VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Urteil vom 02.10.2015 - 15 A 1113/12 As - asyl.net: M23322
https://www.asyl.net/rsdb/M23322
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung eines vorverfolgten, den Zeugen Jehovas nahestehenden Iraners, der nicht getauft ist.

Schlagwörter: Iran, Zeugen Jehovas, Taufe, Flüchtlingsanerkennung, religiöse Verfolgung, ungetaufter Verkünder, missionieren, Christen, religiöse Identität,
Normen: AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 1, EMRK Art. 9, GR-Charta Art. 10,
Auszüge:

[...]

aa) Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger schon deshalb im Iran Verfolgungen befürchten muss, weil er wegen des Fundes einer Bibel in seinem Auto von Mitgliedern des paramilitärischen Freiwilligenverbandes der Bassijis festgenommen, in einem geheimen Gefängnis eine gewisse Zeit festgehalten, gefoltert und sexuell missbraucht worden ist. Die dazu gemachten Aussagen hat der Kläger sowohl beim Bundesamt als auch in den beiden mündlichen Verhandlungsterminen vor Gericht im Kern gleichbleibend immer wiederholt und hat auch auf gerichtliche Nachfrage weitere Details angegeben, wobei er anschließend geweint hat. Durch sein nonverbales Verhalten vor Gericht war erkennbar, dass ihn die damaligen Ereignisse noch heute erheblich belasten. Insbesondere hat der Kläger auf intensive Nachfragen seines Prozessbevollmächtigten und des Gerichts hinreichend konkrete Aussagen zum sexuellen Missbrauch gemacht. Dabei hat das Gericht auch den Eindruck gewonnen, dass der Kläger erhebliche psychische Probleme hat, da er offenbar an Gedächtnisstörungen leidet und sich wenig konzentrieren kann, auch wenn die dazu eingereichten Atteste keine plausiblen Angaben enthalten und nicht hinreichend aussagekräftig sind. So musste das Gericht häufiger Fragen mehrfach wiederholen, bis der Kläger diese sachgerecht beantworten konnte. Die Angaben des Klägers sind von der Zeugin, soweit sie hiervon Kenntnis erlangt hat, glaubhaft bestätigt worden. Das Auswärtige Amt hat auf gerichtliche Anfrage bestätigt, dass es nach seinen Erkenntnissen in den nichtregistrierten Gefängnissen der Bassijis häufig zu Folter und unmenschlicher Behandlung kommt. Dies sei dem Auswärtigen Amt durch zahlreiche Berichte von Einzelpersonen, Rechtsanwälten und Nichtregierungsorganisationen bekannt geworden (vgl. Auswärtiges Amt, amtliche Auskunft vom 25. August 2015 an das Gericht im vorliegenden Verfahren, zu Frage 2).

Die Verfolgungen durch die Bassijis beruhten zwar primär nicht darauf, dass der Kläger (nach seiner Meinung) bereits im Iran Mitglied von Jehovas Zeugen gewesen ist. Anlass war aber der Fund einer Bibel in seinem Wagen. Er hat nach Überzeugung des Gerichts durch Vermittlung seiner Schwester auch im Iran an Zusammenkünften von Jehovas Zeugen teilgenommen. Er konnte den Ablauf solcher Zusammenkünfte vor Gericht glaubhaft und anschaulich schildern. Auch wenn er trotz der Folter im Gefängnis dazu geschwiegen hat, woher er seine Bibel (und möglicherweise ein weiteres Druckerzeugnis der Zeugen Jehovas) erhalten hatte, sind seine Kontakte zu Christen in Gestalt der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas im Iran als eigentliche Auslöser der Flucht anzusehen. Dem steht die Auskunft des Zweigbüros Zentraleuropa von Jehovas Zeugen an das Gericht vom 22. November 2012 in der vorliegenden Sache nicht entgegen. Danach könne ein Glaubenswechsel durch Aufnahme bei den Zeugen Jehovas [durch die Taufe] erst nach langer Zeit erfolgen. Das Gericht nimmt an, dass der Kläger nicht bereits nach den von ihm geschilderten relativ wenigen Zusammenkünften im Iran getauft worden ist. Die Glaubensgemeinschaft dort ist sehr klein, missioniert nicht; deren geborene Mitglieder werden auch nicht verfolgt (vgl. neben der oben genannten Auskunft an das Gericht Schweizer Flüchtlingshilfe (Lüthy), Christen und Christinnen im Iran, 18. Oktober 2005, S. 16 m.w.N.).

