VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 08.09.2015 - 7 A 122/13 - asyl.net: M23333
https://www.asyl.net/rsdb/M23333
Leitsatz:

Oppositionelle exilpolitische Tätigkeit, insbesondere für den RNC und die FDU-Inkingi, löst bei einer Rückkehr nach Ruanda politische Verfolgung aus. Schon ein mehrjähriger Aufenthalt in Europa kann dazu führen, dass den Betroffenen Kontakte zur Opposition unterstellt werden. Schon die Stellung eines Asylantrags kann zu Sanktionen führen.

Schlagwörter: Ruanda, RNC, Exilpolitik, Nachfluchtgründe, Vorverfolgung, Rwanda National Congress, Asylantrag, Auslandsaufenthalt,
Normen: AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe geht das Gericht davon aus, dass den Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland sowohl asylerhebliche Verfolgung als auch den Schutzbereich des § 3 AsylVfG unterfallende Rechtsverletzungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Sicherheitsbehörden in Ruanda den Kläger als Regimegegner behandeln würden. Dabei geht das Gericht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass - entgegen den Ausführungen in dem Bescheid des Bundesamtes - der Kläger bereits in seinem Heimatland von politischer Verfolgung betroffen war, weil er sich geweigert hatte, der FPR beizutreten und deshalb misshandelt wurde. Übereinstimmend hat er sowohl bei seiner Anhörung bei dem Bundesamt als auch im Termin zur mündlichen Verhandlung dargelegt, dass von ihm bereits im Juni/Juli 2009 verlangt worden sei, der FPR beizutreten, er ständig aufgefordert wurde, in das Büro der FPR zu kommen und wegen seiner Weigerung, der FPR beizutreten, mehrfach geschlagen wurde, wobei er auch Verletzungen erlitt. Deshalb sei er im Dezember 2009 nach Uganda geflüchtet und habe von dort aus einen Handel zwischen Ruanda und Uganda betrieben. Im Mai 2010 sei dann ein ruandischer Staatsbürger namens ... nach Uganda gekommen und habe versucht, ihn umzubringen. Im Dezember 2010 habe er seinen Handel gestoppt, nachdem ... erneut nach Uganda gekommen sei. Er sei nach Ruanda zurückgekehrt, habe sich von einem Mann namens ... ein Visum besorgen lassen. Mit Hilfe des Mannes sei er dann offiziell ausgereist. Das Gericht hält die Schilderungen des Klägers letztlich für glaubhaft. Dafür ist vor allem ausschlaggebend, dass das Vorbringen frei von Widersprüchen und Steigerungen ist und die von ihm geschilderten zeitlichen Abläufe mit den Stempeleintragungen in seinen Ausweispapieren (Beiakte A Blatt 57 ff.) übereinstimmen. Unter diesen Umständen hält es das Gericht auch für möglich, dass es dem Kläger gelungen ist, auszureisen, obwohl er von den Sicherheitsbehörden gesucht wurde.

Hinsichtlich der exilpolitischen Betätigung legt das Gericht seiner Entscheidung zugrunde, dass der Kläger Mitglied des RNC ist und an den Parteiversammlungen des RNC am 23.06.2012 in Hannover, am 06.06.2014 in Hildesheim, sowie am 29.11.2014 und 11.04.2015 in Hannover teilgenommen hat. Der Kläger hat einen auf ihn ausgestellten Mitgliedsausweis des RNC vorgelegt und eine Bestätigung seiner Teilnahme an den vorgenannten Veranstaltungen durch den Koordinator des RNC Deutschland, Herrn Nkerinka vom 13.04.2015 zu den Akten gereicht. Schließlich hat der Kläger das Protokoll der Versammlung des RNC vom 06.06.2015 vorgelegt, auf dem er als Mitglied und Teilnehmer aufgeführt ist.

Danach ist nicht zweifelhaft, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Ruanda als Regimegegner behandelt werden würde. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Den Sicherheitsbehörden wird regelmäßig willkürliches Verhalten und das Begehen von Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Jede ernstzunehmende Opposition wird durch die ruandische Regierung unter Einsatz von das Leib und Leben des Betroffenen bedrohenden Maßnahmen unterbunden [...].

Darüber hinaus wirken sich im Falle des Klägers auch der mehrjährige Aufenthalt in Deutschland, die Einreise unter Ausnutzung eines Visums sowie sein Asylantrag gefahrerhöhend aus.

In seiner Stellungnahme vom 22.10.2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig führt das GIGA aus, dass es für möglich gehalten werde, dass die dortige Klägerin allein durch die Tatsache ihres mehrjährigen Auslandsaufenthalts in Europa – unabhängig von Überprüfbarkeit und Wahrheitsgehalt - Kontakte zur exilierten und teilweise radikalisierten Opposition unterstellt würden. Derartige Unterstellungen würden das Gefährdungspotenzial erhöhen und sie würden auch eine staatliche Verfolgung auslösen. Seit langem existierten zahlreiche Vorwürfe und Beobachtungen, dass gezielte Diffamation zu unzureichend geprüften Verhaftungen und langwierigen Prozessen führen könnten. Der Vorwurf des gesellschaftlichen "Divisionismus" und der Verbreitung von genozidärem Gedankengut könne in Ruanda schwer bestraft werden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei unklarer Beweislage die Rechte des Beschuldigten gewahrt blieben. Willkürliche Inhaftierungen ohne angemessenes Strafverfahren und ohne angemessene Schuldprüfung gehörten zu den zentralen Menschenrechtsproblemen in Ruanda.

Außerdem hat Herr Dr. Gerd Hankel in seiner Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Oldenburg vom 10.08.2013 ausgeführt, dass jeder, der sich dem herrschenden Staats- und Gemeinschaftsverständnis entzieht oder zu entziehen scheint, mit Sanktionen rechnen muss. Die Bandbreite reiche vom korrigierenden Gespräch über den öffentlichen Tadel bis hin zur Gefängnisstrafe. Unter Ausnutzung eines Schengen-Visums einen Asylantrag zu stellen, gehöre wegen der einem Asylantrag immanenten notwendigen Kritik an der Politik und/oder an den Organen des Herkunftslandes zu den Verhaltensweisen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer fühlbaren Sanktion, d.h. mit Gefängnisstrafe, bestraft würden.

Danach ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Ruanda von den ruandischen Sicherheitsbehörden als Regimegegner behandelt würde und ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. [...]