1. Im Falle einer unionsrechtlich begründeten Zuständigkeit Deutschlands kann einem Flüchtling, der aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (Griechenland) in das Bundesgebiet eingereist ist, jedenfalls nach § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG auch ein einfach gesetzlicher Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten zustehen.
2. Für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG ist es unerheblich, ob eine unionsrechtliche Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung eines Asylverfahrens von Anfang an bestanden hat oder diese erst später durch Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründet wurde.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
ie zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 1. September 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Dem Kläger droht wegen seiner Religionszugehörigkeit politische Verfolgung i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG (dazu 1.). Dabei kann wegen der Identität des jeweiligen Bescheidtenors offen bleiben, ob der Kläger trotz der unstreitigen Einreise aus einem Drittstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG sogar einen grundrechtlichen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG hat (dazu 2.). Denn ihm steht jedenfalls der vom Verwaltungsgericht zuerkannte Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten aufgrund einfachen Gesetzesrechts aus der Regelung in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG zu (dazu 3.).
1. Der Kläger ist politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG. Aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils, auf die der Senat Bezug nimmt, drohen ihm aufgrund seiner christlichen Religionszugehörigkeit im Zentralirak Verfolgungsmaßnahmen, die dem irakischen Staat als sog. mittelbare Gruppenverfolgung zuzurechnen sind. Den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ist die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr entgegen getreten. Der Senat, der fortlaufend die aktuellen Erkenntnisse über die weitere Entwicklung im Irak verfolgt, hat keinen Anlass, von dieser Bewertung der Gefährdungslage bezogen auf den nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung abzuweichen.
2. Der Senat lässt offen, ob dem Kläger trotz der Einreise aus Griechenland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, die grundsätzlich die Sperrwirkung des Art. 16a Abs. 2 GG zur Folge hat (dazu a), bereits unmittelbar ein Anspruch auf Zuerkennung der grundrechtlichen Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG zusteht, sei es weil die Sperrwirkung der Drittstaatseinreise nach Art. 16a Abs. 5 GG aufgrund einer unionsrechtlich begründeten Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland durchbrochen ist (dazu b), sei es weil systemische Mängel des Asylverfahrens eine Ausnahme von dem Art. 16a Abs. 2 GG zugrunde liegenden Konzept der (verfassungs-)normativen Vergewisserung erfordern (dazu c).
a) Der Zuerkennung der grundrechtlichen Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG steht hier grundsätzlich Art. 16a Abs. 2 GG entgegen. Danach kann sich auf das Grundrecht auf Asyl nicht berufen, wer u.a. aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften (nach Deutschland) einreist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
Die Vorschrift verweist Schutzsuchende darauf, in denjenigen Staaten Schutz zu suchen, in denen die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist und die sie vor ihrer Einreise nach Deutschland erreichen. Sie sind damit aus dem persönlichen Geltungsbereich der grundrechtlichen Gewährleistung ausgenommen und können jedenfalls nicht das Asylrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG erhalten. Dieser Ausschluss hängt auch nicht davon ab, ob der Ausländer tatsächlich in den (sicheren) Drittstaat zurückgeführt werden kann oder soll. Er greift also unabhängig von den Möglichkeiten und Varianten einer Rückführung des Betroffenen stets ein, d.h. auch dann, wenn eine solche in seinen Heimatstaat zu prüfen ist (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris Rn. 157).
Dieser Ausschluss greift im Fall des Klägers durch, da dieser im Anschluss an einen mehrmonatigen Aufenthalt in Griechenland, das seit dem Jahr 1981 Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union ist, nach Deutschland eingereist ist.
