BAMF

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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 28.07.2015 - 5746362-1-150 - asyl.net: M23091
https://www.asyl.net/rsdb/M23091
Leitsatz:

Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aufgrund drohender Gesundheitsverschlechterung wegen mangelnder Behandlungsmöglichkeiten bei Krebserkrankung (hier: Leukämie) im Kosovo.

Schlagwörter: Kosovo, medizinische Versorgung, Krebserkrankung, Leukämie, erhebliche individuelle Gefahr, medizinische Versorgung, Krankheit,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

4. Ein Abschiebungsverbot liegt vor.

Zwar kommt das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegend nicht in Betracht. Es sind jedoch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben.

Von einer Abschiebung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn für den Ausländer eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (BVerwG, U. v. 13.01.2013, 10 C 15.12, Rdnr. 37).

Solche Gefahren drohen der Antragstellerin bei Rückkehr in ihr Herkunftsland.

Eine erhebliche konkrete Gefahr i. S. von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann vorliegen, wenn die im Zielstaat drohende Beeinträchtigung in der Verschlimmerung einer Krankheit besteht, unter der der Ausländer bereits in der Bundesrepublik Deutschland leidet. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen (vgl. BVerwG, B. v. 17.08.2011, 10 B 13.11 u.a.).

Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist es erforderlich, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, B. v. 17.08.2011, a.a.O.)

Die Gefahr ist "erheblich" i.S. von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verändern würde und "konkret", wenn der Asylbewerber alsbald nach seiner Rückkehr in den Abschiebestaat in diese Lage käme, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten der Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (BVerwG, Urteil vom 25.11.1997, 9 C 58.96, BVerwGE 105, 383).

Gemessen an diesen Kriterien liegen im Falle der Antragstellerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Anhand der vorgelegten Atteste wurde nachvollziehbar dargelegt, dass resultierend aus der chronisch myeloischen Leukämie alsbald nach Ankunft im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die drohende Gefahr einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung drohen würde.

Der zu erwartenden Gefahr kann auch nicht mit den im Heimatland zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten begegnet werden, da unzureichenden Möglichkeiten der Behandlung im Kosovo bestehen.

Laut Auskunft der Datenbank MedCOI (Medical Country of Origin Information) und den Angaben von IOM, ist die Behandlung von Krebspatienten im Kosovo schwierig und teilweise nicht möglich. Patienten, die an Krebs erkrankt sind, sollten in der Theorie kostenfrei behandelt werden. Allerdings ist die Therapie nicht immer verfügbar. Medikamente seien laut Ärzten vor Ort in einem Monat verfügbar, im nächsten Monat oder Jahr können sie die Medikamente nicht mehr bereit stellen. Da es im Kosovo keine Krankenversicherung gibt, sei es auch möglich, die Medikamente in Apotheken zu kaufen. Dort seien die Medikamente aber selten und inoffiziell verfügbar, zudem würden sie sehr viel Geld kosten - 30 Tabletten würden 3.000 Euro kosten. Hinzu kommt, dass das Gesundheitsministerium nur begrenzte Ressourcen habe, während die Zahl der Krebspatienten stetig wachse, weshalb die Behandlung sehr schwierig sei.

Aus diesen Gründen liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

In Anbetracht der Feststellung des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erübrigt sich die Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG. Beide Anspruchsgrundlagen bilden einen einheitlichen Streitgegenstand (vgl. BVerwG, U. v. 08.09.2011, 10 C 14.10), die Rechtsfolgen sind gleichrangig und gleichartig, so dass auf Doppel-, Mehrfach- und Parallelprüfungen verzichtet werden kann. [...]