu gestatten.

Da diese Rechte von Flüchtlingen die Folge der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und nicht der Ausstellung des Aufenthaltstitels sind, muss der Flüchtling, solange er diesen Status innehat, in den Genuss der ihm damit durch die Richtlinie 2004/83 verliehenen Rechte gelangen, und diese dürfen nur nach Maßgabe der in Kapitel VII vorgesehenen Voraussetzungen eingeschränkt werden, weil die Mitgliedstaaten nicht zur Hinzufügung von Beschränkungen befugt sind, die dort nicht vorgesehen sind.

Im Hinblick auf das Ausgangsverfahren ist daher der aus den Akten, die dem Gerichtshof vorgelegt worden sind, hervorgehende Umstand, dass der aus der Ausweisungsverfügung ohne Weiteres folgende Widerruf des Aufenthaltstitels von Herrn T. Auswirkungen auf dessen Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung und zu weiteren sozialen Rechten hatte, weil der Genuss dieser Rechte nach deutschem Recht an den ordnungsgemäßen Besitz eines Aufenthaltstitels geknüpft ist, mit der Richtlinie 2004/83 unvereinbar. [...]