OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 05.10.2015 - 5 B 259/15.A (= ASYLMAGAZIN 1-2/2016, S. 35 ff.) - asyl.net: M23267
https://www.asyl.net/rsdb/M23267
Leitsatz:

1. Ein fristgerechter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylVfG unterbricht die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO und setzt sie neu in Lauf, wenn er abgelehnt wird. Bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung bleibt die Überstellungsfrist hingegen bis zur endgültigen Entscheidung über die Klage unterbrochen und beginnt erst dann neu.

2. Die vor Ablauf der Überstellungsfrist gemäß § 34a AsylVfG angeordnete Abschiebung in einen aufnahmebereiten Mitgliedstaat verletzt den Asylbewerber nach Ablauf der Überstllungsfrist - wenn der Mitgliedstaat dann nicht mehr aufnahmebereit ist - in seinem subjektiven Recht auf Sachprüfung seines Asylantrags in einem der Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO, das den Anspruch auf ein effektives und zügiges Verfahren zur Bestimmung des für die Sachprüfung zuständigen Mitgliedsstaats einschließt. Die materielle Beweislast für das Fortbestehen der Aufnahmebereitschaft nach Fristablauf trägt die Behörde.

Amtlicher Leitsatz

Schlagwörter: Dublinverfahren, Überstellungsfrist, aufschiebende Wirkung, Suspensiveffekt, Unterbrechung der Frist, Hemmung der Frist, subjektives Recht, Aufnahmebereitschaft, Übernahmebereitschaft, Beweislast, subjektives Recht, Beschleunigungsgebot, Sachprüfung,
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 1 S. 1, VO 604/2013 Art. 27 Abs. 3 Bst. c, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

b) Ist somit die Frist gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Halbsatz 2 Dublin III-VO für die Überstellung des Antragstellers nach Polen vorliegend erst am 24. April 2015 abgelaufen, hat sich die Sach- und Rechtslage nach Erlass des ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2014 - 3 L 280/14.A – so geändert, dass die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Anordnung seiner Abschiebung in Ziffer 2 des Bescheids vom 28. März 2014 nunmehr anzuordnen ist, weil offen ist, ob Polen noch bereit ist, den Antragsteller aufzunehmen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfolgt aufgrund dessen mit Wirkung für die Zukunft ab dem Eintritt der Änderung der Sach- und Rechtslage am 25. April 2015. Dies lässt auch den Ablauf der Überstellungsfrist und dessen Rechtsfolge gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, den Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin, unberührt.

Bei der i.R.d. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 7 VwGO grundsätzlich nur aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmenden Interessenabwägung, die sich vor allem nach den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache richtet und nur wenn diese wegen der besonderen Dringlichkeit nicht wenigstens summarisch zu beurteilen sind, allein anhand einer umfassenden Abwägung der gegenläufigen Interessen unter Berücksichtigung der bei einer Ablehnung und einer Stattgabe zu erwartenden Folgen zu erfolgen hat (vgl. zu diesem Maßstab etwa: BVerwG, Beschl. v. 29. Oktober 2014 - 7 VR 4.13 -, juris Rn. 10; SächsOVG, Beschl. v. 12. November 2007 - 5 BS 336/07 -, juris Rn. 17), überwiegt deshalb hier das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das Interesse der Antragsgegnerin an einem sofortigen Vollzug der Abschiebung nach Polen.

Allein der Ablauf der Überstellungsfrist und der damit gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO verbundene Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin rechtfertigt jedoch im Hauptsacheverfahren noch nicht die Aufhebung des Bescheids vom 28. März 2014, weil der angefochtene Bescheid allein deshalb den Antragsteller noch nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies folgt aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Reichweite des in Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO vorgesehenen Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung, der nunmehr insoweit inhaltlich unverändert in Art. 27 Dublin III-VO geregelt ist.

