Zu den Voraussetzungen des Vorliegens der erheblichen Fluchtgefahr. Ein Vorsprechen bei der Ausländerbehörde läßt sich nicht mit der Annahme in Einklang bringen, der Betroffene habe sich dem behördlichen Zugriff entzogen.
[...]
2. Der Feststellungsantrag des Betroffenen ist begründet, da der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr (Art. 28 Abs. 2, Art. 2 lit. n Dublin III-VO, § 2 Abs. 15, 14 AufenthG) nicht vorlag.
Durch die Regelungen in § 2 Absatz 14 und 15 AufenthG soll den europarechtlichen Vorgaben Rechnung getragen werden (vgl. BT-Drucksache 18/5420, S. 31/32). Die seit dem 1. Januar 2014 anzuwendende Verordnung (EU) Nr. 604/2013 regelt das Verfahren zur Überstellung von Asylbewerbern in den für die Prüfung ihres Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat. Sie enthält Vorschriften für eine Inhaftnahme zum Zweck der Sicherstellung von Überstellungsverfahren. In Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen die Mitgliedstaaten Ausländer zum vorgenannten Zweck in Haft nehmen dürfen. Eine solche Inhaftnahme ist demnach nach einer Einzelfallprüfung möglich, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht und auch nur dann, wenn die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Nach Artikel 2 Buchstabe "n" der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bezeichnet der Begriff Fluchtgefahr "das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte". Die erforderliche gesetzliche Regelung erfolgte durch Einführung von § 2 Absätze 14 und 15 AufenthG.
Der Begriff der "erheblichen" Fluchtgefahr ist als Begriff des Europarechts autonom auszulegen. Das Vorliegen einer der in § 2 Absatz 14 und 15 AufenthG geregelten Anhaltspunkte stellt lediglich ein (erstes) Indiz dafür dar, dass im konkreten Fall eine Fluchtgefahr bestehen könnte. Welches Gewicht diesem Indiz zukommt und ob tatsächlich - ggf. gestützt auf weitere in Absatz 14 und 15 genannte Indizien - vom Bestehen einer Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, bedarf der Prüfung im Einzelfall (vgl. auch Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013). Dabei sind auch Umstände zu berücksichtigen, die - trotz Vorliegen der in Absatz 14 und 15 geregelten Anhaltspunkte - gegen die Annahme einer Fluchtgefahr sprechen.
Eine erhebliche Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2, Art. 2 lit. n Dublin III-VO, § 2 Abs. 15, 14 AufenthG bestand nach Ansicht der Kammer nicht.
Der seitens der beteiligten Ausländerbehörde in dem Haftantrag vom 14.09.2015 angeführte, unter § 2 Abs. 14 Ziffer 1 AufenthG normierte Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr liegt nicht vor. § 2 Abs. 14 Ziffer 1 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit einem behördlichen Zugriff entzogen hat, indem er seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Der Betroffene war an dem anberaumten Überstellungstermin am 06.07.2015 nicht erreichbar, da er, nach seinen eigenen nicht zu widerlegenden Angaben, bereits freiwillig nach Italien ausgereist war. Mit Schreiben der beteiligten Ausländerbehörde vom 25.03.2015 wurde der Betroffene über seine Mitteilungspflichten belehrt. Aus dem Hinweis geht hervor, dass die Mitteilungspflicht mit der Ausreise des Betroffenen endet. Nachdem der Betroffene freiwillig wieder nach Italien reiste, bestand ausweislich des Hinweises keine Anzeigepflicht im Sinne von Art. 2 Abs. 14 Ziffer 1 AufenthG mehr. Soweit die beteiligte Behörde in der Email vom 15.10.2015 anführt, dass der Betroffene sich zumindest bis 29.06.2015 im Bundesgebiet aufgehalten hat, beruht dies offensichtlich darauf, dass der Betroffene, wie aus dem Haftantrag vom 14.09.2015 hervorgeht, am 29.04., 26.05. und 29.06.2015 bei der beteiligten Ausländerbehörde vorgesprochen hat. Dies aber und der Umstand, dass der Betroffene in der Folgezeit nach Italien ausgereist ist, lässt sich nicht mit der Annahme in Einklang bringen, dass er sich dem behördlichen Zugriff entzogen hat.
Der in § 2 Abs. 14 Ziffer 2 AufenthG normierte Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr ist nach Ansicht der Kammer gegeben. § 2 Abs. 14 Ziffer 2 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer über seine Identität täuscht, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität. Der Betroffene wurde nach seiner Einreise im Dezember 2014 unter dem Namen ... geführt. Dass es sich dabei, wie der Betroffene äußerte, um ein Missverständnis gehandelt hat, ist im Hinblick darauf, dass er bei seiner Anhörung am 14.09.2015 vor dem Amtsgericht Rosenheim ausweislich des Protokolls zunächst den Namen ... angegeben hat, wenig glaubwürdig. Die Identitätstäuschung ist ein Indiz für eine bestehende Fluchtgefahr. Nachdem der Betroffene zuletzt freiwillig nach Italien ausreiste und im Rahmen des Anhörungstermins am 12.10.2015 wiederholt glaubhaft angab, sich der Rückführung nach Italien zu stellen, kann das Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr nicht bejaht werden. Der Betroffene versuchte nach der Ablehnung seines Asylantrages offensichtlich, unter anderen Personalien in Deutschland Asyl zu erhalten. Dass er im Falle eines Scheiterns beabsichtigte unterzutauchen, lässt sich aus seinem bisherigen Verhalten nicht herleiten. [...]