b) Der Ausschluss aus dem personalen Schutzbereich des Asylgrundrechts auf Grund von Art. 16a Abs. 2 GG steht allerdings unter dem Vorbehalt des Art. 16a Abs. 5 GG. Danach stehen die Regelungen in Art. 16a Abs. 1 bis 4 GG völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muss, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
Eine völkervertragliche Grundlage für die Begründung der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland existiert allerdings derzeit nicht und existierte auch schon zum Zeitpunkt der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nicht mehr. Das Dubliner Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags, das am 1. September 1997 in Kraft getreten ist, ist mit Wirkung vom 17. März 2003 jedenfalls im Verhältnis von Griechenland und Deutschland außer Kraft getreten. Das gilt unbeschadet des Umstands, dass es keine Beendigungsklausel in dem Dubliner Übereinkommen und auch keinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Aufhebungsvertrag gibt. Eine vertragliche Beendigung war hier entbehrlich, weil das Dubliner Übereinkommen durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (sog. Dublin-II-Verordnung ) ausdrücklich ersetzt wurde (vgl. Art. 24 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Diese gilt in den Mitgliedstaaten unmittelbar und hat nach Art. 23 Abs. 1 GG jedenfalls Anwendungsvorrang. Eine irgendwie geartete ergänzende Reserve-Geltung des Dubliner Übereinkommens kommt danach - jedenfalls zwischen Mitgliedstaaten - gegenwärtig nicht in Betracht.
Ob Art. 16a Abs. 5 GG eine hinreichende Grundlage dafür bietet, das Asylrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG auch bei einer – hier gegebenen (dazu aa) - Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung eines Asylverfahrens auf der Grundlage europäischen Unionsrechts - außerhalb eines völkerrechtlichen Vertrags - zu gewähren, ist in der Rechtsprechung und der Fachliteratur umstritten (dazu bb) (wie die angegriffene Entscheidung VG Gießen, Urteil vom 26. Mai 2010 – 4 K 199/19.GI.A -, n.v. und wohl auch VG Aachen, Urteil vom 25. Juli 2007 – 8 K 1913/05.A -, juris, sowie VG Düsseldorf, Urteil vom 26. Mai 2011 – 21 K 2034/11.A -, n.v.; Bruns, in: Hofmann/Hoffman, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, AsylVfG § 27a Rn. 2), bedarf hier aber keiner Klärung.
aa) Eine unionsrechtlich begründete Zuständigkeit Deutschlands für die Behandlung des von dem Kläger gestellten Asylantrags besteht hier allerdings. Sie beruht jedenfalls auf der Regelung in Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003, die auch nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 vorliegend anwendbar bleibt (vgl. Art. 49 Satz 3 Verordnung (EG) Nr. 604/2013).
Die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 steht im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines gemeinsamen Europäischen Asylsystems und normiert Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Sie ersetzt für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Regelungen des Dubliner Übereinkommens und bestimmt, dass regelmäßig nur ein einziger Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Die Zuständigkeitsbestimmung (vgl. Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003) folgt einer in Kapitel III (Art. 5 ff. ) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 geregelten hierarchischen Abfolge von Kriterien, die im Fall einer illegalen Einreise von dem Grundsatz ausgeht, dass der Mitgliedstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens (primär) zuständig ist, in den der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend eingereist ist (Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Lässt sich anhand der Kriterien der Verordnung nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, ist nach Art. 13 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Abweichend von der nach der Verordnung gegebenen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates gestattet Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 jedem Mitgliedstaat, die Prüfung eines bei ihm gestellten Asylantrags an sich zu ziehen (sog. Selbsteintritt). Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003) (zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach den Kriterien der Dublin-II-Verordnung vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013– C-4/11 –, NVwZ 2014, 129, juris Rn. 36 f.).
Hiervon ausgehend ist Deutschland ungeachtet einer etwaigen Zuständigkeit nach Art. 13 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 jedenfalls seit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 im Februar 2011 auf Grund von Unionsrecht für die Durchführung des von dem Kläger betriebenen Asylverfahrens zuständig.
bb) Der Wortlaut des Art. 16a Abs. 5 GG, wonach allein völkerrechtliche Verträge das Zurücktreten der übrigen Bestimmungen des Art. 16a GG bewirken, spricht dagegen, dass die Sperrwirkung des Art. 16a Abs. 2 GG auch im Falle einer durch Unionsrecht begründeten Zuständigkeit überwunden wird.
