OVG Rheinland-Pfalz

Merkliste
Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 - 10 A 10689/15 (= ASYLMAGAZIN 1-2/2016, S. 29 ff.) - asyl.net: M23464
https://www.asyl.net/rsdb/M23464
Leitsatz:

Ein männlicher, junger Somalier, der einem Mehrheitenclan angehört und an keiner beachtlichen Erkrankung leidet, ist bei einer Rückkehr nach Mogadischu keiner ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Somalia, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Gefahrendichte, Prognose, Krankheit, Hepatitis B, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, subsidiärer Schutz, Versorgungslage, Abschiebungsandrohung, erhebliche individuelle Gefahr, Mogadischu, Behandlungsbedürftigkeit,
Normen: AsylG § 4, AufenthG § 60, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen stellt sich die allgemeine Situation in Somalia aktuell im Wesentlichen wie folgt dar: Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden "Somaliland" im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen Al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende "Republik Somaliland" im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In "Somaliland" wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. In Süd- und Zentralsomalia kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al Shabaab-Miliz. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon längere Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al Shabaab. In den "befreiten" Gebieten, zu denen seit August 2011 auch die Hauptstadt Mogadischu zählt, finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 2. Februar 2015, Stand November 2014, S. 4 f.; Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 25. Juli 2013, S. 29; Danish Immigration Service, South Central Somalia – Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process, September 2015, S. 7; siehe auch EGMR, Urteil vom 5. September 2013 – Nr. 886/11, [K.A.B. ./. Schweden] –, Rn. 87 ff.).

Der Senat kann dahinstehen lassen, ob angesichts dessen die Aussage des Klägers zutrifft, in ganz Süd- und Zentralsomalia – und damit auch in der Hauptstadt Mogadischu – herrsche noch ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt (vgl. zur Definition BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, juris, Rn. 22 f. und vom 24. Juni 2008 – 10 C 43.07 –, juris, Rn. 22 ff.). Während das Auswärtige Amt insoweit – ohne Differenzierung danach, ob es sich um "befreite" Gebiete handelt – dies bejaht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 2. Februar 2015, Stand November 2014, S. 4 f.: "In Süd- und Zentralsomalia, wo auch die Hauptstadt Mogadischu liegt, herrscht Bürgerkrieg."), gehen andere Einschätzungen wie das Österreichische Bundesasylamt davon aus, dass sich die generelle Sicherheitssituation für die Bevölkerung Mogadischus verbessert hat. Mogadischu ist danach vielleicht noch nicht befriedet, befindet sich jedoch definitiv nicht im Kriegszustand (Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 25. Juli 2013, S. 43). Weiter wird es als sehr unwahrscheinlich angesehen dass die Al Shabaab unter den gegebenen Umständen in der Lage ist, Mogadischu wieder einzunehmen (vgl. Danish Immigration Service, South Central Somalia – Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process, September 2015, S. 8). Daher ist fraglich, ob für die Region Mogadischu, in der es nicht mehr zu direkten bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, noch ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu bejahen ist. Allerdings wird der erreichte Zustand in nahezu allen Berichten als fragil bzw. unbeständig beschrieben (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Somalia: Sicherheitssituation in Mogadischu – Auskunft der SFHLänderanalyse, 25. Oktober 2013, S. 1; European Asylum Support Office, EASO Somalia seminar, 14 October 2014 – Summaries of Keynotes Presentations, 1. Dezember 2014, S. 4; Danish Immigration Service, South Central Somalia – Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process, September 2015, S. 49). Die Al Shabaab vollzieht nunmehr eine asymetrische Kriegsführung, die insbesondere gezielte Attentate, den Einsatz von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen und überfallartige Angriffe (sog. "hit and run") umfasst (Danish Immigration Service, South Central Somalia – Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process, September 2015, S. 9; siehe auch European Asylum Support Service, EASO Country of Origin Information report – South and Central Somalia – Country Overview, August 2014, S. 85; vgl. auch EGMR, Urteil vom 5. September 2013 – Nr. 886/11 [K.A.B. ./. Schweden] –, Rn. 88).

Jedenfalls ist der Kläger im hier vorliegenden Einzelfall keiner ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt.

Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt (BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2014 – 10 C 6.13 –, juris, Rn. 24). Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich jedoch individuell verdichten. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann in erster Linie auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen. Dies sind solche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen als andere, etwa weil er von Berufs wegen (z. B. als Arzt oder Journalist) gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, juris, Rn. 33, und vom 17. November 2010 – 10 C 13.10 –, juris, Rn. 18). Im Ausnahmefall kann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben aber auch durch eine allgemeine Gefahr hervorgerufen sein, die sich in besonderer Weise zugespitzt hat. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes "allgemein" ausgesetzt ist, stellen normalerweise zwar keine individuelle Bedrohung dar. Eine Ausnahme davon gilt aber bei besonderer Verdichtung der Gefahr, die unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen zu deren Individualisierung führt. Davon ist auszugehen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile vom 17. Februar 2009 – C-465/07 [Elgafaji] –, juris, Rn. 35 und 39, und vom 30. Januar 2014 – C-285/12 [Diakite] –, juris, Rn. 30; BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, juris, Rn. 32 und vom 17. November 2011 – 10 C 13.10 –, juris, Rn. 19).