Danach kann sich ein Asylbewerber angesichts des Zwecks der Dublin II-VO, die Bearbeitung der Asylanträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der Mitgliedstaaten zu beschleunigen, nicht darauf berufen, dass die Kriterien des Kapitels III der Dublin II-VO zur Bestimmung des für die sachliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats rechtsfehlerhaft angewandt wurden, wenn ein Mitgliedstaat anhand dieser Kriterien der Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat. In einer solchen Situation kann der Asylbewerber nur noch systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat einwenden, weil das Gemeinsame Europäische Asylsystem auf dem Prinzips des gegenseitigen Vertrauens und damit auf der - nur durch den Einwand systemischer Mängel widerlegbaren - Vermutung beruht, dass Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta), der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), behandelt werden (ausführlich EuGH,. Urt. v. 10. Dezember 2013 – C-394/12, Abdullahi -, Rn. 49 bis 62, m.w.N.; vgl. EuGH, Urt. v. 21. Dezember 2011 - C-411/10, C-493/10, N. S. u.a. -, Rn. 78/79; EuGH, Urt. v. 14. November 2013 – C-4/11, Puid -, Rn 30). Dem folgt auch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Beschlüsse v. 19. März 2014 -10 B 6.14 -, juris Rn. 5 bis 7; v. 15. April 2014 - 10 B 16.14 und 10 B 17.14 -, jeweils juris Rn. 3 und 12; v. 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris Rn. 4; v. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris Rn. 5/6; v. 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 -, juris Rn. 4).

Die für diese Auslegung maßgebenden Erwägungen lassen sich im Grundsatz ebenso auf die anderen Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO und auch auf diejenigen der Dublin III-VO übertragen, so dass in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend Einigkeit besteht, dass die Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften des Dublin-Systems vom Grundsatz her nur objektive zwischenstaatliche Regelungen sind, die allein keine individuellen Rechtspositionen und damit auch keine klagefähigen subjektiven Rechte der betroffenen Asylbewerber auf deren Einhaltung begründen (vgl. u.a die Nachweise bei: OVG Rh.-Pf., Urt. v. 5. August 2015 - 1 A 11020/14 -, juris Rn. 36 ff.; sowie die detaillierte Begründung des OVG NRW, Beschl. v. 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris Rn. 6 ff.).

Dem schließt sich der Senat an. Aufgrund der dem Dublin-System zugrunde liegenden Vermutung, dass ein Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GR-Charta, der GFK und der EMRK behandelt wird, besteht nach diesem System grundsätzlich kein Anspruch auf ein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat. Solange feststeht, dass einer der Mitgliedstaaten bereit und in der Lage ist, den Asylantrag eines Asylbewerbers sachlich zu prüfen, kann deshalb - wenn keine sonstigen subjektiven Rechte des Asylbewerbers betroffen sind - dahinstehen, ob dieser Mitgliedstaat nach den Vorschriften des Dublin-Systems tatsächlich der zuständige Mitgliedstaat ist und ob er in einem ordnungsgemäßen Verfahren als zuständig bestimmt wurde. Dem entspricht es, dass selbst der erfolgreiche Einwand, dass es in dem als zuständig bestimmten Mitgliedstaat systemische Mängel gibt, nur dazu führt, dass anhand der Kriterien des Kapitels III der Dublin II-VO die Zuständigkeitsprüfung fortzuführen ist, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach diesen Kriterien oder nach Art. 13 Dublin-II-VO als zuständig bestimmt werden kann (vgl. EuGH, Urt. v. 14. November 2013 - C-4/11, Puid -, Tenor und Rn. 32 bis 37). Diese Rechtsprechung wurde nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO übernommen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Überstellungentscheidung nach Ablauf der Überstellungsfrist mit dem damit verbundenen Zuständigkeitsübergang auf den überstellenden Mitgliedstaat den Asylbewerber nicht in seinen subjektiven Rechten verletzen kann, wenn das Asylverfahren im Zielstaat der Überstellung keine systemischen Mängel aufweist (so aber wohl u. a.: OVG Schl.-H., Beschl. v. 24. Februar 2015 - 2 LA 15/15 -, juris Rn. 7; NdsOVG, Beschl. v. 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, juris Rn. 10 bis 13; HessVGH, Beschl. v. 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, juris Rn. 15). Denn die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs betrifft die Situation, dass der aufnehmende Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Dann ist der Asylbewerber aus den dargelegten Gründen auf den Einwand systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens beschränkt. Ist der Zielstaat der Überstellung hingegen nicht zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit und dazu auch nicht verpflichtet, wie im Fall des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, verletzt die Überstellungentscheidung den Asylbewerber in seinem subjektiven Recht auf sachliche Prüfung seines Asylantrags, das den Anspruch des Asylbewerbers auf ein effektives und zügiges Verfahren zur Bestimmung des für die Sachprüfung zuständigen Mitgliedstaats einschließt.