Art. 16a Abs. 5 GG ist im Jahr 1994 zu einem Zeitpunkt in die Verfassung aufgenommen worden, da es auf der Grundlage des Maastrichter Vertrages keine Gemeinschaftszuständigkeit im Bereich des Asylrechts gab. Vielmehr konnten die Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet im Rahmen der sog. Dritten Säule völkerrechtliche Verträge untereinander schließen. Art. 16a Abs. 5 GG sollte nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers deshalb vor allem die Ratifikation des Schengener Durchführungsübereinkommens und die des bereits als Nachfolgeregelung konzipierten Dubliner Übereinkommens ermöglichen. Gemeinschaftsrechtliche Kompetenzen zu Regelungen auf dem Gebiet des Asylrechts wurden erstmals im Jahr 1999 mit dem Vertrag von Amsterdam geschaffen (Art. 63 EGV); mit dem Vertrag von Lissabon hat die Europäische Union schließlich eine umfassende Kompetenz für rechtliche Regelungen zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems erhalten (Art. 78 AEUV) (vgl. BT-Drs. 12/4152, S. 4 sowie im Übrigen Maaßen, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Edition 24 (1.3.2015), Art. 16a Rn. 109; Hailbronner, AuslR, B1, Art. 16a Rn. 444 f.).
Anregungen der Bundesregierung im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens, den Art. 16a Abs. 5 GG so zu fassen, dass er auch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften zugelassen hätte, sollen nach einer nicht näher belegten Darstellung in der Fachliteratur am Widerstand der Bundesländer gescheitert sein (vgl. Zimmermann, Das neue Grundrecht auf Asyl, 1994, S. 382 f.; ders., NVwZ 1998, 450, 454; siehe auch Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 209 f.; Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 20).
Vor diesem Hintergrund ist Art. 16a Abs. 5 GG nach einer weit verbreiteten Auffassung auf Zuständigkeitsbegründungen kraft unionsrechtlicher Regelungen nicht anzuwenden (vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, (Februar 1999), Art. 16a Abs. 2 bis 5 Rn. 196; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 16a Rn. 58; Maaßen, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Edition 24 (1.3.2015), Art. 16a Rn. 106, 109; Kluth, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 16a Rn. 126; Hailbronner, AuslR, B1, Art. 16a Rn. 444a; Möller, in: Hofmann/Hoffmann, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, GG, Art. 16a Rn. 55; Bergmann, in: Renner/ Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, GG, Art. 16a Rn. 131; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 8; Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 27a Rn. 5; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 225).
Die Funktion der Vorschrift als Grundlage für eine europäische Gesamtregelung des Flüchtlingsschutzes und die Kontinuität der genannten unionsrechtlichen Rechtsakte mit dem Dubliner Übereinkommen sprechen als an Sinn und Zweck der Regelung orientierte Auslegungskriterien hingegen für eine Erstreckung des Anwendungsbereichs des Art. 16a Abs. 5 GG auf die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 bzw. der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 (vgl. Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (416 f.); dies., ZAR 2012, 102, 109; ebenso wohl Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26a Rn. 31).
Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung des Asylrechts im Jahre 1993 eine effektive Lasten- und Zuständigkeitsverteilung zwischen den europäischen Staaten gerade ermöglichen, nicht einschränken. Die Annahme, er hätte für den Fall, dass er die erst später geschaffene Unionskompetenz für den Erlass von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Asylrechts vorhergesehen hätte, gleichwohl den Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 5 GG auf völkerrechtliche Verträge beschränken wollen, dürfte fern liegen.
Wenn bei der Neuregelung des Art. 16a GG von einer ausdrücklichen Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft abgesehen worden ist, kommt diesem Umstand für die Auslegung des Art. 16a Abs. 5 GG insofern eine begrenzte Bedeutung zu, als der Geltungsvorrang des europäischen Asylrechts auch im Verhältnis zu Art. 16a Abs. 2 GG auf der Ebene des deutschen Verfassungsrechts bereits durch Art. 23 Abs. 1 GG hergestellt wird.
Die sich im Fall einer Zuständigkeitsbegründung durch Unionsrecht aus Art. 23 Abs. 1 GG ergebenden Wirkungen auf Art. 16a Abs. 2 GG bleiben allerdings hinter denen des Art. 16a Abs. 5 GG zurück. Der sich aus Art. 23 Abs. 1 GG ergebende Anwendungsvorrang des Unionsrechts setzt seinem Charakter als Kollisionsregel gemäß auch in Bezug auf die Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG eine konkrete Unvereinbarkeit der in Rede stehenden Regelungen voraus. Er reicht deshalb nur so weit, wie das Unionsrecht selbst der Sache nach Geltung beansprucht, und führt in Abhängigkeit hiervon nicht dazu, dass etwa bei einer Zuweisung der Zuständigkeit an Deutschland durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen Art. 16a Abs. 2 GG sofort die gesamte Drittstaatenregelung vollumfänglich verdrängt wird. Eine Verdrängung tritt vielmehr erst dann ein, wenn beide Regelungssysteme unterschiedliche Rechtsfolgen anordnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010- 2 BvR 2661/06 -, juris Rn. 53; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 227 ff.).
