1. Die Durchführung einer Abschiebungsanordnung des Bundesamtes nach § 34a AsylVfG zur Überstellung eines Drittstaatsangehörigen in einen Mitgliedstaat löst ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht aus.
2. Eine gleichwohl erfolgte Befristung wird aus Gründen der Klarstellung aufgehoben.
3. Für die Befristung seiner Abschiebungsregelungen ist seit dem 1. August 2015 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
1. Es besteht schon kein Anlass für die ausgesprochene Befristung, weil die Durchführung einer Abschiebungsanordnung des Bundesamtes nach § 34a AsylVfG zur Überstellung eines Drittstaatsangehörigen in einen Mitgliedstaat ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht auszulösen vermag.
Im Ergebnis ebenso:Beck/OK AuslR/Maor AufenthG § 11 Rndr. 5(möglicherweise für alle Fallkonstellationen des § 34a AsylVfG).
a) Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG löst unter anderem eine Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot aus.
"Abschiebung" im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist jede tatsächliche ausländerbehördliche Beendigung des Aufenthaltes im Bundesgebiet in Anwendung unmittelbaren Zwanges nach dem Zweiten Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des VwVG NW, also der §§ 66 ff. VwVG NW.
Im Falle der zwangsweisen Durchsetzung einer zuvor herbeigeführten Pflicht zu freiwilligen Ausreise erwächst die nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 VwVG NW erforderliche gesetzliche Befugnis zur Zwangsanwendung aus dem Vollstreckungsrecht; der Weg zu § 66 VwVG NW geht über die §§ 55, 57 VwVG NW.Im Falle der Durchführung einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG erwächst die erforderliche Zwangsanwendungsbefugnis unmittelbar aus § 34a AsylVfG, ohne dass es des Weges über das Vollstreckungsrecht bedürfte.
Bei der Bestimmung, ob mit einer solchen Maßnahme auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verbunden sein soll, ist der nationale Gesetzgeber an das supranationale Recht gebunden; das nationale Gesetz ist europarechtskonform auszulegen.
Soweit es um die Beendigung des Aufenthaltes von Drittstaatsangehörigen geht, ist deshalb die Richtlinie 2008/115 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2009 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – Abl. L 348 vom 24. Dezember 2009, S. 98 bis 107 – (im Folgenden Rückführungsrichtlinie) zu beachten. Nach Art. 11 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie wird ein Einreise- und Aufenthaltsverbot durch eine Rückkehrentscheidungen ausgelöst. Daraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass diesem Begriff nicht unterfallende Maßnahmen nach dem Europarecht eine solche Verbotswirkung nicht zeitigen sollen.
Art. 3 Nr. 5 und Art. 8 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie definieren die "Abschiebung" als die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, mithin einer zuvor herbeigeführten Verpflichtung des Ausländer, die sich auf die "Rückkehr" richtet, die wiederum nach Art. 3 Nr. 3 der Rückführungsrichtlinie die Rückkehr primär ins Herkunftsland (und ausnahmsweise in einen anderen Drittstaat oder im Falle völkerrechtlicher Absprachen in ein Transitland) meint.
Keine Rückkehrentscheidung im europarechtlichen Sinne sind hingegen Maßnahmen, die europarechtlich als "Überstellung" eingeordnet werden.
Diesen Begriff verwendet die Verordnung 2013/604 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrages auf Internationalen Schutz zuständig ist – Abl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31 bis 59 – (im Folgenden Dublin III VO) etwa in der Erwägung 24 und im Abschnitt VI.
Art. 26 Abs. 1 Satz 1 der Dublin III VO beschreibt diese – nationalrechtlich als Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG ergehende – Maßnahme dahin, dass "die betreffende Person von der Entscheidung in Kenntnis" gesetzt wird, "sie in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen", und bezeichnet die spätere Anwendung unmittelbaren Zwanges in Art. 26 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 lit. c), Abs. 4 der Dublin III VO nicht als Vollstreckung oder Durchsetzung einer Pflicht des Ausländers, sondern als "Durchführung der Überstellung".
Die Durchführung einer Abschiebungsanordnung ist in Konstellationen wie der vorliegenden nationalrechtlich keine über das Vollstreckungsrecht laufende Durchsetzung einer auf die Ausreisepflicht gerichteten HDUVerfügung, sondern eine Standardmaßnahme in dem Sinne, dass die dem Ausländer gegenüber ergehende Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG nur die behördliche Feststellung enthält, nach dortiger Prüfung habe man die Befugnis zu der angeordneten Verlegung.