Für die rechtliche Beurteilung maßgebend ist indessen, ob jemand als "ungetaufter Verkünder" aufgenommen worden ist. Die Unterscheidung zwischen Mitglied und "ungetaufter Verkünder" bei den Zeugen Jehovas entspricht den dem Gericht bekannten rechtlichen Bestimmungen dieser Glaubensgemeinschaft. Diese dürften im vorliegenden Fall auf den Iran übertragbar sein, weil die streng hierarchisch Glaubensgemeinschaft unter Beachtung strenger Prinzipien und Vorgaben der "Leitenden Körperschaft" weltweit agiert (vgl. Handbuch Religiöser Gemeinschaften und Weltanschauungen, 6. Aufl. 2006, Stichwort: Zeugen Jehovas, S. 388 (389); Gaspar/Baer u. a. (Hrsg.) Lexikon christlicher Kirchen und Sondergemeinschaften, 2009 (Pape/ Albrecht) Stichwort, Zeugen Jehovas, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW/Utsch), Zeugen Jehovas (Faltblatt, Stand: 2013); zur Tätigkeit als ungetaufter Verkünder siehe auch die Auskunft der EZW vom 19. März 2015 an das Gericht im vorliegenden Verfahren).

Nach § 14 Abs. 1 des Statuts der Jehovas Zeugen (in der Neufassung vom 27. Mai 2009 [Amtsblatt von Jehovas Zeugen in Deutschland, Nr. 2, Jahrgang 2009, S. 1 ff.]) ist Mitglied der (deutschen) Glaubensgemeinschaft Jehovas Zeugen nur, wer als solcher rechtmäßig getauft worden und Mitglied einer Versammlung im Wirkungsbereich (§ 1 Abs. 3 Statut: Deutschland und zugewiesene Gebiete) der Religionsgemeinschaft verbunden ist. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 des Statuts ist "ungetaufter Verkünder", wem die Ältestenschaft einer Versammlung diesen Status zuerkannt hat. Dies setzt voraus, dass "die Einstellung oder der Lebenswandel des Betreffenden […] mit den Glaubenslehren und der Glaubenspraxis der Zeugen Jehovas übereinstimmt“ (Umkehrschluss aus § 14 Abs. 2 Satz 2 des Statuts). Danach ist nicht die Taufe, sondern der Status "ungetaufter Verkünder" für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels maßgebend und die Einschätzung zuständigen Ältestenschaft dazu von erheblicher Bedeutung, solange keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, die auf einen unlauteren Erwerb dieses Status hindeuten (dazu bereits VG Schwerin, Urteil vom 8. Mai 2015 – 15 A 1982/12 As -, Umdruck, S. 13 f.).

bb) Das Gericht konnte sich wegen der entgegenstehenden Auskünfte von Jehovas Zeugen letztlich nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran als Zeuge Jehovas zu betrachten wäre und als solcher verfolgt würde. Allerdings müsste er wegen seiner vor Gericht glaubhaft bekundeten Sympathien für das Christentum (in der Ausprägung der Zeugen Jehovas) flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungen befürchten, zumal er schon wegen Mitführens Schriften christlichen Inhalts von den Bassijis verfolgt worden ist. Zwar wird die (nach der Scharia strafbare) Apostasie, also der Abfall vom islamischen Glauben, nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes erst angenommen, wenn der Übertritt zu einer anderen Glaubensgemeinschaft endgültig vollzogen ist (vgl. Auswärtiges Amt, aaO, S. 2 zu Frage 5). Bedeutsam ist aber darüber hinaus, wie nachfolgend noch auszuführen sein wird, ob der nichtislamische Glaube auch ggf. nach den rituellen Vorgaben der jeweiligen Glaubensgemeinschaft ausgeübt werden kann.

(1) Nach Art. 9 Abs. 1 EMRK und Art. 10 GRCh hat jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. Mit Blick auf die Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 9 Abs. 2 EMRK sollte nach der bisherigen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich das forum internum geschützt sein, also der unveräußerliche Kern der Religionsfreiheit. Der damit gewährte Schutz entspricht dem des "religiösen Existenzminimums" (vgl. BVerwG, Urt. v. 24. Mai 2000 - 9 C 34.99 -, juris LS 2 und Rn. 12 mwN; zu den Einschränkungsmöglichkeiten nach Art 9 Abs. 2 EMRK ferner EGMR, Große Kammer, Urteil v. 10. November 2005 - Beschwerde Nr. 44774/98 [Leyla Sahin ./. Türkei], juris Rn. 111 ff.; vgl. zum Ganzen auch v. Ungern-Sternberg, in: Karpenstein/Mayer, EMRK 2012, Art. 9 Rn.15 ff. m.w.N.).

Auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) – Große Kammer - in seinem Urteil vom 05. September 2012 – Verbundene Rechtssachen C-71/11 und C-99/11 –, (juris) entschieden:

"Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass

– nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;

– eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und

– bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine "Verfolgungshandlung" darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie 2004/83 genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

2. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten." (dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Yves Bot vom 19. April 2012 in den genannten Rechtssachen (Nr. 107)).

Das BVerwG hat in der Folge seine Auffassung zur Frage der Verfolgung aus religiösen Gründen geändert und ausgeführt, dass eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen kann, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch in der Verletzung der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum) (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, BVerwGE 146, 67-89 juris Leitsatz 2 und Rn. 24; dazu Berlit, jurisPR-BVerwG 11/2013 Anm. 1; Lübbe, ZAR 2013, 272 ff. zur flüchtlingsrechtlich relevanten Verhaltenslenkung als Eingriff in die Religionsfreiheit).

(2) In seinem Urteil vom 13. Februar 2013 – 3 A 1877/10 As – (juris Rn. 90 ff. mwN; insoweit in Asylmagazin 2013, 167 ff. nicht abgedruckt) hat das erkennende Gericht ausführlich dargestellt, dass und weshalb zum christlichen Glauben übergetretene Moslems im Iran flüchtlingsrelevanten Verfolgungen ausgesetzt sein können. Darauf wird verwiesen. Nach den Erkenntnissen des Gerichts können Apostaten ihren Glauben angesichts der Unberechenbarkeit iranischer Behörden weder öffentlich noch bei Hausgottesdiensten ungestört ausüben. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es mit Blick darauf, dass nach der oben zitierten flüchtlingsrechtlichen Definition von Religion in § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG (und Art. 10 Abs. 1 b) QualfRL) sowohl die öffentliche als auch die nichtöffentliche Glaubensausübung geschützt ist, nicht darauf an, ob die Glaubensausübung im häuslichen Umfeld in der Regel unbehelligt bleibt. Nach den Erkenntnissen des Gerichts werden im Iran nicht nur Personen in hervorgehobenen Positionen wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt. Es gibt immer wieder Berichte, dass auch hauskirchliche Veranstaltungen durch Sicherheitskräfte gestört werden. So sind nach einem Bericht des katholischen Hilfswerks Kirche in Not in Rasht (?) vom 24. Oktober 2013 vier evangelische Christen wegen des Konsums von Messwein zu 80 Peitschenhieben verurteilt worden (http://www.christenverfolgung.org/80-peitschenschlaege-fuer-christen.html)

Außerdem ist laut einer Meldung von Radio Vatikan ein Konvertit zu 10 Jahren Gefängnis wegen Verbrechen gegen die Staatssicherheit verurteilt worden, weil er Bibeln verteilt hat (vgl. Iran: Zehn Jahre Haft wegen Verbreitung von Bibeln vom 21. August 2013 de.radiovaticana.va/print_page.asp (abgerufen am 7. Januar 2014) Trotz der am 14. Juni 2013 erfolgten Wahl des als gemäßigt geltenden neuen Staatspräsidenten Hassan Rohani hat sich die Lage nicht verbessert. Laut Angaben des Hilfswerks OPENDOORS steht der Iran nunmehr auf Platz 7 des dort erstellten Weltverfolgungsindexes. Bisher habe sich die Situation der Christen im Iran nicht gebessert. Länderprofil Iran (Stand: Januar 2014) www.opendoors.de/verfolgung/laenderprofile/iran/ (zuletzt abgerufen am 21. August 2014); Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz/EKD (Hrsg.) [Rathgeber], Ökumenischer Bericht: Zur Religionsfreiheit von Christen weltweit (2013), S. 33).

