VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Beschluss vom 30.06.2015 - 6 B 332/15 - asyl.net: M23050
https://www.asyl.net/rsdb/M23050
Leitsatz:

Die medizinische Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern Albaniens ist zwar grundsätzlich kostenlos, jedoch müssen die Patienten in der Praxis erhebliche Zuzahlungen leisten. Psychische Erkrankungen können in Albanien nur eingeschränkt behandelt werden.

Schlagwörter: Albanien, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Zuzahlungen, Korruption,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ist die medizinische Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken Albaniens zwar grundsätzlich kostenlos. Da Ärzte und Pflegepersonal nur geringe Gehälter erhalten, müssen die Patienten in der Praxis jedoch erhebliche Zuzahlungen leisten (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 10.06.2015, S. 13); Korruption ist im albanischen Gesundheitssystem daher allgegenwärtig (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft v. 13.02.2013 - Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung, Blutrache -, S. 5). Was die Versorgung mit Medikamenten anbelangt, übernimmt die staatliche Krankenversicherung nach der Auskunftslage bei Standardmedikamenten "in der Regel" die Kosten für das billigste Generikum. Teurere Medikamente oder Medikamente für "außergewöhnliche Krankheiten" gehen zulasten der Patienten (Auswärtiges Amt, a.a.O.); mitunter wird auch lediglich ein Teil der Medikamentenkosten von der Krankenversicherung übernommen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 4). Bis die ärztlich verordneten Medikamente für den Patienten tatsächlich verfügbar sind, können aufgrund eines zeitlich aufwendigen Verfahrens lange Wartezeiten entstehen (vgl. Deutsche Botschaft Tirana, Auskünfte v. 29.03. und 13.03.2013 an das Bundesamt). Dies gilt auch für andere Gesundheitsdienstleistungen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 5). Psychische Erkrankungen können in Albanien nur eingeschränkt behandelt werden. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes ist die Situation in psychiatrischen Kliniken erschreckend (Lagebericht v. 10.06.2015, S. 13). Jedenfalls sind die Möglichkeiten einer stationären Behandlung psychisch kranker Menschen unzureichend (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 7). Insbesondere bei der Aufnahme von Patienten kommt es zu massiven Verzögerungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.). Die fachärztliche Behandlung von psychisch Erkrankten ist "rückständig" (Deutsche Botschaft Tirana, Auskunft v. 29.03.2015 an das Bundesamt). Andere Behandlungsmöglichkeiten - neben der Behandlung der Patienten mit Psychopharmaka - sind zum Teil sehr teuer und decken den Bedarf nicht (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 6). Insbesondere das Angebot an Psychotherapien ist sehr limitiert (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 7; s. auch VG Göttingen, U. v. 20.01.2011 - 1 A 9/10 -: unzureichend).

Unter Berücksichtigung dieser Sachlage kann gegenwärtig nicht mit der für ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen hohen Gewissheit angenommen werden, dass den Antragstellern kein Anspruch auf Abschiebungsschutz wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen zusteht (zum Prüfungsmaßstab s. Marx, AsylVfG, 8. Aufl., § 36 Rn. 51 ff. m.w.N.). Aus dem ärztlichen Attest vom 23. Juni 2015, das die Antragsteller vorgelegt haben, ergibt sich für den Antragsteller zu 1. jedenfalls, dass er - nach Auffassung des Arztes - unter einer psychischen Erkrankung leidet. Eine medizinische, psychiatrische und psychotherapeutische Betreuung sei dringend nötig. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausführungen des Arztes über den Behandlungsbedarf und die Erkrankung des Antragstellers nicht tragfähig sind, gibt es derzeit nicht. Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial kann aber angesichts des mangelhaften Gesundheitssystems in Albanien schon eine psychische Erkrankung oder eine behandlungsbedürftige sonstige Erkrankung genügen, um den Erkrankten im Falle einer Rückkehr erheblichen und konkreten Gefahren für Leib oder Leben auszusetzen. Dies gilt insbesondere auch für Erkrankungen, die einer ständigen medikamentösen Behandlung sowie einer dauernden intensiven ärztlichen Überwachung bedürfen (vgl. VG Saarland, U. v. 30.06.2014 - 3 K 1446/13 -). Zwar ist nach dem vorliegenden Attest noch unklar, ob die Diagnose einer psychischen Erkrankung auch einer eingehenden fachärztlichen Bewertung standhält, unter welcher Erkrankung genau der Antragsteller leidet, und welche Behandlung im Einzelnen erforderlich ist, damit sich diese bei einer Rückkehr nach Albanien nicht in einer konkrete und erhebliche Gefahren hervorrufenden Weise verschlimmert. Die eingehende Prüfung und gegebenenfalls weitere Ermittlungen, die voraussichtlich einen erheblichen Zeitrahmen in Anspruch nehmen werden, sind aber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Nach den vorliegenden Unterlagen ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragsteller eine erforderliche und mögliche Behandlung der Erkrankungen in ihrem Heimatland aus eigenen Mitteln finanzieren könnten. [...]