Grundsätzlich ist jeder Staat bei der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen völkerrechtlich daran gebunden, einen Ausländer in das Land seiner Staatsangehörigkeit abzuschieben; die verbindliche Bestimmung anderer Abschiebungszielstaaten bedarf bi- oder multilateraler Absprachen der beteiligten Staaten.
Die Variante der Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen in einen Mitgliedstaat nach § 58 Abs. 1b) AufenthG bestätigt dies, indem dort inhaltlich die Vorgabe des Zielstaates durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels seitens dieses Zielstaates legitimiert ist, und es sich strukturell um eine Abschiebung mit nur der Besonderheit handelt, dass es der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich erlaubt ist, die Abschiebung nicht in den Staat der Staatsangehörigkeit vorzunehmen.
Art. 30 der Dublin III VO unterstreicht den völkerrechtlichen Charakter der Überstellung unter Mitgliedstaaten mit der Festlegung, welcher Staat die Kosten der Überstellung zu tragen hat, und stellt in Abs. 3 das Verbot auf, die Kosten dem zu Überstellenden aufzuerlegen. Das weicht von der Haftungsregelung für die Kosten einer "Abschiebung" in den §§ 66 ff. AufenthG ab.
Inhaltlich soll ein Einreise- und Aufenthaltsverbot europarechtlich im Grundsatz nur entstehen, wenn der Drittstaatsangehörige das gesamte Vertragsgebiet verlässt oder daraus zwangsweise entfernt wird und im Rahmen der Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie materiellrechtlich geklärt ist, dass der weitere Aufenthalt des Ausländers illegal ist.
Die Ausnahme der Abschiebung nach § 58 Abs. 1b) AufenthG erklärt sich aus dem Umstand, dass die Legalität des Aufenthaltes des Drittstaatsangehörigen nach Maßgabe des Rechts des anderen Mitgliedstaates auf dessen Gebiet beschränkt war, und der Ausländer dies mit seinem (zu beendenden) Aufenthalt im Bundesgebiet missachtet hat.
Dementsprechend sieht Art. 11 Abs. 4 der Rückführungsrichtlinie vor, dass der Mitgliedstaat, der von einem durch einen anderen Mitgliedstaat verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbot abweichend den Aufenthalt des Ausländers zu legalisieren erwägt, den verhängenden Mitgliedstaat konsultieren muss. Das erhellt, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot im Falle ordnungsgemäßer Herbeiführung grundsätzlich für alle Mitgliedstaaten gilt, nicht aber innerhalb des Vertragsgebietes und mithin auch nicht für bloße Verlegungen innerhalb dessen.
b) Gegen die Exemtion der Fälle der Durchführung einer Überstellung eines Drittstaatsangehörigen in einen anderen Mitgliedstaat auf der Basis einer Abschiebungsanordnung des Bundesamtes nach § 34a AsylVfG vom Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG könnte vor allem der Wortlaut des § 75 Nr. 12 AufenthG angeführt werden, der die Zuständigkeit für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 34a AsylVfG generell – und nicht beschränkt auf die im hiesigen Kontext unproblematischen Fälle des § 26a AsylVfG in Verbindung mit Art. 16a Abs. 2 Satz 2 GG – dem Bundesamt zuweist.
Jedoch spricht die Entstehungsgeschichte dieser neuen Zuständigkeitsnorm dafür, dass die späte Einbeziehung auch der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG nicht aufgrund reiflicher Überlegung erfolgt ist.Nachdem der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drucksache 18/4097; zu Ziff. 37 lit. c)) nur die Zuständigkeit für die neuen Befugnisse nach § 11 Abs. 7 AufenthG bestimmen wollte, empfahl der Bundesrat (BR-Drucksache 642/14; Ziff. 31) aus Gründen der Klarstellung die Erweiterung auf die – unproblematischen! – Fälle des § 34 AsylVfG; die Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT-Drucksache 18/5420 zu Buchstabe q) sah dann ohne weitere eigene Erwägungen dazu und unter Bezugnahme auf die Bundesratsempfehlung die – einschränkungslose – Erweiterung auf alle Abschiebungsanordnungen nach § 34a AsylVfG vor.
2. Zudem ist mit dem Inkrafttreten der jüngsten Neuregelung des AufenthG die zuvor bestehende Zuständigkeit des Beklagten als Ausländerbehörde für die Bemessung der Dauer des mit der Abschiebung aus einer Abschiebungsregelung des Bundesamtes nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG etwa einhergehenden Einreise- und Aufenthaltsverbotes verdrängt.