Dies ist insoweit der Fall, als die Ausschlusswirkung des Art. 16a Abs. 2 GG über den Wortlaut hinaus nach der gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auslegung des Art. 16a GG durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich auch die sonstigen dem Asylrecht verwandten materiellen Rechtspositionen erfasst, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, namentlich soweit diese Ausformung der Schutzpflichten nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris Rn. 180, 186).
Dazu, ob dem Kläger infolge der unionsrechtlich begründeten Zuständigkeit für das Asylverfahren im Sinne des Unionsrechts auch ein Anspruch auf Prüfung des allein im nationalen Recht verankerten Anspruchs auf Asylrecht zusteht, verhält sich das Unionsrecht jedoch nicht. Denn der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ist begrenzt auf Asylanträge in einem spezifischen unionsrechtlichen Sinne, nämlich solche, die als Ersuchen um Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu verstehen sind (vgl. Art. 2 Buchstabe c Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Wie auch die übrigen auf der Grundlage von Art. 63 EGV bzw. Art. 78 AEUV erlassenen Rechtsakte bleiben hiervon gleichartige Schutzinstitute asylrechtlicher Art auf der Ebene des nationalen Rechts, die neben dem Unionsrecht stehen, grundsätzlich unberührt (Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 1 Rn. 4).
Demnach verlangt der Anwendungsvorrang der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht, dass der Ausländer (auch) den grundrechtlichen Asylstatus erhält, so dass Art. 16a Abs. 2 GG nicht zurücktritt, soweit er gerade die Berufung auf Art. 16a Abs. 1 GG verhindert (zutreffend Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wied-mann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (412); dies., ZAR 2012, 102, 107; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 242, 247).
c) Der Senat kann auch offen lassen, ob eine Gewährung des grundrechtlichen Asylstatus nach Art. 16a Abs. 1 GG vorliegend unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommen kann, dass die Einstufung Griechenlands als sicherer Drittstaat durch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG zum Zeitpunkt der Einreise des Klägers und auch danach nicht mehr tragfähig war bzw. ist. Denn die Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG beruht nach der nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Konzept einer normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat, das jedoch nicht frei von Begrenzungen ist. Dies gilt auch in Bezug auf die verfassungsunmittelbare Erklärung der Mitgliedstaaten der Union zu sicheren Drittstaaten (Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 217 ff., m.w.N.).
Angesichts dessen kann bereits zweifelhaft sein, ob diese Einstufung in Bezug auf Griechenland überhaupt einer rechtlichen Prüfung zugänglich ist (verneinend wohl z.B. Hailbronner, AuslR, B1, Art. 16a Rn. 445; in der Tendenz bejahend offenbar z.B. BVerfG (Kammer), Beschluss vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, NVwZ 2009, 1281).
Unabhängig davon bezieht sich die normative Vergewisserung im Allgemeinen darauf, dass der Drittstaat einem Flüchtling, der sein Gebiet erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder Freiheit gewährt. Insoweit ist die Sicherheit des Flüchtlings im Drittstaat generell festgestellt (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris Rn. 181, 188).
Ungeachtet dessen ist dem Ausländer aber dann Schutz zu gewähren, wenn Umstände gegeben sind, die ihrer Eigenart nach nicht im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von der Verfassung oder durch Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Insofern sind jedenfalls fünf Fallgruppen zu beachten: eine dem Betroffenen im Drittstaat drohende Todesstrafe; eine Bedrohung durch ein Gewaltverbrechen, das der Drittstaat zu verhindern außerstande ist; eine schlagartige Veränderung der für die Einstufung als sicherer Drittstaat maßgeblichen Verhältnisse dort, wenn die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG noch aussteht; das Ergreifen von Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) gegen den Schutzsuchenden durch den Drittstaat; die Schutzverwehrung im Einzelfall etwa wegen politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris Rn. 189).
