VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2014 - A 2 K 127/12 - asyl.net: M23036
https://www.asyl.net/rsdb/M23036
Leitsatz:

Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund psychischer Erkrankung und eingeschränkter Möglichkeiten sowie fehlender finanzieller Mittel für eine angemessene Behandlung in Togo.

Schlagwörter: Togo, Genitalverstümmelung, psychische Erkrankung, Abschiebungsverbot, Posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen besteht im Falle der Klägerin ein Abschiebungsverbot. Auf Grund der zahlreichen vorliegenden fachärztlichen Atteste, der vorliegenden Stellungnahmen und Behandlungsunterlagen der Hausärztin der Klägerin und des persönlichen Eindrucks, den sich die Berichterstatterin während der ausführlichen Anhörung vom 14.11.2013 und der weiteren Begegnung mit der Klägerin anlässlich des Termins vom 01.07.2014 bilden konnte, ist die Berichterstatterin überzeugt, dass die Klägerin auf Grund einer bei ihr vorliegenden psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankung im Falle einer Rückkehr nach Togo auf Grund zielstaatsbezogener Umstände der Gefahr einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung ausgesetzt wäre.

Die Klägerin hat zahlreiche Unterlagen, Briefe und Atteste zur ihrer gesundheitlichen Verfassung vorgelegt. Neben dem psychodiagnostischen Befund vom 14.04.2010, in dem eine chronische posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Major Depression mittelschwerer Ausprägung diagnostiziert wird, liegen u.a. auch die Berichte des Neurologen und Psychiater Dr. ... vom 01.03.2011 und vom 16.04.2012 sowie des Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. ... vom 19.11.2012, vom 15.05.2012 und vom 05.02.2014 vor. Die Klägerin befand sich danach zunächst bei Dr. ... in Behandlung und stellte sich am 27.04.2012 bei Dr. ... vor, bei dem sie seitdem in Behandlung ist. Vom 02.05. bis 10.05.2012 befand sie sich in stationärer Behandlung im Klinikum Friedrichshafen. Diagnostiziert wurde dort u.a. auch eine posttraumatische Belastungsstörung. Auch anlässlich der in diesem Zusammenhang erfolgten Vorstellung der Klägerin in der ... Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am 04.05.2012 hat die behandelnde Ärztin Frau ... (u.a. Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie) wurde die Verdachtsdiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt (vgl. die Arztbriefe vom 04. und 08.05.2012). Einen Hinweis auf den Gesundheitszustand liefern auch die zahlreichen Vorstellungen bei der Hausärztin Dr. ..., die zwar nicht als Fachärztin, aber durchgängig behandelnde Ärztin in den von ihr am übersandten Unterlagen zur Behandlung der Klägerin sowie mit Schreiben vom 19.01.2014, vom 02.02.2014 und vom 05.02.2014 Stellungnahmen gegenüber dem Gericht abgegeben hat und von einer drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Togo ausgeht, Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. ... hat die bereits durch die psychologische Ambulanz für Flüchtlinge der Universität Konstanz getroffene Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bestätigt.

