OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.01.2015 - 3 B 16.09 - asyl.net: M23018
https://www.asyl.net/rsdb/M23018
Leitsatz:

Eine deutliche Parteinahme und Unterstützung terroristischer Kämpfer in den Krisengebieten der Welt erfüllt den Tatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG.

Eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. die Sicherheit der Bundesrepublik stellt allerdings nicht notwendigerweise bereits dar, wer dem politischen Salafismus zuzurechnen ist, der in letzter Konsequenz die Errichtung eines universellen islamischen Staatswesens anstrebt.

Schlagwörter: Ausweisung, terroristische Vereinigung, Unterstützung, Islamisten, Mudjaheddin, freiheitliche demokratische Grundordnung, Salafisten,
Normen: AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 8a, AufenthG § 54 Nr. 5a,
Auszüge:

[...]

Auch mit den von dem Beklagten in dem angefochtenen Bescheid in Bezug genommenen Äußerungen des Jahres 2004 hat der Kläger den Tatbestand des Billigens und Werbens i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG erfüllt. Dies gilt jedenfalls für die Predigten vom 15. Oktober 2004 und vom 29. Oktober 2004, die dem Senat durch das Behördenzeugnis der Verfassungsschutzbehörde vom 25. Juli 2011 und die hierzu auf den Beweisbeschluss vom 30. Januar 2013 übersandten Unterlagen vorliegen. Die darin enthaltenen Äußerungen des Klägers,

"Gott schütze die Mujahidin (in) Tschetschenien, Palästina und im Irak. Gott wird dafür sorgen, dass die Feinde des Islams in die Hölle kommen; er wird sie schwach und hilflos machen" (Predigt vom 15. Oktober 2004),

sowie

"Gott schütze unsere Mujahidin in Palästina und im Irak, Gott lasse bitte einen Tornado über alle Feinde des Islam hinwegfegen, mache sie kaputt und zerstöre sie bitte" (Predigt vom 29. Oktober 2004),

stellen eine deutliche Parteinahme und Unterstützung terroristischer Kämpfer in den genannten Krisengebieten dar. Dabei ist insbesondere die Wertung des Beklagten nicht zu beanstanden, dass der Kläger den Begriff "Mujahidin" hierbei in einem militanten Sinne – also als "Gotteskrieger", der im militanten Jihad für den Sieg des Islam kämpft und fällt - verwendet habe und auch so von seinen Zuhörern verstanden worden sei. Zu beachten ist insoweit, dass § 55 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG bei mehrdeutigen Äußerungen im Hinblick auf die durch Art 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsfreiheit auszulegen ist und andere mögliche, nicht völlig fern liegende Deutungen als die vom Gericht zugrunde gelegte zuvor mit schlüssigen Gründen auszuschließen sind (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. März 2012 – OVG 3 B 2.11 -, juris Rn. 28 m.w.N.). Hier überzeugt es jedoch insbesondere im Hinblick auf die Bezugnahme des Klägers auf damals maßgebliche Krisengebiete und Zentren terroristischer Anschläge sowie die unmittelbare Verbindung der Fürbitten mit kriegerisch-aggressiven Verwünschungen der "Feinde des Islam" nicht, wenn dieser behauptet, er beziehe sich tatsächlich nur auf die Gläubigen, die Tyrannei und Unrecht erdulden müssten. Zudem belegt ein Vergleich mit der Predigt vom 12. November 2004, in der der Kläger ausweislich des vorliegenden Quellenberichtes der Verfassungsschutzbehörde erklärt hat, dass er "zum Schutz der Menschen in Falludsha bzw. im gesamten Irak und für die Menschen in Palästina gebetet" habe, dass er in den hier in Rede stehenden Predigten nach Wortwahl und Kontext einen deutlich militanten Ton gewählt und mit den "Mujahidin" gerade die Akteure terroristischer Anschläge gewürdigt hat. Die Benennung Tschetscheniens – zu Recht verweist der Beklagte auf die seinerzeit ein breites Echo hervorrufende Geiselnahme von Beslan am 1. September 2004 -, Palästinas und des Irak konkretisiert zudem die von dem Kläger gebilligten Taten hinrei - chend, insbesondere ist davon auszugehen, dass sich der seinerzeit aktuell-politische Bezug der hierfür offenen Zuhörerschaft aufdrängte.