Soweit man im Übrigen die fünf Fallgruppen nicht als abschließend ansieht (vgl. dazu Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 270 ff.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, (Februar 1999), Art. 16a Abs. 2 bis 5 Rn. 69; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 16a Rn. 36; Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (406 f.); dies., ZAR 2012, 102, 104 f.), können jedenfalls solche Entwicklungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union als außerhalb des Konzepts der normativen Vergewisserung stehend angesehen werden, in deren Folge das Existenzminimum der Flüchtlinge nicht gewährleistet ist, weil eine massive Unterversorgung hinsichtlich der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, der Unterbringung und Gesundheitsversorgung vorliegt (Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (407 ff.); dies., ZAR 2012, 102, 105 f.; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 274 ff.).
Liegen obige Umstände vor, spricht viel dafür, dass der grundrechtliche Asylstatus unabhängig von der Regelung in Art. 16a Abs. 5 GG zuerkannt werden kann, weil dann die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG von vornherein keine Geltung beansprucht (Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (403); dies., ZAR 2012, 102, 103 f.; Lübbe- Wolff, DVBl 1996, 825, 831; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 16a Rn. 36; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 26a Rn. 7; Masing, in: Dreier, GG, Art. 16a Rn. 79; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 14; unklar allerdings BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris Rn. 189).
Hiervon ausgehend dürften jedenfalls im Zeitpunkt der Einreise des Klägers in Griechenland tatsächlich Umstände vorgeherrscht haben, die den Schluss nicht nur auf ein defizitäres Asylsystem, sondern auch auf eine mangelnde Gewährleistung des Existenzminimums der Schutzsuchenden zulassen (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413; BVerfG (Kammer), Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11 -, NVwZ 2015, 361, 363).
3. Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen steht dem Kläger jedenfalls ein durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG vermittelter einfachrechtlicher Asylanspruch zu. § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG lässt eine Asylgewährung zu; die Sperrwirkung des Art. 16a Abs. 2 GG steht dieser Auslegung nicht entgegen (a). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG sind hier erfüllt (b). Der jedenfalls gegebene einfachgesetzliche Asylanspruch macht eine Entscheidung über einen möglicherweise (auch) bestehenden grundgesetzlichen Anspruch auf Asylgewährung entbehrlich (c).
a) § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet an, dass sich ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist, nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen kann. Er wird nach Satz 2 der Vorschrift nicht als Asylberechtigter anerkannt. § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG sieht wiederum vor, dass die Regelung nach Satz 1 der Vorschrift nicht gilt, wenn Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Als sichere Drittstaaten gelten wiederum u.a. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 26a Abs. 2 AsylVfG).
Soweit eine Gewährung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG aus den dargestellten verfassungsrechtlichen Gründen ausscheidet, kann den Ausnahmetatbeständen nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ein einfachrechtlicher Anspruch auf Asylanerkennung entnommen werden (ebenso Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 35; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 243 f.; Hoffmann, in: Hofmann/Hoffmann, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, AsylVfG, § 26a Rn. 18; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 26a Rn. 109; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 10; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, AsylVfG,§ 26a Rn. 12; VG Gießen, Urteil vom 26. Mai 2010– 4 K 199/19.GI.A -, n.v.; kritisch dazu Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26a Rn. 29).
aa) Der Wortlaut des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG legt nahe, dass die Drittstaatseinreise in den Fällen einer unionsrechtlich begründeten Zuständigkeit auch der Asylgewährung nicht entgegensteht. Die Verwendung des Begriffs "Asylverfahren" spricht dafür, dass das Asylverfahren im Sinne des Asylverfahrensgesetzes gemeint ist. Nach § 1 AsylVfG findet das Gesetz auf Ausländer Anwendung, die Schutz vor politischer Verfolgung nach Art. 16a GG oder internationalen Schutz nach der sog. Qualifikationsrichtlinie suchen. Dem entspricht auch die Definition des Asylantrags in § 13 AsylVfG.
bb) Die Regelungen des § 26a AsylVfG stehen in einem unmittelbaren systematischen Zusammenhang zu den Bestimmungen über das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a GG. Dies kommt bereits im Wortlaut des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zum Ausdruck, der sich ausdrücklich auf Art. 16a Abs. 1 und 2 Satz 1 GG bezieht und insofern den Gehalt der im Art. 16a Abs. 2 GG enthaltenen sog. Drittstaatenregelung wiederholt (vgl. auch BT-Drs. 12/4450, S. 20: "… in Übereinstimmung mit Artikel 16a Abs. 2 GG …").
