Zur Frage, ob einem ehemals personensorgeberechtigten Elternteil eines Kindes deutscher Staatsangehörigkeit, der im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG war, nach dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes in entsprechender Anwendung des § 31 AufenthG ein Aufenthaltstitel erteilt werden kann.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der vorläufige Rechtsschutzantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sowie § 12 LVwVG statthaft ist. Der Senat geht in diesem Zusammenhang von Folgendem aus: Die Antragstellerin hatte am 11.09.2014 auf einem Formblatt einen Antrag auf Verlängerung der bis zum 12.10.2014 gültigen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis beantragt. Der Antrag enthielt weder ausdrücklich noch sinngemäß eine Beschränkung des von der Antragstellerin weiter für die Zukunft verfolgten Aufenthaltszwecks. Da der Sohn der Antragstellerin zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich bereits volljährig war und sich in keiner Berufsausbildung befand, musste es insbesondere auch aus der maßgeblichen Sicht des Empfängerhorizonts der Antragsgegnerin (vgl. §§ 133, 157 BGB entspr.) ferne liegen, dass die Antragstellerin ihr Verlängeungsbegehren auf einen Titel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder Absatz 3 Satz 2 AufenthG beschränken wollte. Mit Rücksicht auf die besondere persönliche Situation der Antragstellerin lag es auf der Hand, dass – so denn ein solcher nach dem 6. Abschnitt nicht mehr in Betracht kam – zumindest auch ein Titel nach dem 5. Abschnitt in Betracht zu ziehen war, um den weiteren Aufenthalt legalisieren zu können, weshalb jedenfalls auch ein solcher nach § 25 Abs. 4 Satz 2 oder Absatz 5 AufenthG mit beantragt war. Diese unübersehbare Interessenlage der Antragstellerin lässt sich rückschauend auch in aller Deutlichkeit aus dem Vorbringen ihres Prozessbevollmächtigten in der Begründung des Widerspruchs vom 28.05.2015 ablesen. Auch wenn die angegriffenen Bescheide hierzu keine näheren Ausführungen machen, ist nach dem Wortlaut der Verfügung vom 27.03.2015 (nämlich der ausdrücklichen Bezugnahme auf den Antrag vom 11.09.2014 sowie den Tenor der Verfügung) gleichwohl davon auszugehen, dass der Antrag umfassend abgelehnt wurde, andernfalls wäre die Fiktionswirkung § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bis heute nicht erloschen und die Antragstellerin gar nicht vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. zu alledem GK-AufenthG § 81 Rn. 123).
Der vorläufige Rechtsschutzantrag ist auch in der Sache begründet. Nach dem aktuellen Sach- und Streitstand bestehen grundlegende Bedenken, dass die Ablehnung des Antrags im Hauptsacheverfahren einer Überprüfung standhalten wird, weshalb mit Rücksicht auf den mittlerweile 21 Jahre währenden legalen Aufenthalt der Antragstellerin eine Ausreise vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens ihr nicht zuzumuten ist.