So seien nach einer Mitteilung der Evangelischen Allianz und der evangelischen Nachrichtenagentur IDEA Bibeln und christliche Literatur in nicht als Versammlungsräume genutzten Räumen beschlagnahmt worden. Ferner seien gezielt Pastoren der armenisch-orthodoxen Kirchen schikaniert und verfolgt worden, welche die christliche Botschaft auf farsi verbreitet hätten (vgl. Iran: Sicherheitskräfte durchsuchen Wohnungen von Christen www.ead.de/arbeitskreise/religionsfreiheit/nachrichten/einzelansicht/article/iransicherheitskraefte-durchsuchen-wohnungen-von-christen.html (abgerufen am 2. Januar 2014)).

Laut IDEA seien – trotz der Weihnachtsbotschaft des Präsidenten Rohani - vier (übergetretene) Christen im Iran verhaftet worden, die sich zu einer Weihnachtsfeier in Privaträumen getroffen hatten (vgl. die beiden Artikel: Iran: Wieder Christen verhaftet sowie Iran: Wie weit kann man Präsident Ruhani trauen? www.ead.de/nachrichten/nachrichten/einzelansicht/article/iran-wieder-christenverhaftet. html und www.idea.de/detail/thema-des-tages/artikel/iran-wie-weitkann-man-praesident-ruhani-trauen-999.html; zur derzeitigen Situation der Christen ferner Farhad Salmanian, Weihnachten auf iranisch, transparency-foriran. org/gesellschaft/weihnachten-auf-iranisch (zuletzt abgerufen am 2. Januar 2014)).

Ferner sei ein iranischer Pastor seit Mai 2011 wegen seiner Konversion in Haft (vgl. den Artikel Ich wurde inhaftiert, weil ich an Christus glaube www.idea.de/drucken/detail/iranischer-pastor-ich-wurde-inhaftiert-weil-ich-an-christus-glaube-27507.html).

Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass sich laut einer Meldung von Open Doors vom 2. Juli 2014 60 Christen in Haft befunden haben (https://www.opendoors.de/verfolgung/news/2014_1/juni/02072014ir/ (abgerufen am 21. August 2014)).

Es sollen nach Angaben von Opendoors vom 27. Mai 2015 erneut 18 Christen verhaftet worden sein, als sie an einer Hauskirche teilgenommen haben (https://www.opendoors.de/verfolgung/news/2015 mai/iran_erneut_18_christen_inhaftiert/ (abgerufen am 15. September 2015)).

Nach Angaben der Nachrichtenagentur IDEA soll am 14. August 2015 in Karadsch eine Hauskirche gestürmt worden sein, wobei mindestens fünf Christen verhaftet worden seien (http://www.idea.de/menschenrechte detail/hauskirche-im-iran-gestuermt-91820.html (abgerufen am 16. September 2015)).

(3) Wie im genannten Urteil (aaO, Rn. 165 ff. m.w.N.; Asylmagazin 2013, 167 ff.) weiter ausführlich dargelegt, ist es aus staatskirchenrechtlichen Gründen in erster Linie Aufgabe des zuständigen Geistlichen, die Ernsthaftigkeit eines Glaubensübertritts zu prüfen, wenn das Gericht keine Anhaltspunkte hat, dass dem Taufakt unredliche Gesichtspunkte zugrunde gelegen haben. Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die Kompetenz der staatlichen Behörden und Gerichte bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsel staatskirchenrechtlich eingeschränkt ist (- dagegen BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 – 1 B 40/15 –, juris LS und Rn. 11 ff. 13 ff.; ferner ausdrücklich BayVGH, Beschl. vom 8. August 2013 – 14 ZB 13.30199 -, juris Rn. 5 ff.; OVG NW, Beschl. v. 11. November 2013 – 13 A 2252/13.A -, Umdruck, S. 3 -) ist die Tatsache, dass ein Geistlicher als an kirchenrechtliche Bestimmungen gebundener Bediensteter jedenfalls der zuständigen Amtskirche nach seinen innerkirchlichen Vorschriften keine Bedenken an der Ernsthaftigkeit des Übertritts gehabt hat, bei der Würdigung des Vorbringens des Konvertiten ein bedeutsames Indiz. Dies gilt – wie oben dargelegt, - auch für die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas -, wenn der Betroffene ohne getauft zu sein, den Status "ungetaufter Verkünder" hat.

Das Gericht muss darüber hinaus und unabhängig davon prognostizieren, ob der Konvertit sich im Fall seiner Rückkehr in den Iran künftig zum christlichen Glauben bekennen und dadurch flüchtlingsrelevanten Verfolgungen ausgesetzt sein würde. Insoweit ist

"[…] für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist […]" (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 – 1 B 40.15, juris Rn. 11; BVerwG, Urteil vom 10 C 23.12 – juris, Rn. 28 ff. unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 05. September 2012 – C-71/11 und C-99/11, C-71/11, C-99/11 –, juris, LS 1 3. UA, Rn. 70 ff.)).