Insofern hat die Vorschrift keine eigenständige Bedeutung. Durch die Bezugnahme auf das verfassungsrechtliche Asylrecht wird auf einfachrechtlicher Ebene deklaratorisch wiederholt, dass im Fall der Einreise eines Ausländers aus einem sicheren Drittstaat nicht nur der persönliche Geltungsbereich des Asylgrundrechts (einschließlich der Vorwirkungen dieses Rechts) ausgeschlossen ist, sondern darüber hinaus auch die Berufung auf die inhaltlich verwandten Schutzrechte gegen eine Abschiebung einschließlich des diesbezüglichen Schutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention (Hailbronner, AuslR, B2, § 26a Rn. 1, 3; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 26a Rn. 2).
cc) Die Gesetzeshistorie führt nicht zu einem klaren Auslegungsergebnis, steht der hier vertretenen Auffassung aber auch nicht entgegen. In seiner ursprünglichen Fassung lehnte sich auch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG an die Regelung des Art. 16a Abs. 5 GG an, indem der Anwendungsbereich der Ausnahme auf den Fall einer durch einen völkerrechtlichen Vertrag mit dem sicheren Drittstaat begründeten Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkt war. Dieser normative Befund trägt allerdings nicht ohne weiteres die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der als Ausnahmevorschrift zu § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG konstruierten Vorschrift in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG eine einfachrechtliche Asylberechtigung schaffen wollen. Denn die ursprüngliche Fassung des § 26a Abs. 1 Satz 1 und 3 Nr. 2 AsylVfG zielte, was schon im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck kommt, auf eine Nachzeichnung dessen, was bereits unmittelbar verfassungsrechtlich gilt. Die seit dem 28. August 2007 geltende Erweiterung auch auf Zuständigkeitsbegründungen kraft Unionsrechts hat der Gesetzgeber in diesen Kontext des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG eingeordnet und nicht etwa, was möglich gewesen wäre, eine eigenständige Ausnahmeregelung lediglich in Bezug auf § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG und das dort ausgesprochene Verbot der Anerkennung als Asylberechtigter gewählt (vgl. Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 244; zu § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG siehe auch Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 9; Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 35).
Eine solche eigenständige Regelung hätte näher bei der Ausgestaltung des Anspruchs auf Familienasyl in § 26 AsylVfG gelegen, der lediglich von der Zuerkennung einer "Asylberechtigung" spricht.
Auch den Materialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG im Jahr 2007 die Schaffung eines eigenständigen einfachgesetzlichen Asylanspruchs beabsichtigt oder auch nur in Erwägung gezogen haben könnte. Er hatte dabei ersichtlich nur eine von ihm als erforderlich angesehene Anpassung an den Anwendungsvorrang des Unionsrechts im Blick, ohne dass dabei weitere Überlegungen zu deren Auswirkungen auf Art. 16a GG angestellt worden sind (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 216; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 243).
Dies hindert jedoch nicht eine Auslegung, die § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG im Fall einer Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Grund von Unionsrecht als einen einfachrechtlichen Asylanspruch versteht. Der Wortlaut schließt eine solche Auslegung jedenfalls nicht aus, weil die in § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in Bezug genommene Drittstaatenregelung grundsätzlich auch einfachrechtliche Ansprüche auf Zuerkennung der Asylberechtigung wie etwa den nach § 26 AsylVfG entfallen lässt (BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1997 - 9 C 56.96 -, NVwZ-RR 1998, 1190, 1190 f.).
