VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 31.08.2015 - 7 L 2889/15 - asyl.net: M23245
https://www.asyl.net/rsdb/M23245
Leitsatz:

Fehlt es für eine geplante Abschiebung an einer Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 S. 1 und 4 AufenthG, steht der Abschiebung ein Vollstreckungshindernis entgegen.

Für den Erlass der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist in Asylverfahren nicht mehr die Ausländerbehörde, sondern gem. § 75 Nr. 12 AufenthG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig.

Schlagwörter: Abschiebungsandrohung, Befristungsentscheidung, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit,
Normen: AufenthG § 11, AufenthG § 11 Abs. 1, AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 11 Abs. 2 S. 4, AufenthG § 75 Nr. 12,
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch. Nach summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass der Abschiebung der Antragstellerin rechtliche Gründe entgegen stehen.

Diese ergeben sich aus § 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 4 und § 75 Nr. 12 AufenthG, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Juli 2015, BGBl. I, 1386. Gem. § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der u.a. abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Nach Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist dieses Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Gem. Satz 4 der Vorschrift soll die Frist mit der Abschiebungsandrohung, spätestens aber bei der Ab- oder Zurückschiebung festgesetzt werden. Nach § 75 Nr. 12 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Aufgabe, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 im Falle einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 Asylverfahrensgesetz zu treffen.

Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass es für die am 1. September 2015 geplante Abschiebung der Antragstellerin an der vollstreckungsrechtlichen Voraussetzung einer erforderlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 und 4 AufenthG fehlt.

Da die Antragsgegnerin die Abschiebung der Antragstellerin vorliegend ausweislich ihres Anhörungsschreibens vom 28. August 2015 auf der Grundlage der von dem Bundesamt in dem Bescheid vom 25. Juni 2015 nach § 34 AsylVfG erlassenen Abschiebungsandrohung betreibt, ist für den Erlass der Befristungsentscheidung des § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gem. § 75 Nr. 12 AufenthG nicht die Antragsgegnerin sondern das Bundesamt zuständig. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der zugrunde liegende Bescheid des Bundesamtes und die darin getroffene Abschiebungsandrohung noch vor der Neuregelung des Aufenthaltsgesetzes erlassen worden sind. Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 sieht insoweit - anders als für die Neuregelung der Ausweisungen - keine Übergangsregelung vor, so dass diese Zuständigkeitsbestimmung sofort mit Inkrafttreten des Gesetzes gilt. Für eine andere Auslegung, wonach die Ausländerbehörden für "seit Langem" abgeschlossene Vorgänge des Bundesamtes für die Befristungsentscheidung zuständig bleiben soll, wie es dem Bundesministerium des Innern und dem Ministerium für Inneres und Kommunales NRW ausweislich ihrer Auslegungshinweise vom 3. August 2015 offenbar vorschwebt, ist vor diesem Hintergrund und angesichts des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift kein Raum.

Für den Erlass der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG war daher nicht mehr die Antragsgegnerin, sondern gem. § 75 Nr. 12 AufenthG das Bundesamt zuständig. Aus diesem Grund kann die von der Antragsgegnerin ohne sachliche Zuständigkeit getroffene Befristungsverfügung vom 31. August 2015 nicht die erforderliche vollstreckungsrechtliche Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG für die am 1. September 2015 geplante Abschiebung darstellen.

Dabei kann dahinstehen, ob die von der Antragsgegnerin entgegen der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung erfolgte Befristungsentscheidung vom 31. August 2015 bereits gem. § 44 Abs. 1 VwVfG NRW nichtig ist, weil sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Dies könnte hier in Betracht kommen, weil der Antragsgegnerin als kommunale Ausländerbehörde offenkundig die Verbandskompetenz für Entscheidungen fehlt, die einer Bundesbehörde (dem Bundesamt) zugewiesen sind (vgl. dazu Kopp, VwVfG, 14. Auflage 2013, § 44 Rn. 14<9.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Befristungsentscheidung der Antragsgegnerin wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig und damit grundsätzlich wirksam wäre, müsste dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs. 4 GG gleichwohl entsprochen werden. Dies folgt aus den Folgen, die eine Anfechtung der Befristungsentscheidung in der Hauptsache hätte. Da die Antragsgegnerin für die Befristungsentscheidung sachlich nicht zuständig wäre, wäre die Befristungsentscheidung auf eine Klage hin in dem Hauptsacheverfahren aufzuheben. Zwar handelt es sich bei einer Klage gegen die Befristungsentscheidung nach herrschender Meinung um eine Verpflichtungsklage. Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes käme jedoch mangels sachlicher Unzuständigkeit er Antragsgenerin nicht in Betracht. Aufgrund der (rückwirkenden) Aufhebung der Befristungsentscheidung wäre die Abschiebung daher im Ergebnis entgegen § 11 Abs. 2 S. 4 AufenthG ohne eine vorausgesetzte vorherige Befristungsentscheidung erfolgt, ohne dass eine entsprechende Reparatur im Klageverfahren erfolgen könnte. Dieser Umstand bliebe bei bloßer Aufhebung der Befristungsentscheidung im Klageverfahren damit folgenlos. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ist daher die fehlende Zuständigkeit der Antragsgegnerin bereits im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu berücksichtigen, selbst dann, wenn von der Wirksamkeit der Befristungsentscheidung ausgegangen werden würde.

Angesichts dessen kann offen bleiben, ob die Abschiebung auch deswegen zu untersagen war, weil die Antragstellerin die Befristungsentscheidung erst einen Tag vor der geplanten Abschiebung erhalten hat und die Anhörung zur geplanten Befristungsentscheidung erst mit Anhörungsschreiben vom 28. August 2015 erfolgt ist.

Der Antragsgegnerin war angesichts obiger Ausführungen auch zu untersagen, die Antragstellerin auf der Grundlage der Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes vom 25. Juni 2015 abzuschieben, bevor nicht eine Entscheidung des Bundesamtes über die Befristung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergangen ist. Der Antragstellerin ist daher eine Duldung zu erteilen, wobei ihr auch in zeitlicher Hinsicht eine effektive Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Befristungsentscheidung einzuräumen ist. [...]