VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 09.06.2015 - 2 A 732/14 (= ASYLMAGAZIN 9/2015, S. 316 ff.) - asyl.net: M23055
https://www.asyl.net/rsdb/M23055
Leitsatz:

1. Auch amtliche Dokumente wie eine Aufenthaltsgestattung mit Lichtbild können zum Nachweis von Tag und Ort der Geburt gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 FeV genügen. Dies gilt auch, wenn in der Aufenthaltsgestattung vermerkt ist, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Asylbewerbers beruhen.

2. Die Aufenthaltsgestattung mit Lichtbild genügt dann auch zur Vorstellung bei der theoretischen und praktischen Fahrprüfung.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Fahrerlaubnis, Identitätsnachweis, Aufenthaltsgestattung, Fahrprüfung, Geburtsurkunde,
Normen: FeV § 21 Abs. 1, S. 3 Nr. 1, AsylVfG § 63 Abs. 1 S. 1, FeV § 74 Abs. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, die Aufenthaltsgestattung des Klägers mit Lichtbild gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG als hinreichenden amtlichen Nachweis über Ort und Tag der Geburt gemäß § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV anzusehen.

Es bedarf keiner Entscheidung zu der Frage, ob dem Kläger zugemutet werden kann, sich weiter um den Erhalt einer vom Beklagten gewünschten Geburtsurkunde zu bemühen, insbesondere ob ihm als Asylbewerber zugemutet werden kann, dazu in Kontakt mit Behörden seines Herkunftsstaates zu treten. Denn der erforderliche Nachweis über Tag und Ort der Geburt kann hier in einer jedenfalls für das Fahrerlaubnisverfahren hinreichenden Weise auch anders geführt werden.

Das Verlangen des Beklagten, dass dieser Nachweis allein durch Urkunden wie eine Geburtsurkunde, eine beglaubigte Abschrift des Familienstammbuchs, einen Personalausweis oder Reisepass geführt werden müsse, ist bereits vom Wortlaut der Norm nicht gedeckt. Der Wortlaut des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV lässt auch andere "amtliche Nachweise" zu (siehe sinngemäß so auch: Bay. VGH, Beschluss vom 05.11.2009, 11 C 08.3165 -, juris Rdnr. 30). Das Merkmal "amtlich" ist dann erfüllt, wenn ein von einem Träger öffentlicher Gewalt ausgestelltes Dokument vorgelegt wird (Bay. VGH, a.a.O.). Ein "Nachweis" im Sinne des Wortlauts von § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV kann im Ansatz auch durch ein amtliches Dokument geführt werden, in dem eigene Angaben der betreffenden Person zugrunde gelegt und in das Dokument eingetragen werden. Durch die Eintragung amtlicherseits werden die Angaben festgehalten und es wird verhindert, dass die betreffende Person später unbemerkt unter anderen Angaben, etwa über Tag und Ort ihrer Geburt, auftreten kann. Die Vorlage des einmal ausgestellten amtlichen Dokuments kann immer wieder verlangt werden und damit kann Kontinuität der darin niedergelegten Angaben - etwa über Tag und Geburt - gewährleistet werden.

So kann nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV durch die dem Kläger zur Verfügung stehende Aufenthaltsgestattung, mit der er auch seiner Ausweispflicht gemäß § 64 Abs. 1 AsylVfG genügt, grundsätzlich ein "Nachweis" über Tag und Ort seiner Geburt geführt werden. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 02.09.2009 - 5 StR 266/09 -, juris), wonach für die Personalangaben in einer Aufenthaltsgestattung dann kein öffentlicher Glaube besteht, wenn die zuständige Behörde nach Maßgabe des § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - den Hinweis aufgenommen hat, dass die Personalangaben auf den Angaben des Ausländers beruhen. Mit dem öffentlichen Glauben einer Urkunde im Sinne des § 271 StGB wird zunächst ausgesagt, dass die davon erfassten Angaben einer Urkunde beweiskräftig feststehen (s. BGH, a.a.O., juris Rdnr. 14). Diese Beweiskraft wird durch den Vermerk in der Urkunde, dass die darin festgestellten Personalien auf eigenen Angaben des Ausländers beruhen, zwar wieder beseitigt. Der Wegfall der allgemein gültigen Beweiskraft schließt indes nicht aus, dass im Einzelfall die auf eigenen Angaben beruhenden Personalien gleichwohl als zutreffend zugrunde gelegt werden können.