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Diese Regelung übernimmt Art. 3. Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO unverändert und erstreckt sie auf Asylanträge von Staatenlosen und in Transitzonen. In Ausformung des Asylgrundrechts gemäß Art. 18 GR-Charta, dessen uneingeschränkte Wahrung das erklärte Ziel der Dublin II-VO und auch der Dublin III-VO - ist (vgl. die Erwägungsgründe 15 Satz 2 der Dublin II-VO und 39 Satz 2 der Dublin III-VO), wird damit den Asylbewerbern ein Anspruch auf sachliche Prüfung ihrer Asylanträge in einem der Mitgliedstaaten gewährt, wenn auch nicht notwendig im gewünschten Staat, wie sich aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Dublin II-VO und der Dublin III-VO sowie deren weiteren Vorschriften ergibt.

Dieser Anspruch auf Sachprüfung in einem der Mitgliedstaaten umfasst nach Auffassung des Senats auch das subjektive Recht der Asylbewerber auf ein effektives und zügiges Verfahren zur Bestimmung desjenigen Mitgliedstaats, der die sachliche Prüfung durchführt. Andernfalls könnte der Anspruch auf Sachprüfung leer laufen, wenn sich kein Mitgliedstaat findet, der zur Sachprüfung bereit ist. Dementsprechend wurden sowohl die Dublin II-VO als auch die Dublin III-VO erlassen, um anhand objektiver und sowohl für die Mitgliedstaaten als auch die Betroffenen (mithin die Asylbewerber) gerechten Kriterien eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu ermöglichen sowie den effektiven Zugang zum Asylverfahren zu gewährleisten, mit dem Ziel, die zügige Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (vgl. Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO und den inhaltsgleichen Erwägungsgrund 5 der Dublin III-VO). Es soll mithin die Bearbeitung der Asylanträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigt werden (so ausdrücklich EuGH, Urt. v. 10. Dezember 2013 – C-394/12, Abdullahi -, Rn. 53; EuGH, Urt. v. 21. Dezember 2011 – C-411/10, C-493/10, N. S. u. a. -, Rn. 79). Dem Dublin-System ist deshalb ein Beschleunigungsgebot immanent (BVerwG, Beschl. v. 8. Juli 2015 - 1 B 30.15 -, juris Rn. 6), das zur Überzeugung des Senats auch der Verwirklichung des subjektiven Rechts der Asylbewerber auf sachliche Prüfung ihres Asylantrags dient.