Indem dieser Ausschluss durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG für unanwendbar erklärt wird, ist § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG demgemäß so zu verstehen, dass dem Betroffenen jedenfalls die Berufung auf ein einfachgesetzliches Asylrecht gestattet wird. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber den Willen hatte, eine wesentliche Änderung der Rechtsstellung der Betroffenen lediglich als Folge der Überleitung des transnationalen asylrechtlichen Zuständigkeitssystems aus dem Wirkungsbereich des Völkerrechts in den des Unionsrechts zuzulassen.
dd) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Auslegung bestehen nicht. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich berechtigt, grundrechtliche Verbürgungen über die Grenzen des persönlichen oder sachlichen Schutzbereichs hinaus auf einfachrechtlicher Ebene erweiternd zu gewähren. Er hat dies im Bereich des Asylstatus etwa mit dem Institut des Familienasyls (§ 26 Abs. 1 bis 3 AsylVfG) getan, das zur Zuerkennung derselben Rechtsstellung (§ 2 AsylVfG) führt wie die des nach § 16a Abs. 1 GG Asylberechtigten, ohne dass aber in der Person des Familienangehörigen die Voraussetzungen einer politischen Verfolgung vorliegen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2000- 9 C 10.00 -, Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 7).
Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, auch wenn das Familienasyl weder durch Art. 16a Abs. 1 noch durch Art. 6 Abs. 1 GG geboten wird (vgl. BVerfG (Kammer), Beschluss vom 3. Juni 1991 – 2 BvR 720/91 -, NVwZ 1991, 978).
Allerdings bedarf wegen Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG jede Erweiterung des Anwendungsbereichs der Ausnahmevorschrift des § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, die der Rechtsfolge nach den verfassungsrechtlichen Asylausschluss durchbricht, einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung (vgl. Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26a Rn. 29; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 10).
Bedenken dagegen, über den in Art. 16a Abs. 5 GG geregelten Vorbehalt hinaus weitere Ausnahmen von der in Art. 16a Abs. 2 GG normierten Ausschlusswirkung durch einfaches Gesetz zu regeln, bestehen aber dann nicht, wenn eine solche Regelung mit dem Zweck des Art. 16a Abs. 2 GG zu vereinbaren ist oder ihm jedenfalls nicht zuwiderläuft. Das ist hier der Fall. Die Ausschlusswirkung des Art. 16a Abs. 2 GG bezweckt, die unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen in das Bundesgebiet einzudämmen (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Mai 1997– 9 C 56.96 -, BVerwGE 104, 347, juris Rn. 12, und vom 29. Juni 1999 – 9 C 36.98 -, BVerwGE 109, 174, juris Rn. 14)und durch eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge eine effektive Lastenverteilung unter den europäischen Staaten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris Rn. 153 und 181).
Die Erreichung dieser Zwecke wird in den von § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erfassten Fällen nicht gefährdet, wenn insbesondere solchen Flüchtlingen die Asylberechtigung gewährt wird, die entweder bei Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland waren (Nr. 1) oder für deren Asylverfahren (im unionsrechtlichen Sinne) die Bundesrepublik aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft ohnehin zuständig ist (Nr. 2). Die Begründung eines Asylanspruchs neben dem Anspruch auf Gewährung von Flüchtlingsschutz durch Harmonisierung der nationalen Drittstaatenregelung mit der unionsrechtlichen Zuständigkeit trägt dem bei der Neuregelung des Art. 16a Abs. 5 GG im Jahr 1993 vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgten Ziel, die Grundlage für eine europäische Lösung unter Einschluss des nationalen Asylrechts zu schaffen, sogar eher Rechnung als ein Auseinanderfallen von Asyl- und Flüchtlingsschutz allein aufgrund des Umstands, dass an die Stelle des Dubliner Übereinkommens ein im Wesentlichen inhaltsgleicher unionsrechtlicher Rechtsakt getreten ist, ohne dass der Wortlaut des Art. 16a Abs. 5 GG bislang angepasst worden wäre.
Soweit die Ausschlusswirkung des Art. 16a Abs. 2 GG auch die sonstigen dem Asylrecht verwandten materiellen Rechtspositionen erfasst, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, muss der einfache Gesetzgeber auch dies berücksichtigen. Diese Ausschlusswirkung greift aber dann nicht ein, wenn eine Rückführung des Ausländers in seinen Heimatstaat oder einen nicht sicheren Drittstaat in Rede steht. Von Verfassungs wegen ist in einem solchen Fall zwar nur die Prüfung der Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG geboten (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris Rn. 180, 186).