Auch durch eine systematische Auslegung lässt sich die Richtigkeit der vom Beklagten vertretenen Auffassung nicht belegen. In der Grundregelung über die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis in § 2 Abs. 2 StVG ist der Nachweis von Tag und Ort der Geburt durch ein amtliches Dokument nicht genannt. Vielmehr finden sich dort die Voraussetzungen des Wohnsitzerfordernisses, des Mindestalters, der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, des Nachweises der Befähigung durch eine theoretische und praktische Prüfung sowie des Nachweises über die Befähigung zur Erste-Hilfe-Leistung. Dabei handelt es sich erkennbar um die wesentlichen Voraussetzungen für den Erwerb einer Fahrerlaubnis. In § 2 Abs. 6 StVG findet sich dann die Verordnungsermächtigung für nähere Bestimmungen hinsichtlich Mitteilung und Nachweis von Namen und - unter anderem - Tag und Ort der Geburt sowie über die Abgabe eines Lichtbildes. Diese Verordnungsermächtigung wird zunächst durch § 21 Abs. 1 Satz 3 FeV ausgefüllt, wo Bezug nehmend auf die in § 2 Abs. 6 StVG genannten Daten geregelt wird, dass der Führerscheinbewerber diese Daten "mitzuteilen und auf Verlangen nachzuweisen" hat. Insoweit enthält § 2 Abs. 6 Satz 1 StVG die Voraussetzung, dass unter anderem Tag und Ort der Geburt der Fahrerlaubnisbehörde "mitzuteilen und nachzuweisen" sind. Durch die weitere Regelung zur Ausführung der Verordnungsermächtigung in § 21 Abs. 3 Satz 1 FeV wird schließlich normiert, dass dem Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ein amtlicher Nachweis über Tag und Ort der Geburt beizufügen ist (§ 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV).

Diesem Regelungsgefüge lässt sich entnehmen, dass der "amtliche Nachweis" von Tag und Ort der Geburt dem Gesetzgeber jedenfalls nicht so zentral wichtig war, dass er ihn bei den wesentlichen Anforderungen in der Aufzählung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 StVG geregelt hätte. Die Erforderlichkeit eines "amtlichen Nachweises" über Tag und Ort der Geburt wird auch nicht in der Grundvorschrift des § 21 Abs. 1 FeV über die Ausfüllung der Erteilungsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 6 StVG geregelt, sondern erst in der Regelung des § 21 Abs. 3 FeV, in der Vorgaben normiert sind, welche Unterlagen dem Fahrerlaubnisantrag beizufügen sind.

Entscheidend ergibt sich letztlich aus Sinn und Zweck des § 2 Abs. 6 Satz 1 StVG i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV, dass es entgegen der Auffassung des Beklagten keine abschließende Aufzählung von Urkunden gibt, durch die der Nachweis von Tag und Ort der Geburt geführt werden kann. Vielmehr können im Einzelfall auch amtliche Dokumente wie eine Aufenthaltsgestattung mit Lichtbild gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG genügen (im Ergebnis so jetzt auch Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. § 21 FeV Rdnr. 12, anders noch die Vorauflagen).