Klagen auf Verkürzung der Sperrfrist werden üblicherweise als Verpflichtungsklage (in diesem Sinne BundesverwaltungsgerichtUrteil vom 14. Februar 2012 – 1C 7.11 –, Rdnr. 34;Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19.11 -, Rdnr. 27, 39 –) verstanden, so dass die gegenwärtige Sach- und Rechtslage maßgeblich ist.
Nach § 75 Nr. 12 AufenthG in der heute geltenden Fassung ist allein das Bundesamt für den Ausspruch der Befristung eines durch die Durchsetzung oder Durchführung einer ihrer Abschiebungsregelungen ausgelösten Einreise- und Aufenthaltsverbotes zuständig.
Mangels einer Übergangsregelung gilt dies sofort.
Der Umstand, dass in Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung eine solche partiell getroffen wurde, belegt, dass das etwaige Erfordernis von Übergangsregelungen im Blick des Gesetzgebers war.Sie hinsichtlich § 75 Nr. 12 AufenthG nicht zu treffen, ist nach Auffassung des Gerichts dahin auszulegen, der Gesetzgeber habe bewusst diese Regelung umgehend und umfassend in Kraft setzen wollen.
Im Gesetzgebungsverfahren sind zwar Aspekte der Verfahrensökonomie angesprochen worden als Grund dafür, dem Bundesamt diese Aufgabe nur dann zuzuweisen, wenn es den Asylantrag als solchen bearbeitet und entscheidet, um eine neuerlichen Befassung dieser Behörde mit dem Fall möglichst zu vermeiden. Auf dieser Linie liegt es auch, dass nach § 11 Abs. 4 AufenthG alle etwaigen späteren Entscheidungen im Zusammenhang mit einer Befristung weiterhin in der alleinigen Zuständigkeit der Ausländerbehörde bleiben sollen. Jedoch haben diese Erwägungen im Wortlaut des Gesetzes keinen Widerhall gefunden.
Da dieser eindeutig ist, kann ihm auch im Wege der Auslegung nichts anderes entnommen werden; vielmehr bildet der Wortlaut die Grenze der Auslegung.
Dem entgegen führt der Auslegungshinweis des Bundesministeriums des Innern (vom 3. August 2015) und des Ministeriums für Inneres und Kommunales NRW (vom 3. August 2015) an: "in den Fällen, in denen der Vorgang beim BAMF bereits (seit Langem) abgeschlossen ist, ist die Ausländerbehörde für die Befristung zuständig".
Den unzweideutigen Willen des Gesetzgebers im Wege einer solchen teleologischen Reduktion zu verändern, sieht das Gericht angesichts der Genese des Gesetzes weder Anlass noch angesichts der ungewöhnlichen Vielzahl der erfassten Fälle Berechtigung.Zudem würde die in dem Auslegungshinweis vorgeschlagene Lösung auch nicht zu einer wirksamen Klärung beitragen. Denn mit den in beiden Erlassen angeführten einschränkenden Kriterien, nur "seit Langem" "abgeschlossene" Vorgänge von der Zuständigkeit des Bundesamtes auszunehmen, wäre eine eindeutige Abgrenzung nicht möglich. Zum einen ist der Begriff "seit Langem" in seiner zeitlichen Ausdehnung denkbar unbestimmt, zum anderen ist für Außenstehende (wie etwa das Gericht) nicht übersehbar, wann das Bundesamt einen Vorgang "abschließt"; auch inhaltlich ist nicht eindeutig, ob damit das Ergehen eines Bescheides das Bundesamtes gemeint sein und dann abgestellt werden soll auf den Zeitpunkt der Zustellung oder aber des Eintritts seiner Bestandskraft.
Speziell in Fällen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG kommt – wenn man entgegen obiger Ansicht den Eintritt eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes für möglich hält – hinzu, dass das Bundesamt den "Vorgang" bis zur tatsächlichen Durchführung der Überstellung schon deshalb nicht "abschließen" kann, weil es ihn mit Blick auf die ausnahmsweise eigene Verantwortlichkeit für die Beachtung auch denkbarer inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse ohnehin laufend unter Kontrolle halten muss, so dass es denkbar unzweckmäßig und der Verwaltungsökonomie zuwiderlaufend wäre, die an sich ausschließliche und bis zur Durchführung währende Zuständigkeit contra legem aufzuspalten. [...]