Deshalb ist die Frage,

[…] ob der von einem Asylbewerber behauptete Glaubensübertritt auf einer ernsthaften innerlich gefestigten Überzeugung beruht, höchstpersönlicher Natur; sie kann und muss daher allein von dem Asylbewerber selbst glaubhaft beantwortet werden. Die Würdigung der Angaben eines Asylbewerbers zu seiner behaupteten Konversion ist dabei ureigene Aufgabe des Gerichts, das im Rahmen der gebotenen Überzeugungsbildung auch den Umfang der Erkenntnisermittlung bestimmt." (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. April 2012 – 13 A 796/12.A –, juris, Rn. 11; ferner Beschl. v. 11. November 2013, aaO, S. 3; BayVGH, Beschl. vom 8. August 2013, aaO, juris Rn. 8).

(4) Der Eingriff in die Religionsfreiheit im Iran ist auch hinreichend schwer. Das Verbot der Ausübung der Religion weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, BVerwGE 146, 67-89, juris Rn. 29; Berlit, aaO unter D; EuGH, Urteil vom 5. September 2012, juris Rn. 70).

Die Glaubensbetätigungen und -ausformungen müssen ein hinreichendes Verfolgungsrisiko begründen. Sie müssen von den Asylbewerbern als so verpflichtend empfunden werden, dass sie ihre religiöse Identität (mit) ausmachen. Neben den äußeren Anhaltspunkten (Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft; Art und Umfang der Glaubensbetätigung vor und nach der Ausreise; Gründe für Betätigungsverzicht) sind die Glaubenselemente herauszufinden, deren Befolgung zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist. Dabei kann auch nach dem voraussichtlichen Verhalten für den Fall der Rückkehr gefragt werden, wenn – bei beabsichtigtem Betätigungsverzicht – auch die hierfür maßgeblichen Gründe aufgeklärt werden (dazu Berlit, jurisPR-BVerwG 11/2013 Anm. 1 unter D).

Ob dabei eine umfassende Feststellung oder Überprüfung der Grundlagen oder Kenntnisse der Religion der Betroffenen immer notwendig oder nützlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von den sozialen oder wirtschaftlichen Umständen, Bildungsstand und/oder Alter und Geschlecht des Betroffenen ab. Dabei können je nach Einzelfall auch die Gründe der Unzufriedenheit mit der bisherigen Religion in den Blick zu nehmen sein. Zu prüfen ist dabei auch, ob die Behörden des Herkunftslandes Kenntnisse von der Konversion erlangen könnten und wie sie hierauf reagieren würden (dazu Nr. 6, 28 ff., 34 f. der UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz vom 28. April 2004 – HCR/GIP/04/06 -; allgemein UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft 2011, Rn. 96).

(5) Bei Beachtung dieser Vorgaben gilt im vorliegenden Fall folgendes:

Nach dem Ergebnis der intensiven Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass seine Beschäftigung mit dem Christentum in Gestalt der Lehre der Zeugen Jehovas ernsthaft ist, auch wenn er nicht formell den Zeugen Jehovas zuzurechnen ist. Nach eigenen Angaben wird er von Zeugen Jehovas unterrichtet. Die christliche Religion ist ihm so wichtig, dass diese zu seiner religiösen Identität gehört. Er konnte seinen Weg zum christlichen Glauben - beginnend bereits durch Teilnahme an Zusammenkünften der Zeugen Jehovas im Iran - in Deutschland beschreiben. Er ist aber kein Zeuge Jehovas, weil er derzeit nicht an den Zusammenkünften der Gemeinschaft teilnimmt und auch sonst nicht aktiv für diese tätig ist. Indessen konnte er bestimmte Besonderheiten der Lehre der Zeugen Jehovas darstellen, auch wenn dieses Wissen erhebliche Lücken aufzuweisen scheint. Auch hat er seine heutige größere Nähe zu Gott glaubhaft darstellen können. Angesichts der glaubhaften Vorfluchtgeschichte ist jedenfalls damit zu rechnen, dass er im Fall seiner Rückkehr in den Iran als abtrünniger Schiit (wiederum) verfolgt würde. [...]