Dieses ergibt sich aus Folgendem:
Zunächst bestehen gute Gründe dafür, dass die Antragstellerin eine Verlängerung nach § 28 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 31 AufenthG beanspruchen kann. Die vom Verwaltungsgericht – zugegebenermaßen in Übereinstimmung mit den überwiegenden Literaturmeinungen – vertretene Auffassung, wonach der in § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG enthaltene Verweis auf § 31 nur den Fall des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG betrifft, überzeugt den Senat nicht, bedarf jedenfalls einer abschließenden Überprüfung im Hauptsacheverfahren. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des VG Darmstadt (Beschluss vom 04.04.2014 - 5 L 1905/13.DA - juris) sowie des HessVGH (Beschluss vom 10.07.2014 - 3 B 730/14 - juris). Der Senat möchte insbesondere auf den andernfalls unübersehbaren Wertungswiderspruch zu § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hinweisen. Denn nach dieser Vorschrift würden dann die Familienangehörigen von Ausländern, die gerade nicht Ehegatten oder Lebenspartner sein können, besser behandelt. Zudem ist mittlerweile auch in § 25b Abs. 4 Satz 3 durch den Verweis auf § 31 AufenthG für andere Personen als den Ehegatten bzw. den Lebenspartner ein eigenständiges Aufenthaltsrecht geregelt, was den Wertungswiderspruch vertiefen würde. Die Tatsache, dass durch Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern vom 29.08.2013 (BGBl. I, S. 3484) in § 28 Abs. 3 ein neuer Satz 2 eingefügt wurde, besagt insoweit wenig. Denn die Regelung betrifft nur einen ganz kleinen Ausschnitt der eventuell mit einer Anwendung des § 31 AufenthG zu bewältigenden Konstellationen, abgesehen davon, dass hier ein Rechtsanspruch begründet wird, was im Falle des § 31 Abs. 4 AufenthG allenfalls für das erste Verlängerungsjahr der Fall wäre. Auch kann – so der Gesetzgeber die Systematik und die Wertungen der bisherigen Rechtslage verkannt haben sollte – nicht angenommen werden, dass er mit einer punktuellen Änderung mittelbar auch die Rechtslage im Übrigen geändert hat. Wäre hier § 31 AufenthG entsprechend anzuwenden, dann wäre allerdings zu beachten, dass eine Verlängerung bei unzureichender Sicherung des Lebensunterhalts, was bei der Antragstellerin der Fall ist, nur auf ein Jahr erfolgen und beansprucht werden kann, während eine weitergehende Verlängerung nur bei Erfüllung der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen, somit auch des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG möglich ist. Hier ist jedoch mittlerweile zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats mit Ablauf des 12.11.2015 bereits das erste Jahr abgelaufen, so dass eine Verlängerung nur nach Maßgabe des § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG möglich ist. Im Falle der Antragstellerin, die ihren Lebensunterhalt immerhin durch den Bezug einer Rente teilweise sichert, muss aber ernsthaft in Betracht gezogen werden, zumindest noch für eine Übergangszeit von einer Atypik im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auszugehen. Maßgeblich ist dabei nicht nur ihr langjähriger Aufenthalt, sondern vor allem der Umstand, dass ihr die bisherigen Aufenthaltserlaubnisse bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Sohnes nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zwingend ohne jede Sicherung des Lebensunterhalts zu erteilen waren; dies rechtfertigt es, dem betroffenen Elternteil nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zumindest für eine angemessene Zeit die Möglichkeit zu geben, sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren, um den Lebensunterhalt vollständig zu sichern; ob eine teilweise Inanspruchnahme von Sozialleistungen auch auf Dauer hinzunehmen wäre, wenn etwa altersbedingt ein Integration in den Arbeitsmarkt nicht mehr erfolgen kann und eine Rückkehr in das Herkunftsland aufgrund einer langjährigen Abwesenheit nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich oder gar nicht mehr zuzumuten wäre, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Allerdings wurde die Antragstellerin am 12.07.2005 und am 03.01.2008 wegen eines fahrlässigen und eines vorsätzlichen Straßenverkehrsdelikts strafgerichtlich verurteilt. Da diesen Verurteilungen nach Aktenlage keine weiteren nachfolgten, bestehen keine Anhaltspunkte für eine relevante Wiederholungsgefahr mehr, weshalb in Betracht kommt, dass schon gar kein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben ist, sofern man in Anwendung dieser neugefassten Vorschrift das Vorliegen einer konkreten Gefahr fordern würde (vgl. zu alledem GK-AufenthG § 5 Rn. 55). Andernfalls läge aus den vorgenannten Gründen die Annahme einer Atypik nahe.
Sollte die Verlängerung des Titels nach § 28 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 31 AufenthG aus Rechtsgründen ausscheiden, so kommt im Falle der Antragstellerin eine Verlängerung nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG in Betracht. Insoweit kann der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht tragenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss verweisen.
Infolge der Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der ablehnenden Verfügung der Antragsgegnerin war auch die aufschiebende Wirkung in Bezug auf die unselbstständigen Abschiebungsandrohung anzuordnen. [...]