VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 18.09.2015 - 6 A 32/15 (= ASYLMAGAZIN 12/2015, S. 414 f.) - asyl.net: M23332
https://www.asyl.net/rsdb/M23332
Leitsatz:

Zur Verfolgung einer Romni, die sich für die Rechte von Roma einsetzt, durch Polizeibedienstete in Mazedonien.

Schlagwörter: Mazedonien, Roma, politische Verfolgung,
Normen: AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin, dass von der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht bis heute nicht in Frage gestellt worden ist und dass auch dem nunmehr zuständigen Einzelrichter schlüssig erscheint, ist davon auszugehen, dass eine solche Fallgestaltung hier vorliegt. Der Einzelrichter geht davon aus, dass sich gegenüber dem am 9. Dezember 1996 bestandskräftig gewordenen Bescheid die Sach- und Rechtslage zugunsten der Klägerin geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) und die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Klägerin hat ausführliche Angaben zu ihrer früheren Tätigkeit gemacht, bei der sie sich für den Schutz der Rechte der Roma engagiert und unter anderem über Missstände in Mazedonien, insbesondere über Malträtierungen von Roma durch die Polizei, berichtet hat. Sie hat auch überzeugend die für sie nachteiligen Folgen dieser Tätigkeit geschildert, nämlich ihre Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, weil sie von der Polizei zu Unrecht als Straffällige registriert worden sei, Misshandlungen gegen ihren Ehemann und gegen sie selbst mit der Folge eines Schwangerschaftsabgangs sowie andauernde Nötigungen und Bedrohungen durch die Polizei. Die umfangreichen Ausführungen sind nicht nur in sich schlüssig, sondern auch von einer solchen Detailfülle, dass nach tatrichterlicher Würdigung alles dafür spricht, dass sie der Wahrheit entsprechen und tatsächlich eine Bedrohungslage besteht, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigt. Demgegenüber setzt sich der angefochtene Bescheid mit dieser Fragestellung nicht hinreichend auseinander, obwohl hierzu ausreichend Anlass bestanden hätte. Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin, sie werde durch die Polizei und insbesondere den Leiter der örtlichen Polizeibehörde bedroht, kann insbesondere nicht angenommen werden, der Klägerin stehe hinreichender staatlicher Schutz zur Verfügung. Im Hinblick auf die von der Klägerin geschilderte fortdauernde Bedrohungssituation überzeugt es auch nicht, wenn die dargestellte Misshandlung durch die Polizei auf einen nicht gänzlich zu verhindernden Einzelfall reduziert wird.

Letzte Zweifel am Wahrheitsgehalt des Vorbringens räumte die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus. Auf Befragen des Einzelrichters erklärte sie, sie gehöre zur Volksgruppe der Roma. Die Roma- Organisation, von der sie im Rahmen der Anhörung gesprochen habe, sei im Jahr 2000 angemeldet worden. Es habe dann allerdings noch ein wenig gedauert, bis die Organisation zugelassen worden sei. Die Organisation sei durch sie und eine weitere Person gegründet worden. Später seien noch ein Rechtsanwalt und eine Dolmetscherin hinzugekommen. Sie sei Sekretärin gewesen, habe sich aber auch um die Sorgen der Leute gekümmert. Sie habe z.B. Dokumente besorgt oder sich um die Sozialhilfeanträge gekümmert. Die Arbeit sei wichtig gewesen. Es sei wichtig gewesen, über die Dinge, die in Mazedonien passiert seien, zu berichten. Die Organisation habe alle sechs Monate einen Bericht gemacht. Dann sei es zu Gewalttätigkeiten gekommen. Erst habe man nicht gewusst, von wem diese ausgegangen seien. Dann habe man festgestellt, dass es Gewalt durch die Polizei gewesen sei. Die Organisation solle keine weiteren Nachrichten nach außen geben und nicht weiter berichten. Das Büro sei aufgebrochen worden und Dokumente seien entwendet worden. Entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse oder ähnliche Befugnisse habe es nicht gegeben. Man habe diese Vorkommnisse bei der Polizei angezeigt. Es habe viele Schwierigkeiten gegeben. Die Organisation habe sich Freundeskreis für die Rechte von Roma bezeichnet. Auf Englisch habe die Bezeichnung gelautet Human Rights Protection for Rome. Es sei korrekt, dass sie anschließend versucht habe Arbeit zu finden, dies aber nicht möglich gewesen sei, weil sie als Straffällige registriert gewesen sei. Sie habe dann in Textilfirmen gearbeitet. Es sei Probearbeit als Praktikum gewesen. Die Chefin habe erklärt, sie könne sie nicht anmelden im Computer. Sie müsse selbst sehen, woran das liege. Sie sei dann zum Arbeitsamt gegangen. Sie sei im Computersystem vermerkt gewesen. Warum wisse sie nicht. Der Mitarbeiter des Arbeitsamtes habe ihr das erklärt. Sie sei deshalb zur Polizei gegangen. Das Zimmer sei im 3. Stock gewesen. Die Nummer des Büros wisse sie nicht mehr. Man habe ihr gesagt, sie habe es nicht verdient, eine Arbeitsstelle zu finden. Sie denke, es habe sich um einen Polizeikommissar gehandelt, der sie dann aus dem Büro geschmissen habe. Er habe vorher noch gesagt, sie könne genauso Arbeit finden, wie sie damals die Berichte aus Mazedonien herausgeschickt habe. Möglicherweise gebe es diese Organisation auch heute noch. Sie habe jedoch keinen Kontakt mehr. Soweit sie wisse, arbeite die Organisation mit den Behörden zusammen. Der Polizist habe viel gesagt. Er habe gesagt, sie solle zum Teufel gehen und habe ihr gedroht. Dann sei ihr klar gewesen, woran es gelegen habe. Nach dem Ende ihrer Tätigkeit für die Roma-Organisation sei sie nicht mehr politisch tätig gewesen. Für MOST habe sie gearbeitet, wenn Wahlen gewesen seien, z.B. im Jahr 2001. Zwischen 2004 und 2011 habe es auch Übergriffe durch die Polizei gegeben. Sie habe keine feste Arbeit gefunden. Sie habe eine Oma gepflegt und zwar zwei Jahre lang. Diese sei dann gestorben. Ein paar Mal habe sie Polizeibesuch bekommen. Allerdings habe es sich nicht um Polizei in Uniform gehandelt, sondern es waren Angehörige von Alpha. Die Personen hätten sehr viele Fragen gestellt, wie z.B. was sie jetzt mache. Sie sei aufgeregt gewesen und habe mit den Polizisten geschimpft. Sie habe sie schließlich auch rausgeschmissen. Sie hätten gleichwohl nicht aufgehört. Sie hätten auch die Wohnung untersucht und immer wieder gefragt, was sie denn nun mache. Zuletzt habe sie nicht mehr mit diesen Personen geredet. Körperliche Übergriffe habe es nicht gegeben. Erst 2011, wo sie das Baby verloren habe, habe es einen körperlichen Übergriff gegeben. Die Polizei bzw. die Angehörigen von Alpha seien zwischen 2004 und 2011 immer wieder zu ihnen nach Hause gekommen. Nach der Hochzeit im Jahr 2006 hätten dann auch die Übergriffe auf ihren Ehemann begonnen. Zwischen 2004 und 2011 habe sie nicht mehr für MOST gearbeitet. Sie habe Angst gehabt. Die Polizisten seien zu ihr nach Hause gekommen und hätten sie aufgefordert, Stimmen von Roma für die Wahl zu sammeln. Jeder habe unterschreiben sollen und sie habe die

