VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 13.08.2015 - A 6 2881/14 - asyl.net: M23122
https://www.asyl.net/rsdb/M23122
Leitsatz:

Eine Entscheidung, die allein auf § 26a AsylVfG gestützt wird, darf nicht ohne Abschiebungsanordnung ergehen und auch nicht mit einer Abschiebungsandrohung verknüpft werden.

Schlagwörter: sichere Drittstaaten, subsidiärer Schutz, Übernahmebereitschaft, Litauen, Dublinverfahren, deutsch-litauisches Rückübernahmeabkommen, nationales Abschiebungsverbot, Abschiebungsandrohung, Zweitantrag, Abschiebungsanordnung,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 26a, AsylVfG § 26a Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2, AsylVfG § 71a AsylVfG,
Auszüge:

[...]

1. Die zulässige Klage ist begründet. Der von den Klägern angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Juni 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Als rechtliche Grundlage für die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffene Entscheidung kommt einzig § 31 Abs. 4 i.V.m. § 26a AsylVfG in Betracht. In Ziff. 1 des Bescheides wurde ausschließlich eine Aussage dazu getroffen, ob den Klägern das Asylrecht nach Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes zusteht. Über die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Asylantrages wurde nicht entschieden. Aus den Gründen des Bescheides, in dem nur auf die Einreise der Kläger aus Litauen als sicherem Drittstaat hingewiesen wird, ergibt sich nichts anderes. § 27a AsylVfG kommt daher als Rechtsgrundlage der Verfügung nicht in Frage.

Nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann sich ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG (sicherer Drittstaat) eingereist ist, nicht auf das Asylgrundrecht berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt (§ 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Wird der Asylantrag nur nach § 26a AsylVfG abgelehnt, ist nur festzustellen, dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht (§ 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG). Dies ist hier der Fall, nachdem die Kläger aus Litauen, das als Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG als sicherer Drittstaat gilt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 2315/93 - juris Rdnr. 159), in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Dabei kann offen bleiben, ob die Anwendbarkeit des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bereits nach § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG ausgeschlossen ist, was der Fall wäre, wenn die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) im Fall der Kläger anwendbar wäre und sich hieraus die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland begründen würde. Denn der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung über den Asylantrag nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG steht jedenfalls entgegen, dass die Abschiebung der Kläger nach Litauen derzeit nicht angeordnet werden darf. Ohne Abschiebungsanordnung darf eine Entscheidung, die allein auf § 26a AsylVfG gestützt wird, nicht ergehen (unten 1.). Sie darf auch nicht mit einer Abschiebungsandrohung - wie sie das Bundesamt mittlerweile ergänzend erlassen hat - verknüpft werden (unten 2.).

1. Für den Fall, dass die übrigen Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorliegen, sieht § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vor, dass das Bundesamt die Abschiebung in den sicheren Drittstaat anordnet, "sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann." Steht demgegenüber fest, dass eine Rückführung in den sicheren Drittstaat nicht erfolgen kann, darf eine Abschiebungsanordnung nicht ergehen. Vielmehr ist in solchen Fällen ein "normales" Asylverfahren durchzuführen mit der Besonderheit, dass die Gewährung von Asyl durch § 26a Abs. 1 Sätze 1 u. 2 AsylVfG gesperrt ist. Für die Fälle der Einreise eines Antragsstellers auf dem Landweg, in denen mangels ausreichender Erkenntnisse kein Dublin-Verfahren durchgeführt und eine Abschiebung in den sicheren Drittstaat nicht erwogen wird, handhabt das Bundesamt dies generell so. Diese Verfahrensweise gilt aber auch für solche Fälle, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat zwar zunächst in Betracht kam, sich dann aber als unmöglich herausgestellt hat. Für all diese Fälle ist aus § 31 Abs. 4 Satz AsylVfG und seiner Stellung innerhalb der Norm zu schließen, dass die bloße Ablehnung des Asylantrages nach § 26a AsylVfG nicht ausreicht (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand: Mai 2015, § 34a Rdnr. 6 ff.). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Die Abschiebung der Kläger nach Litauen ist nicht möglich. Auf das Gesuch des Bundesamtes um Wiederaufnahme der Kläger nach Litauen im Rahmen des Dublin-Verfahrens hat die zuständige Abteilung des dortigen Innenministeriums am 6. Juni 2014 mitgeteilt, dass eine Verantwortlichkeit Litauens für die Kläger nicht bestehe. Den Klägern sei der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden. Damit hat Litauen erklärt, dass es nicht bereit ist, die Kläger wieder aufzunehmen. Nachdem das Bundesamt in der Folge nicht versucht hat, eine Änderung dieser Erklärung zu erreichen, ist von deren weiterer Gültigkeit auszugehen. Eine Übernahmebereitschaft Litauens im Rahmen des Dublin-Verfahrens besteht mithin nicht. Dass Litauen aufgrund anderer Regelungen verpflichtet sein könnte, die Kläger wieder aufzunehmen, ist nicht ersichtlich. Das Bundesamt hat keine weitere Anfrage an die litauischen Behörden gerichtet. Aus dem deutsch-litauischen Rückübemahmeabkommen vom 16. Dezember 1998 dürfte sich jedenfalls heute eine Verpflichtung Litauens zur Rücknahme der Kläger nicht mehr ergeben, da der Antrag auf Übernahme innerhalb von 12 Monaten nach Kenntnis der Behörden von der rechtswidrigen Einreise/dem rechtswidrigen Aufenthalt hätte gestellt werden müssen (Art. 4 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens). Diese Frist ist abgelaufen. Folglich wäre das Bundesamt verpflichtet gewesen, ein "normales" Asylverfahren durchzuführen.