Im Zusammenhang mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis dient die Angabe und der Nachweis von Tag und Ort der Geburt zunächst der Einhaltung des Mindestaltererfordernisses (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG, s. a. Bay. VGH, Beschluss vom 05.11.2009, a.a.O., Rdnr. 37; VG Hannover, Urteil vom 14.09.2011 - 9 A 1640/11 -, juris Rdnr. 32). Darüber hinaus soll die Angabe von Tag und Ort der Geburt eine hinreichend sichere Identifizierung in Datenbanken wie dem Bundeszentralregister, dem Fahreignungsregister und dem Fahrerlaubnisregister ermöglichen. Da Vor- und Zunamen mehrerer Personen identisch seien können, werden Geburtstag und Geburtsort zur weiteren Identifizierung herangezogen. Durch die Abfrage der Register wiederum soll überprüft werden können, ob die betreffende Person bereits Inhaber einer Fahrerlaubnis ist oder ob sich aus den Registern Anhaltpunkte für fehlende Fahreignung ergeben.

Diesen Zwecken kann auch genügt werden, wenn die Angaben über Tag und Ort der Geburt aus einem Dokument wie der Aufenthaltsgestattung übernommen werden, das auf den eigenen Angaben der betreffenden Person beruht. An seiner gegenteiligen früheren Auffassung (etwa: Hess. VGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - 2 D 219/11 -) hält der Senat nicht fest. Was die Einhaltung des Mindestalters betrifft, sind bei Zweifeln weitere Nachforschungen möglich. In der Mehrzahl der Fälle, in denen aufgrund der Umstände des Einzelfalls (etwa Aufenthaltsdauer des Führerscheinbewerbers im Bundesgebiet, Führung des Asylverfahrens oder der Schulausbildung unter einem bestimmten Geburtsdatum) keine Zweifel an der Richtigkeit des angegebenen Tags und Orts der Geburt bestehen, ist jedoch die Übernahme der Daten aus der Aufenthaltsgestattung in das Führerscheindokument keinen Bedenken ausgesetzt. Durch die Übernahme bestehen dann zwei Einträge mit denselben Daten, deren Übereinstimmung jederzeit nachvollzogen werden kann.

Die Übernahme der Daten über Tag und Ort der Geburt aus der Aufenthaltsgestattung in die oben genannten Register bewirkt, dass die betreffende Person nunmehr aufgrund der Registereintragungen eindeutig identifiziert werden kann und eine spätere Veränderung der dort stehenden Daten grundsätzlich ausgeschlossen ist. Damit wird dem Zweck der Register genügt, den Fahrerlaubnisinhaber eindeutig identifizieren und später auftretende etwaige Eignungsbedenken dieser Person zuordnen zu können.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann der Nachweis von Tag und Ort der Geburt des Klägers hier durch die Aufenthaltsgestattung geführt werden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die eigenen Angaben des Klägers zu Tag und Ort seiner Geburt unzutreffend sind. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er über seine Identität im Asylverfahren getäuscht hat. Der vom Senat beigezogenen Ausländerakte des Klägers ist zu entnehmen, dass er durchgängig das gleiche Datum von Tag und Ort der Geburt angegeben hat. Berücksichtigt werden kann auch, dass der Kläger jetzt bereits seit sechs Jahren in Deutschland lebt, ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel an seiner Identität aufgetaucht sind. Insbesondere das Erreichen des Mindestalters für die Fahrerlaubnisklasse B kann jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr zweifelhaft sein.

Darüber hinaus kann der Ausländerakte des Klägers entnommen werden, dass der Kläger zwischenzeitlich etwa auch für sein Studium an der Hochschule Fulda unter den von ihm angegebenen Daten (Geburtstag xx.xx.xxxx, Geburtsort L.) geführt wird (siehe Studienbescheinigung, Bl. 87 Ausländerakte) und unter denselben Identitätsdaten beim Gemeindevorstand der Gemeinde K. ein Praktikum absolviert hat. Insgesamt kann zum heutigen Zeitpunkt noch weniger als zum Zeitpunkt der Beantragung der Fahrerlaubnis die Befürchtung bestehen, dass der Kläger unter verschiedenen Identitäten auftritt, um sich zu Unrecht rechtliche Vorteile zu verschaffen. Vielmehr haben sich die von ihm angegebenen Identitätsdaten immer weiter verfestigt und sind immer weiteren Stellen bekannt, dort gespeichert und für die jeweiligen Zwecke zugrunde gelegt worden, so dass die Identität des Klägers jedenfalls aus heutiger Sicht hinreichend zuverlässig geklärt ist.