Ausweise einsammeln sollen. Sie habe erklärt, sie wolle damit nichts zu tun haben. Sie habe erklärt, sie werde das nicht tun. Sie habe von Haus zu Haus gehen sollen und den Leuten erklären sollen, welcher Partei sie ihre Stimme geben sollten. Bei der Partei habe es sich um die VMRO gehandelt. Sie sei dann aggressiv geworden. Ihr Ehemann sei ebenfalls aggressiv geworden. Die Polizei habe ihn dann verprügelt und bedroht. Es habe sich um die Vorbereitung einer Wahlfälschung gehandelt. Ihre Organisation habe über den Vorfall, bei dem zwei Polizisten ein Kind getötet hätten, berichtet. Der Bericht sei in der Bild-Zeitung von der Roma-Organisation veröffentlicht worden. Da habe es auch Bilder gegeben, auf denen das Kind zu sehen gewesen sei. Man habe auch gesehen, dass es erschossen worden sei. Die staatliche Zeitung hingegen habe lediglich berichtet, dass das Kind von einem Zug überfahren worden sei. Mit Bild-Zeitung meine sie die Zeitung Bilten. Dabei habe es sich um den halbjährigen Bericht der Roma-Organisation gehandelt. Dieser Bericht sei gedruckt worden und sodann außerhalb Mazedoniens verteilt worden. Sie hätten damals mit anderen Roma-Organisationen zusammengearbeitet. In Mazedonien sei der Bericht nicht verbreitet worden. Der Vorfall sei auch nicht in ganz Mazedonien bekannt gewesen. Das Kind sei in einem Krankenhaus in Skopje gewesen. Die Mutter komme aus Stip und habe nach dem Kind gefragt. Die Mutter habe das Kind gesucht, habe das Kind gesehen und habe festgestellt, dass es nicht von einem Zug überfahren worden sei. Sie habe eine Obduktion verlangt. Sie wisse nicht, ob die Polizisten in Stip von dem Vorfall und dem Bericht gewusst haben. Sie nehme das an, da in der Folgezeit viel darüber gesprochen worden sei. Über den Vorfall mit dem getöteten Kind sei bei dem Übergriff im November 2011 nicht direkt gesprochen worden. Man habe sie aber darauf angesprochen, dass sie viel für die Roma getan habe.

Die Klägerin ist nach diesen überzeugenden Ausführungen vorverfolgt ausgereist und ihr droht im Falle der Rückkehr erneut politische Verfolgung wegen ihrer früheren Tätigkeit für eine Roma-Organisation. Die Verfolgungshandlungen gehen von der Polizei aus, so dass sie nicht auf die generelle Schutzbereitschaft der Polizei verwiesen werden kann. [...]