Mit der Verpflichtung, von einer bloßen Entscheidung nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG abzusehen und eine Entscheidung über den Asylantrag in der Sache zu treffen, steht nicht zugleich fest, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Flüchtlingsschutz, die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus sowie die Feststellung des Bestehens von nationalen Abschiebungsverboten insgesamt materiell zu prüfen wären. Dies hängt vielmehr davon ab, ob dem Antragsteller im sicheren Drittstaat schon nationaler oder internationaler Schutz gewährt wurde. Wurde einem Antragsteller bereits Flüchtlingsschutz zuerkannt, so ist die Bundesrepublik Deutschland nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG verpflichtet, diesen Status zu beachten. Ein Bescheidungsinteresse des Antragstellers für eine nochmalige Entscheidung über einen solchen Antrag besteht nicht. Gleichfalls erübrigt sich eine Entscheidung zum subsidiären Schutzstatus bzw. dem Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote. Wurde einem Antragsteller - wie hier - im sicheren Drittstaat der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt, gilt diese Regelung entsprechend (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.06.2014 - 10 C 7.13 - juris). In diesen Fällen ist jedoch eine - formale - Entscheidung über den Asylantrag zu treffen, der schlichte Verweis auf die Rechtsfolge des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG genügt nicht.

2. Die Verknüpfung einer Entscheidung nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG mit einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG ist nicht zulässig. Insbesondere stellt die Androhung der Abschiebung im Verhältnis zu deren Anordnung kein milderes Mittel dar. Vielmehr handelt es sich bei der in § 34a AsylVfG geregelten Anordnung der Abschiebung im Verhältnis zur Abschiebungsandrohung um einen Spezialfall, in dem ein Ausländer kurzfristig in einen sicheren Drittstaat oder einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, aber gerade nicht in den Herkunftsstaat abgeschoben werden soll (vgl. VG Berlin, Urt. v. 04.06.2015 - 23 K 906.14 A - juris Rdnr. 35 ff.). Aus der vom Bundesamt zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bayreuth (Beschl. v. 30.10.2013 - B 3 S 13.30280 -, juris) ergibt sich nichts anderes. In der Entscheidung hat das Gericht ausgeführt, die Anwendung des § 34 AsylVfG sei nicht deshalb ausgeschlossen [sei], weil die Androhung der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat lediglich in § 34a Abs. 1 AsylVfG erwähnt wird. Insbesondere sei keine rechtliche Verpflichtung dahingehend ersichtlich, bei der vorgesehenen Abschiebung in einen sicheren Drittstaat stets eine Abschiebungsanordnung aussprechen zu müssen. Der Entscheidung lag allerdings ein Zweitantrag nach § 71a AsylVfG zugrunde, dessen Voraussetzungen die Behörde nicht als gegeben ansah und bei dem deshalb § 71a Abs. 4 AsylVfG angewandt wurde. § 71 a Abs. 4 AsylVfG verweist für den Fall, dass ein Asylverfahren nicht durchgeführt wird, auf die "entsprechende" Anwendung der "§§ 34 bis 36, 42 und 43 AsylVfG" und lässt damit die Androhung der Abschiebung ausdrücklich zu. Auf den Fall, dass das Bundesamt nur eine Entscheidung nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG trifft und sich im Übrigen weder zur Zulässigkeit noch zur Begründetheit des Asylantrages einlässt, ist die Entscheidung nicht übertragbar. [...]