Steht aber fest, dass Deutschland aufgrund von Unionsrecht für die sachliche Prüfung eines Schutzbegehrens jedenfalls mit Blick auf die Gewährung internationalen Schutzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG) zuständig ist und deshalb zumindest ein darauf bezogenes Asylverfahren im Inland durchzuführen ist, kann der Gegenstand dieser Prüfung auch um einen einfachrechtlichen Asylanspruch erweitert werden, ohne dass das Unionsrecht entgegensteht.
b) Dem Kläger steht nach § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG die einfachrechtliche Ausnahme von dem Ausschlussgrund des Art. 16a Abs. 2 GG auch zu.
Deutschland ist auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft (jetzt: Union) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Wie ausgeführt hat die Beklagte ihre Zuständigkeit jedenfalls durch die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 begründet.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG unerheblich, ob eine unionsrechtliche Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung eines Asylverfahrens von Anfang an bestanden hat oder diese erst später begründet wurde. Vielmehr ist § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG auch dann anzuwenden, wenn Deutschland nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 bzw. der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 nicht bereits originär zuständig ist (so Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 26a Rn. 126; Hoffmann, in: Hofmann/Hoffman, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, AsylVfG § 26a Rn. 18; in diesem Sinne auch bereits OVG NRW, Urteil vom 30. September 1996 - 25 A 790/96.A -, NVwZ 1997, 1141, 1142 f.).
Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es lediglich darauf an, dass Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig "ist", eine entsprechende Zuständigkeit also im Zeitpunkt der Anwendung der Norm, im gerichtlichen Verfahren nach Maßgabe des § 77 Abs. 1 AsylVfG, besteht.
Der Umstand, dass es für § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 3 AsylVfG auf den Zeitpunkt der Einreise des Ausländers in den sicheren Drittstaat bzw. den des Grenzübertritts ankommt, ändert hieran nichts, da eine solche Einschränkung in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG gerade nicht enthalten ist. Abgesehen davon dient sie in Bezug auf § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AsylVfG spezifisch dazu, eine Umgehung der an eine Visaerteilung anknüpfenden Zuständigkeitsregelungen im Schengener bzw. Dubliner Übereinkommen - und nunmehr wohl auch im Unionsrecht - zu verhindern (Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 35).
Die anderen transnationalen Zuständigkeitsregeln sind hiervon nicht berührt.
Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich nichts anderes entnehmen. Im Gegenteil deutet gerade der Wille des Gesetzgebers, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Zuständigkeitsbegründungen kraft Gemeinschaftsbzw. Unionsrechts ausdrücklich mit Blick auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 insgesamt zu erweitern, darauf hin, dass zwischen den dort aufgeführten primären und sekundären Zuständigkeitstatbeständen grundsätzliche keine Unterschiede zu machen sind (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 216; ebenso VG Aachen, Urteil vom 25. Juli 2007– 8 K 1913/05.A -, juris Rn. 52).
Angesichts dessen bedarf es jedenfalls nach einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts keiner auch unionsrechtlich nicht gebotenen Prüfung mehr, ob nicht möglicherweise im Hinblick auf systemische Mängel des Ersteinreisestaates die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 13 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 der Union gegeben war (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, juris Rn. 36).
c) Der durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG vermittelte einfachgesetzliche Anspruch ist deckungsgleich mit dem grundrechtlichen Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG; er führt deshalb zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach § 2 Abs. 1 AsylVfG.
Wie im Fall des gleichfalls einfachrechtlichen Anspruchs auf Familienasyl (§ 26 Abs. 1 AsylVfG) (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1998 - 9 C 1.97 -, NVwZ 1998, 1085, 1085 f.) bedeutet die im Vergleich zum Grundrecht geringere normative Festigkeit des einfachrechtlichen Asyls nicht, dass damit eine geringere Rechtsstellung verbunden wäre (Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 244).
Auch das Entscheidungsprogramm nach § 31 Abs. 2 AsylVfG unterscheidet sich nicht.
Die Entscheidung über den grundrechtlichen Asylstatus ist damit nicht vorgreiflich (vgl. Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26 Rn. 3; Hailbronner, AuslR, B2, § 26 Rn. 15).
Für die im erstinstanzlichen Verfahren vom Kläger noch schriftsätzlich beantragte Tenorierung mit dem Zusatz "nach Art. 16a GG" ist vor diesem Hintergrund kein Raum und auch kein Bedarf; überdies hat der Kläger den auf diesen Zusatz verzichtenden Tenor des angefochtenen Urteils auch nicht angegriffen. [...]