Soweit der Beklagte zur Begründung seiner Verfügung darauf verweist, dass der Kläger durch sein Verhalten im weiteren Verlauf des Verfahrens erneut Ausweisungsgründe gesetzt habe, ist auch dies rechtlich nicht zu beanstanden. Jedenfalls durch seine Äußerungen in den Predigten des Jahres 2011 erfüllt der Kläger den Tatbestand des Werbens für terroristische Taten gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG. In seiner Predigt 9 kritisiert er die Vernachlässigung des Jihad, den er als die Fähigkeit bezeichnet, "Feinde zu bekämpfen und (…) Widerstand zu leisten", propagiert das "Recht auf den Widerstand gegen Israel" und erklärt:

"Wir wollen eine sunnitische Widerstandsbewegung, die Israel bekämpft, genauso wie Hizb Allah Israel bekämpft." (Behördenzeugnis der Verfassungsschutzbehörde vom 30. Juli 2012, S. 10 f.)

Gerade diese Bezugnahme auf die Hizb Allah zeigt, dass der Kläger nicht lediglich politisch zum israelisch-palästinensischen Konflikt Stellung bezieht, sondern zur Durchsetzung seiner politischen Ziele die Anwendung terroristischer Mittel befürwortet und dafür wirbt. Bereits zuvor personifiziert er den von ihm verwendeten Begriff des Widerstands mit dem Zusatz "HAMAS und den Leuten des Jihad" (Predigt 9, Behördenzeugnis der Verfassungsschutzbehörde vom 30. Juli 2012, S. 6).

Der Begriff des Jihad wiederum erschließt sich aus Kontext der Predigten in einem militanten Sinne, wenn der Kläger etwa in seiner Predigt 10 erklärt: "Manche Leute haben den Weg des Jihad eingeschlagen. Sie sagen: Ich bekämpfe so lange die ungerechten Herrscher und diejenigen von den Amerikanern, die sie eingesetzt haben, bis die Sache zu einem Ende kommt" (Behördenzeugnis der Verfassungsschutzbehörde vom 30. Juli 2012, S. 3).

Die durch diese Äußerungen erfolgte Tatbestandsverwirklichung ist dem Kläger auch ungeachtet des Umstandes, dass er sich zu dieser Zeit nicht im Bundesgebiet aufhielt, zuzurechnen. Die Predigten waren durch ihre Einstellung auf der Internetseite der A.-Moschee für Gläubige in der Bundesrepublik verfügbar. Dabei kann dahin stehen, wer für diese Einstellung unmittelbar verantwortlich zeichnete. Denn der Kläger, der jahrelang als Imam an der Moschee tätig gewesen war, unterhielt ersichtlich auch nach seiner Ausreise enge Kontakte zur ... Nachdem er im Jahr 2004 zunächst noch vorübergehende Aufenthalte in Berlin dafür genutzt hatte, selbst in der Moschee zu predigen, stand er auch nach seiner Ausweisung jedenfalls bis ins Jahr 2009 hinein durch seine auf der Homepage der Moschee veröffentlichte Telephon- und Faxnummer für Fragen der Gläubigen zur Verfügung. Dies lässt auch für die Folgezeit den Schluss zu, dass er die Veröffentlichung seiner Predigten zumindest gebilligt hat, zumal er selbst nicht behauptet, dass die Veröffentlichung entgegen seinem Willen erfolgt sei.

Die Äußerungen sind auch, wie nach § 55 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG erforderlich, geeignet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören. Maßgeblich ist, ob die begründete Besorgnis besteht, dass in Personen die Bereitschaft zur Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geweckt oder verstärkt wird, was voraussetzt, dass die Äußerungen von denen, an die sie gerichtet sind, ernst genommen werden und geeignet sind, Wirksamkeit zu entfalten. Da der Tatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG Äußerungen und Handlungen erfasst, die das friedliche Zusammenleben gefährden, muss die Störung zudem aktuell sein, also einen Bezug zur Gegenwart haben (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil om 19. März 2012 – OVG 3 B 2.11 -, juris Rn. 25; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Oktober 2009 – 7 A 10165/09 -, juris Rn. 32; zum Ganzen auch Discher in: GK-AufenthG § 55 Rn. 1081 ff.). [...]