Aus dem Beschleunigungsgebot folgt aufgrund dessen nicht nur eine Selbsteintrittspflicht des überstellenden Mitgliedstaats, wenn das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats unangemessen lange dauert (vgl. dazu: EuGH, Urt. v. 14. November 2013 – C-4/11, Puid -, Rn. 35; - EuGH, Urt. v. 21. Dezember 2011 – C-411/10, C-493/10, N. S. u.a. -, Rn. 98 und 108), sondern auch dessen Pflicht, keine Überstellung mehr vorzunehmen, wenn er inzwischen zuständig, der Zielstaat nicht zur Aufnahme bereit und dazu auch nicht verpflichtet ist. Denn dann ist mit der Rücküberstellung des betroffenen Asylbewerbers zu rechnen, was die sachliche Prüfung seines Asylantrags unnötig verzögern würde und deshalb mit dem Anspruch des Asylbewerbers auf ein effektives und zügiges Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht zu vereinbaren wäre. Die Pflicht des überstellenden Mitgliedstaats, in einem solchen Fall keine Überstellung mehr vorzunehmen, liegt somit auch im rechtlich geschützten Interesse des Asylbewerbers, so dass diese Pflicht mit einem Anspruch des Asylbewerbers auf deren Einhaltung korrespondiert, der zur Wahrung seiner Rechte gerichtlich durchsetzbar sein muss (vgl. Erwägungsgrund 39 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ausdrücklich auch das in Art. 47 GR-Charta verbürgte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleisten soll). Damit in Einklang steht es, wenn umgekehrt der Asylbewerber eine Aufhebung der Überstellungsentscheidung mangels Verletzung in eigenen Rechten dann nicht verlangen kann, wenn der Zielstaat trotz Ablaufs der Überstellungsfrist und des Zuständigkeitsübergangs auf den überstellenden Mitgliedstaat weiterhin bereit und mangels systemischer Mängel seines Asylverfahrens auch in der Lage ist, den Asylbewerber aufzunehmen und seinen Asylantrag sachlich zu prüfen (im Ergebnis ebenso zur Dublin II-VO: OVG.Rh.-Pf., Urt. v. 5. August 2015 - 1 A 11020/14 -, juris Rn. 55 bis 57; ähnlich, aber darauf abstellend, ob trotz Zuständigkeitsübergangs die Überstellung noch zeitnah möglich ist: VGH BW, Urteile v. 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, - juris Rn. 27, v. 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris Rn. 59, und v. 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris Rn. 32; zur Dublin III-VO: VGH BW, Urt v.18. März 2015 - A 11 S 2042/14 -, juris Rn. 28).

Ob vorliegend Polen trotz Ablaufs der Überstellungsfrist weiterhin bereit ist, den Antragsteller aufzunehmen und dessen Asylantrag zu sachlich zu prüfen, ist derzeit offen. Dazu wird von der Antragsgegnerin auch nichts vorgetragen. Aus der noch vor Fristablauf erteilten Zustimmung Polens vom 20. März 2014, den Antragsteller aufzunehmen, kann hingegen nicht auf eine fortbestehende Aufnahmebereitschaft geschlossen werden. Denn infolge des Fristablaufs besteht keine Aufnahmepflicht Polens mehr, so dass wegen der mit jedem Asylverfahren verbundenen finanziellen und administrativen Belastungen - insbesondere auch angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation in den Mitgliedstaaten - eher anzunehmen ist, dass Polen die Aufnahme verweigern wird. Um nach Ablauf der Überstellungsfrist trotz des damit verbundenen Zuständigkeitsübergangs auf den überstellenden Mitgliedstaat weiterhin von einer Aufnahmebereitschaft des Zielstaats ausgehen zu können, bedarf es deshalb konkreter aussagekräftiger Fakten, die die positive Feststellung einer fortbestehenden Aufnahmebereitschaft des Zielstaats erlauben, etwa wenn der Zielstaat in hinreichend eindeutiger Weise - in allgemeiner Form, z. B. in einem Abkommen für bestimmte Fälle, oder aber im Einzelfall - selbst zu erkennen gibt, weiterhin zur Aufnahme bereit zu sein (OVG Rh.-Pf., Urt. v. 5. August 2015 - 1 A 11020/14 -, juris Rn. 59 bis 64; VGH BW, Urt. v. 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris Rn. 32). Sofern bisher in der Praxis die Asylbewerber erfahrungsgemäß auch lange nach Ablauf der Überstellungsfristen von den Mitgliedstaaten übernommen worden sein sollten, ohne dass sich die Mitgliedstaaten auf den Zuständigkeitsübergang berufen haben (Bergmann, ZAR 2015, 81 ff. Fn. 19), ist dies allein jedenfalls keine tragfähige Grundlage für die positive Feststellung einer fortbestehenden Aufnahmebereitschaft eines Zielstaats in einem konkreten Fall.

