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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 16.07.2015 - 5786066-499 - asyl.net: M23088
https://www.asyl.net/rsdb/M23088
Leitsatz:

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen eines Zweitantrags nach unklarem Ausgang eines Asylverfahrens in Italien.

Schlagwörter: Zweitantrag, Dublinverfahren, Syrien, Zuständigkeitsübergang, Zuständigkeitswechsel, Mitgliedstaat, EU-Mitgliedstaat, Dublin III-Verordnung, Flüchtlingsanerkennung, Überstellungsfrist, Fristablauf, Drittstaatenregelung,
Normen: AsylVfG § 26a, AsylVfG § 71a, AsylVfG § 71a Abs. 1, VwVfG § 51, VwVfG § 51 Abs. 1, VwVfG § 51 Abs. 2, VwVfG § 51 Abs. 3, AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller, ein aus Syrien stammender Palästinenser, hat bereits am 15.10.2015 in Italien einen Asylantrag in gestellt.

Der Antragsteller hat nicht konkret dargelegt, wie das Asylverfahren im Mitgliedstaat ausgegangen ist. Ist das Verfahren im Mitgliedstaat noch offen oder liegen keine Erkenntnisse über den Verfahrensstand vor, ist von einer sonstigen Erledigung ohne Schutzgewährung auszugehen. Nach Art. 28 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Antragsprüfung eingestellt wird oder sofern die Asylbehörde den Antrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung als unbegründet ansieht, der Antrag abgelehnt wird, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt. Diese Voraussetzung lag mit der Ausreise des Antragstellers aus dem Mitgliedstaat vor. Damit steht fest, dass nach dem Zuständigkeitswechsel keine positive Entscheidung im Mitgliedstaat mehr ergehen kann.

Art. 3 Abs. 1 Dublin-VO gibt vor, dass ein Antrag nur von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird. So hat auch der EuGH in seinem Urteil vom 06.06.14 klargestellt, der Asylantrag dürfe nur von einem Staat geprüft werden.

Sollte im Mitgliedstaat eine positive Entscheidung ergangen sein, wäre der Asylantrag in Deutschland unzulässig (vgl. BVerwG, Urt. V. 17.06.2014, 10 C 7.13).

Am 28.07.2014 stellte der Ausländer persönlich in der Außenstelle Friedland in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag. Da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a AsylVfG ein Asylverfahren betrieben hat, handelt es sich bei dem Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylVfG.

Dieser Antrag wurde gemäß § 13 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG beschränkt.

Mit Ablauf der Überstellungsfrist ist die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen.

Die Begründung des Zweitantrages erfolgte im Rahmen des schriftlichen Verfahrens. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG ist nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt sind, folglich Wiederaufgreifensgründe vorliegen.

Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sind vorliegend gegeben.

Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müssen sich entweder die Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) bestehen (Nr. 3).

§ 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung oder Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2000, 2 BvR 39/98, DVBl 2000, 1048-1050). Demzufolge ist ein schlüssiger Vortrag, der eine günstigere Entscheidung möglich erscheinen lässt, ausreichend.

Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich des Sachvortrages des Antragstellers vor.

Aufgrund der allgemeinen Lage in Syrien kann sich der Vortrag des Antragstellers bei objektiver Beurteilung zu seinen Gunsten auswirken.

Weiterhin ist der Antrag nach § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Wiederaufgreifensgrundes gestellt hat. Auch diese Voraussetzungen sind erfüllt.

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen vor.

Ein Ausländer ist Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 AsylVfG).

Die Sachverhaltsermittlung hat ergeben, dass sich der Antragsteller aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes aufhält und deshalb Flüchtlingsschutz gem. § 3 Abs. 1 AsylVfG benötigt. [...]