Die - insbesondere auch fachärztlichen - Unterlagen und Stellungnahmen zur Behandlung der Klägerin bestätigen den persönlichen Eindruck, den die Berichterstatterin von der Klägerin im Zusammenhang mit den beiden durchgeführten Verhandlungsterminen gewonnen hat. Im Rahmen des Termins vom 14.11.2013 wurde die Klägerin ausführlich informatorisch angehört. Sie hat insbesondere ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit der an ihr vorgenommenen Genitalverstümmelung im Alter von 15 Jahren eindringlich geschildert. Die Berichterstatterin erachtet diese Angaben für glaubhaft, zumal sie mit den Angaben, die im Rahmen der diversen Behandlungen schriftlich festgehalten wurden, übereinstimmen. Die Klägerin vermittelte bei ihrer Anhörung einen sehr emotionalen und aufgewühlten Eindruck, der nach europäischen Maßstäben fast theatralisch wirkt. Dieses emotionale Auftreten der Klägerin zeigte sich im Termin vom 14.11.2013 und auch anlässlich des weiteren Termins vom 01.07.2014, in dem die Klägerin im Hinblick auf die bereits getätigten Angaben, aber auch weil ein eingehendes Gespräch mit ihr auf Grund der für sie augenscheinlich belastenden Situation nicht zu erwarten war, nicht nochmals angehört wurde. Der so gewonnene Eindruck passt zu den Feststellungen, die der behandelnder Psychiater und die Hausärztin getroffen haben. Auf Grundlage der ärztlichen Feststellungen und des persönlichen Eindrucks ist die Berichterstatterin überzeugt, dass die Klägerin an einer psychischen Erkrankung leidet. Diese beruht - wie verschiedenen ärztlichen Stellungnahmen zu entnehmen ist - auf unterschiedlichen Komponenten, hierunter auch der Umstand, dass die Klägerin selbst und auch zwei ihrer Töchter eine Genitalverstümmelung erleiden mussten. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, inwieweit eine Genitalverstümmelung bei der Klägerin im Alter von 15 Jahren nun Ursache einer zuvor in ihren Asylverfahren nicht erwähnten Erkrankung sein soll. Allerdings ist die Erkrankung der Klägerin nicht allein auf dieses Erlebnis zurückzuführen, sondern die Problematik der Genitalverstümmelung ist "nur" eine wesentliche Ursache. Nachvollziehbar und glaubhaft hat die Klägerin die zeitliche Entwicklung, insbesondere im Hinblick auf ihre drei Töchter geschildert. An ihrem ältesten Kind, der Tochter ..., wurde im Alter von 12 Jahren die Genitalverstümmelung vorgenommen, weswegen diese in der Folge hinkte und dauerhaft gesundheitliche Probleme hatte. Nach ihrem Sohn ... ist als drittes Kind ihre Tochter ... geboren, die im Alter von 19 Jahren im Jahre 2011 infolge der bei ihr vorgenommenen Genitalverstümmelung verstorben ist. Glaubhaft sind die Angaben der Klägerin über die Vornahme derartiger Genitalverstümmelungen auch im Hinblick darauf, dass es sich hierbei um ein in Togo praktiziertes Phänomen handelt, auch wenn diese durch Gesetz verboten ist (vgl. hierzu etwa den Lagebericht des Auswärtigen Amts für Togo vom16.08.2011, S. 10 sowie die Informationsschrift des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge "Weibliche Genitalverstümmelung - Formen, Auswirkung, Verbreitung, Asylverfahren" vom April 2010, dort etwa S, 11 und 21). Dass die Klägerin nun im Hinblick auf ihre jüngste Tochter, die 2003 geborene ... - berechtigt oder unberechtigt - Ängste hegt, dass diese im Falle einer Rückkehr ebenfalls "beschnitten" werden könnte, und die Klägerin sich deswegen in ihrer emotionalen Art regelrecht in Ängste "hineinsteigert", ist für die Berichterstatterin nachvollziehbar und wird durch die zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen bestätigt. Es besteht nach Überzeugung der Berichterstatterin auch die Gefahr einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung im Falle einer Rückkehr. Diese beruht nicht lediglich auf einer generellen, nicht spezifisch auf das Herkunftsland bezogene Vulnerabilität der Klägerin, sondern hat ihre Ursache in zielstaatsbezogenen Umständen, da die gesundheitlichen Probleme der Klägerin jedenfalls auch auf die Situation in Togo zurückzuführen sind. Festzuhalten ist insofern, dass ausschlaggebend für die gerichtliche Entscheidung nicht der Umstand ist, ob oder dass für die jüngste Tochter der Klägerin die Gefahr einer Genitalverstümmelung besteht (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.06.2004 - 1 C 27.03 - NVwZ 2004, 1371). Vielmehr handelt es sich um eine Gefahr für die Klägerin selbst auf Grund ihrer psychischen Erkrankung. Die Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ist auch darin begründet, dass der den ärztlichen Stellungnahmen behandlungsbedürftige Zustand in Togo höchstwahrscheinlich unbehandelt bleiben wird und im Falle einer Rückkehr eine Verschlimmerung ihres gesundheitlichen Zustands im Sinne einer wesentlichen Verschlechterung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Möglichkeiten einer psychiatrischen Behandlung in Togo sind sehr eingeschränkt. Lediglich in einem Krankenhaus in Lomé und einer psychiatrischen Klinik in Zebe bei Aného besteht ein entsprechendes Angebot (vgl. hierzu etwa den Lagebericht des Auswärtigen Amts für Togo vom 16.08.2011, S. 10). Sowohl der Umstand, ob die Klägerin ein solches Angebot überhaupt wahrnehmen kann als auch dessen Finanzierbarkeit erscheint höchst zweifelhaft. Dass die Klägerin sich im Falle einer Rückkehr auf familiäre Strukturen stützen kann und so nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern auch eine entsprechende Behandlung gezahlt bekommen kann, ist äußerst ungewiss. Dass sogar die Klägerin selbst ihren Lebensunterhalt und eine Behandlung finanzieren könnte, erscheint der Berichterstatterin angesichts des Gesundheitszustands der Klägerin ausgeschlossen. Im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Klägerin liegt daher ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. [...]