Mangels aussagekräftiger Fakten für eine solche positive Feststellung, wofür die Antragsgegnerin die Darlegungs- und materielle Beweislast trägt (BayVGH, Beschl. v. 3. Juni 2015 - 11 ZB 15.50/14 -, juris Rn. 9, und v. 11. Februar 2015 - 13a ZB 15.50005 -, juris Rn. 4), weil dies ihren Bescheid gemäß den §§ 27a, 34a AsylVfG trotz des Fristablaufs stützen würde (zur materiellen Beweislastverteilung allgemein: SächsOVG, Beschl. v. 3. Juli 2015 - 5 B 158/15 -, juris Rn. 11), ist somit derzeit offen, ob der Bescheid vom 28. März 2014 im Hauptsacheverfahren, indem auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage abzustellen ist (§ 77 Abs. 1 AsylVfG), aufzuheben sein wird.

Bei dieser Sachlage führt die notwendige umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen unter Berücksichtigung der bei einer Ablehnung und einer Stattgabe zu erwartenden Folgen zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers, weil ihm nicht zuzumuten ist, seine zwangsweise Überstellung nach Polen hinzunehmen, ohne zu wissen, ob nicht umgehend - unter Berufung auf den Zuständigkeitsübergang - eine Rücküberstellung erfolgen wird. Demgegenüber sollte es der Antragsgegnerin trotz Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ohne weiteres möglich sein zu prüfen, ob Polen trotz Fristablaufs weiterhin aufnahmebereit ist, etwa durch eine Anfrage an.die zuständigen polnischen Behörden. Bejahendenfalls stünde dann auch ihr ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO offen, falls sie die Überstellung schon vor der Entscheidung über die Klage anstrebt.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Ablauf der Überstellungsfrist nicht gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG durch Zeitablauf gegenstandslos geworden ist. Der Bescheid vom 28. März 2014 enthält keine derartige Befristung. Eine solche ist auch dem Hinweis der Antragsgegnerin in der Begründung des Bescheids, Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Dublin III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen, nicht zu entnehmen. Der Bescheid muss zwar gemäß Art. 26 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO eine Information über die Frist für die Durchführung der Überstellung enthalten. Der bloße Hinweis auf die Pflicht zur fristgerechten Überstellung lässt sich jedoch deshalb nicht gleichsam im Umkehrschluss dahin verstehen, dass nach Fristablauf keine Überstellung mehr erfolgen wird, auch nicht deshalb, weil gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO mit Fristablauf der Zielstaat der Überstellung nicht mehr zur Aufnahme verpflichtet ist und die Zuständigkeit für die sachliche Prüfung des Asylantrags auf den überstellenden Mitgliedstaat übergeht. Denn die Überstellung ist, wie ausgeführt, trotz Fristablaufs mit Zustimmung des Zielstaats weiterhin zulässig, so dass aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO nicht geschlossen werden kann, dass eine Überstellungsentscheidung, die auf diese Vorschrift verweist, nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr vollzogen werden wird. Ob die Antragsgegnerin gleichwohl eine dementsprechende Befristung hätte regeln können, kann dahinstehen (vgl. zu solchen Fällen: BayVGH, Beschl. v. 16. Juli 2015 - 21 ZB 15.50/37 -, juris Rn. 2/3; BayVGH, Beschl. v. 10. August 2015 - 13a ZB 15.50052 -, juris Rn. 3 ff.). [...]