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VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, 0 vom 22.07.2015 - A 1 K 1638/13 - asyl.net: M23154
https://www.asyl.net/rsdb/M23154
Leitsatz:

Das Bundesamt ist verpflichtet, die Indizien, die auf eine Manipulation der Fingerkuppen hinweisen, und die Einlassung des Betroffenen hierzu hinreichend zu dokumentieren, um im Streitfall das Bestehen berechtigter Zweifel am Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses nachweisen zu können.

Schlagwörter: Fingerabdrücke, Manipulation, Identitätsfeststellung, Täuschung über Identität, Sachentscheidungsinteresse, Asylverfahren, Mitwirkungspflicht, erkennungsdienstliche Behandlung,
Normen: AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 7,
Auszüge:

[...]

Berechtigte Zweifel am Bestehen eines Sachentscheidungsinteresses ergeben sich folglich nicht allein aus der Unverwertbarkeit der einem Schutzsuchenden abgenommenen Fingerabdrücke. Denn die Unverwertbarkeit von Fingerabdrücken ist nicht zwangsläufig auf eine zielgerichtete Manipulation zurückzuführen (grundlegend: BVerwG, Urteil vom 05.09.2013, a.a.O.). Sie kann ihre Ursache beispielsweise auch in einer genetischen Disposition oder Erkrankung des Betroffenen haben oder auf die Folgen einer Chemotherapie zurückzuführen sein. Außerdem kann sie auf einer fehlerhaften Abnahme und/oder Auswertung der Fingerabdrücke durch die Behörde beruhen. Auch eine untypische Häufung von Qualitätsmängeln bei bestimmten Herkunftsländern stellt für sich genommen keinen hinreichenden Anlass dar. Anders verhält es sich jedoch, wenn über die bloße Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke hinaus bei der Abnahme konkrete Anhaltspunkte für eine Manipulation der Fingerkuppen bestehen, etwa wenn die Fingerkuppen sichtbare Anomalien aufweisen (z.B. Abschürfungen, Vernarbungen, Schleifspuren, Fehlen von oder auffallend geringe Höhe der Papillarleisten) und der Betroffene diese nicht schlüssig erklären kann. Gleiches gilt bei mehrfacher Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke mit unterschiedlichen Fehlstellen. In diesen Fällen besteht der Verdacht, dass der Asylsuchende die Verwertbarkeit seiner Fingerabdrücke durch eigenes Tun vereitelt hat, um so seine wahre Identität zu verschleiern. Ein derartiges Verhalten ist geeignet, Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Asylbegehrens zu begründen. Das Bundesamt ist gut beraten, wenn es dann die Indizien, die auf eine Manipulation hindeuten, und die Einlassung des Betroffenen hinreichend dokumentiert, um im Streitfall das Bestehen berechtigter Zweifel am Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses nachweisen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.09.2013, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall sind unter Berücksichtigung dieser Kriterien zwar einerseits Umstände vorhanden, die grundsätzlich geeignet sind, einen Manipulationsverdacht zu begründen. Insbesondere die hohe Zahl der Fingerabdruckabnahmen, die zu keinem Ergebnis geführt haben, könnte möglicherweise auf eine Manipulation hindeuten. Andererseits sind mit Ausnahme der Abnahme am 20.10.2011 - dort wurden bei der Inaugenscheinnahme der Fingerkuppen Abschürfungen, Vernarbungen, starke Rillen und Unebenheiten, gerötete Finger und äußerst schwache Papillarlinien festgestellt - bei keiner Fingerabdruckabnahme konkrete Feststellungen getroffen worden, die einen Manipulationsverdacht erhärten könnten. Im Gegenteil ist bei der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 26.02.2013 sogar vermerkt worden, dass keine Manipulation feststellbar sei. Ausweislich eines Vermerks vom 28.04.2011 sind auch bei einer früheren erkennungsdienstlichen Behandlung keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Ferner hat der Kläger ein ärztliches Attest vom 12.04.2011 vorgelegt, in dem ausgeführt wird, es lägen auch dermatoskopisch keinerlei Hinweise für eine Manipulation der Fingerkuppen vor, keine Spuren von Verletzungen, Verklebungen, Verätzungen oder anderen Manipulationen; die Feinstruktur des Hautreliefs sei völlig unauffällig. Bei einer Würdigung dieser besonderen Umstände ist der Anfangsverdacht, der Kläger könnte seine Fingerkuppen bewusst manipuliert haben, zwar keinesfalls vollständig ausgeräumt. Angesichts der vorhandenen entlastenden Umstände ist der Verdacht einer Manipulation der Fingerkuppen in dem besonderen Einzelfall des Klägers aber umgekehrt auch nicht in dem erforderlichen Grad erhärtet. Insoweit gehen die verbleibenden Zweifel zu Lasten der Beklagten, denn das Bundesamt ist verpflichtet, die Indizien, die auf eine Manipulation hindeuten, und die Einlassung des Betroffenen hinreichend zu dokumentieren, um im Streitfall das Bestehen berechtigter Zweifel am Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses nachweisen zu können (vgl. BayVGH, Urteil vom 09.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris; insoweit bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 18.02.2015 1 B 2.15 - juris). [...]