Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen konkreter Gefahr einer erheblichen Gesundheitsverschlechterung (bei chronischer Hepatitis C) aufgrund fehlender Finanzierbarkeit der medikamentöse Behandlung in der Demokratischen Republik Kongo.
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Dem Kläger ist jedoch Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzuerkennen, weil er an einer chronischen Hepatitis C leidet. Das Bestehen der Erkrankung hat der Kläger durch die beiden ärztlichen Atteste des Universitätsklinikums Gießen und Marburg vom 07.07.2011 und vom 09.12.2013 nachgewiesen. Die Krankheit wird seitens der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - kann die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung im Einzelfall einer solche erhebliche konkrete Gefahr darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 -; BVerwG, Urteil vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383; BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973; BVerwG, Urteil vom 21.09.1999 - 9 C 8.99 -, NVwZ 2000, 206).
Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde und die Gefahrenlage auch nicht durch eigenes zumutbares Verhalten ausräumbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.08.2011 - 10 B 13.11 u.a. -; BVerwG, Urteil vom 25.11.1997, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.07.1999, a.a.O.). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 -, DVBl 2003, 463; Hess. VGH, Urteil vom 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A -, ESVGH 53, 231). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen. An die Qualität und Dichte der Gesundheitsversorgung im Abschiebungszielland einschließlich Kostenbeteiligung des Betroffenen können allerdings keine der hiesigen Gesundheitsversorgung entsprechenden Anforderungen gestellt werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2004 - 18 B 2661/03 -, AuAS 2005, 31).
Bei Anwendung dieser Grundsätze gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Dies ergibt sich aus der Erkrankung des Klägers an einer chronischen Hepatitis C, die ausweislich der vorgelegten ärztlichen Atteste trotz gewissenhafter Teilnahme des Klägers an der Therapie nicht zur Ausheilung gebracht werden konnte.
Die Gesundheitsversorgung in der Demokratischen Republik Kongo ist seit Jahren unverändert schlecht bis katastrophal. Nur wenn ein Patient über die notwendigen Geldmittel verfügt, können Krankheiten diagnostiziert und auch dann nur mit Einschränkungen angemessen behandelt werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Republik Kongo vom 06.11.2013).
Die Behandlungskosten bei einer chronischen Hepatitis C wurden im Jahr 2006 auf etwa 150,- Euro monatlich geschätzt - tragbar nur von wohlhabenden Patienten (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kinshasa an VG Düsseldorf vom 16.05.2006; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kinshasa an VG München vom 28.04.2006). Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten heute geringer liegen könnten, gibt es nicht. Die schlechte medizinische Versorgungslage hat sich seit Jahren nicht verändert (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O.). Deshalb musste auch nicht der Anregung der Beklagten folgend eine aktuelle Auskunft zur Behandelbarkeit der Hepatitis C in der Demokratischen Republik Kongo eingeholt werden.
Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Kosten für seine medizinische Behandlung aufbringen könnte, selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger vor seiner Flucht möglicherweise zur eher wohlhabenden Bevölkerungsschicht gehört hat. Durch seine Ausreise hat der Kläger seine materiellen Güter ebenso wie seine Verdienstmöglichkeiten aufgegeben. Selbst wenn er im Falle der Rückkehr an solche ebenso wie an frühere Kontakte möglicherweise wieder anknüpfen könnte, so wäre er aufgrund der chronischen Erkrankung nicht imstande, seine Arbeitskraft in ausreichendem Maße einzusetzen. Möglich wäre dies zwar eventuell noch, um für das unmittelbare eigene Überleben zu sorgen, nicht aber, um die zusätzlichen finanziellen Belastungen durch die notwendige medizinische Behandlung zu sichern.
Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt am Rande des Existenzminimums. Auch innerhalb der Großfamilie gelingt es nicht immer, Härten durch wechselseitige Unterstützung aufzufangen. Die Stadtbevölkerung in der Millionenstadt Kinshasa ist immer weniger in der Lage, mit städtischer Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O.).
Dabei muss die voraussichtlich aufzubringende Summe von 150,- Euro monatlich in das Verhältnis des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens gesetzt werden, nach Auskunft des Auswärtigen Amtes lag dies im Jahr 2012 bei 230 US-Dollar im Jahr (vgl. www.auswaertiges-amt.de/[...]). Derzeit liegt es wohl etwas höher bei 382 US-Dollar pro Jahr (vgl. de.wikipedia.org/[...]). Der Vergleich der Zahlen zeigt, wie gering die Chance sein wird, zusätzlich zum eigenen Existenzminimum noch 150,- Euro im Monat zu erwirtschaften.
Fehlt es damit im Falle dem Kläger an einer realistischen Erreichbarkeit der notwendigen medikamentösen Behandlungen, würde er im Falle seiner Rückkehr um sein Leben fürchten müssen, weil er seiner Krankheit, ihrem chronischen Verlauf und den damit einhergehenden Folgen (insbesondere Leberzirrhose) ungeschützt ausgeliefert wäre. Damit wäre er einer extremen individuellen Gefahrensituation - der Schwere nach vergleichbar bei einer extremen allgemeinen Gefahrensituation im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - ausgesetzt. Die Voraussetzungen für ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind daher gegeben. [...]