Die Aufenthaltsgestattung mit Lichtbild gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG genügt auch zur Vorstellung des Klägers bei der theoretischen Prüfung (§ 16 Abs. 3 Satz 3 FeV) und der praktischen Prüfung (§ 17 Abs. 5 Satz 2 FeV). Zwar verlangen diese beiden Vorschriften des Verordnungsrechts, dass der Prüfer sich "durch Einsicht in den Personalausweis oder Reisepass" von der Identität des Bewerbers vor der Prüfung überzeugen muss. Da jedoch die zu dieser Verordnung ermächtigende Vorschrift des § 2 Abs. 6 StVG für die Erlangung des Führerscheins nicht die Innehabung eines "Personalausweises oder Reisepasses" verlangt, sondern sich auf Nachweise über Namen, Tag und Ort der Geburt sowie Anschrift bezieht, muss die alleinige Nennung von Personalausweis oder Reisepass in § 16 Abs. 3 Satz 3 und § 17 Abs. 5 Satz 2 FeV als Redaktionsversehen des Verordnungsgebers angesehen werden. Es kann nicht angenommen werden, dass der Verordnungsgeber alle Personen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit, die nicht über einen Personalausweis im Sinne des § 2 Abs. 1 des Personalausweisgesetzes oder über einen Reisepass im Sinne des § 1 Abs. 2 des Passgesetzes verfügen, also insbesondere alle Ausländer, die ihrer Ausweispflicht gemäß § 48 Abs. 1 oder Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes genügen, von vornherein von der Ablegung der theoretischen und praktischen Fahrprüfung ausschließen wollte. Da auch nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV andere Dokumente wie etwa Geburtsurkunden vorgesehen sind, sind die betreffenden Vorschriften in den §§ 16, 17 FeV so zu lesen, dass als Ausweisdokumente solche in Betracht kommen, die als Identitätsnachweis im Sinne des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV zulässig sind (sinngemäß so auch Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 17 FeV Rdnr. 5a; Bay. VGH, Beschluss vom 26.02.2002 - 11 CE 02.225 -, juris; VG Hannover, Urteil vom 14.09.2011, a.a.O., Rdnr. 39; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22.06.2011 - 7 K 4343/10 -, juris Rdnr. 40). Für dieses Verständnis spricht auch die Gesetzesbegründung (Bundesratsdrucksache 443/98, S. 220 zu § 16 Abs. 3 FeV). Dort heißt es, der Sachverständige oder Prüfer werde ausdrücklich verpflichtet, sich vor der Prüfung "von der Identität des Bewerbers zu überzeugen", um Täuschungsversuche zu verhindern. Dass dies ausschließlich durch Personalausweis oder Reisepass geschehen könne, wollte der Verordnungsgeber nicht regeln. Das für die Aufenthaltsgestattung vorgesehene Lichtbild (§ 63 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) wird im Regelfall genügen, um die Prüfer von der Identität des Bewerbers zu überzeugen.

Nach alledem bedarf es nicht mehr der Anwendung des § 74 Abs. 1 Nr. 1 FeV im Hinblick auf eine Ausnahme von den Anforderungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV. Falls diese Vorschrift jedoch mit den vom Beklagten zugrunde gelegten Maßstäben für die Ermessensausübung angewendet werden sollte, müsste wohl eine Ausnahmegenehmigung in Betracht gezogen werden. Denn der Kläger hat nach Auffassung des Senats alles Zumutbare unternommen, um weitere Dokumente über Tag und Ort seiner Geburt zu erhalten. Hierzu wird auf die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. [...]