Unabhängig davon, ob die individuelle Bedrohungssituation auf persönliche Umstände oder ausnahmsweise auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurückgeht, sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem jeweiligen Gebiet zu treffen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. In beiden Konstellationen ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, notwendig (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, juris, Rn. 33). Es bedarf zudem einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, juris, Rn. 33, und vom 13. Februar 2014, 10 C 6.13 –, juris, Rn. 24). Das Bundesverwaltungsgericht sieht ein Risiko von 1:800, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nichts zu ändern vermag (vgl. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, 10 C 13.10 –, juris, Rn. 22 f. zur Lage in der Provinz Ninive im Irak; siehe auch BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 11/10 –, juris, Rn. 20 f. zur Lage in Bagdad [Risiko von 1:1000]).

Für die Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 – 10 C 9.08 –, juris, Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 – C-465/07 [Elgafaji]). Dies ist im Fall des Klägers die Hauptstadt Mogadischu. Dort hat der Kläger nach seinen Angaben von 1997 bis 2004 mit seinen Eltern und seinen Geschwistern gelebt, sein Vater hatte dort bis 2006 einen Laden und der Kläger ist dort zur Schule gegangen.

Gemessen an diesen Kriterien fehlt es an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Klägers bei einer Rückkehr nach Mogadischu.

Gefahrerhöhende persönliche Umstände, die ihn wegen persönlicher Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko aussetzen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Kläger gehört keiner Risikogruppe an. Gefahrerhöhende Umstände ergeben sich auch nicht bereits aus seiner Situation als Rückkehrer nach einem Auslandsaufenthalt. Zwar sieht die Al Shabaab Rückkehrer aus westlichen Ländern möglicherweise als Spione der Regierungstruppen an (European Asylum Support Office, EASO Country of Origin Information report – South and Central Somalia – Country Overview, August 2014, S. 106); da sie aber in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden Gebieten – wie Mogadischu – nicht mehr frei agieren kann und angesichts der Zahl von rückkehrenden Personen – v.a. auch Binnenvertriebene (vgl. European Asylum Support Office, EASO Country of Origin Information report – South and Central Somalia – Country Overview, August 2014, S. 117; Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 25. Juli 2013, S. 19) – ergibt sich daraus nicht für jeden Rückkehrer ohne weiteres eine ernsthafte Bedrohung. Der Kläger gehört zudem nicht einem Minderheiten-, sondern einem Mehrheitenclan an, so dass auch unter diesem Aspekt kein gefahrerhöhender persönlicher Umstand angenommen werden kann. Auch ist nicht ersichtlich, dass er bereits der Al Shabaab oder den Polizeikräften besonders aufgefallen ist. Soweit er diesbezüglich vorgetragen hat, die Familie, die seinen Bruder anlässlich eines Kartenspiels um Geld getötet habe, gehöre jetzt der Al Shabaab an und wolle auch ihn töten, so bestehen zum einen angesichts des vom Kläger im Laufe des Verfahrens gesteigerten Vortrags – insbesondere auch im Hinblick auf den Hintergrund der Tötung des Bruders (Kartenspiel um Geld) und die Bedrohung wegen der Schwangerschaft einer Frau – Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens. Zudem ergibt sich aber aus den Ausführungen des Klägers auch nicht, dass nach nunmehr 11 Jahren immer noch eine ernsthafte Bedrohung bestehe.

Auch die allgemeine Lage ist nicht so gefährlich, dass sie sich unabhängig von persönlichen Merkmalen auf jede Zivilperson individualisiert. Die erforderliche Gefahrendichte ist in Mogadischu nicht mehr gegeben. Zwar ist die Sicherheits- und Versorgungslage in Süd- und Zentralsomalia nach wie vor fragil, dennoch zeichnet sich nach den vorliegenden Erkenntnisquellen eine Entwicklung ab, die eine Verbesserung der generellen Sicherheitssituation für die Bevölkerung mit sich gebracht hat, auch wenn dies nicht landesweit gilt.

Eine genaue Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, erscheint jedoch kaum verlässlich möglich. Dies beruht bereits darauf, dass es für eine Gesamtbevölkerungszahl als Ausgangsbasis keine gesicherten Zahlen gibt und die entsprechenden Schätzungen erheblich differieren. Zudem kann die Zahl der Zivilpersonen, die Opfer willkürlicher Gewalt geworden sind, kaum annäherungsweise verlässlich geschätzt werden, weil belastbare Zahlen nicht vorhanden sind. Dies betrifft etwa die Frage, ob in den insoweit verfügbaren Aufstellungen die Zählung der "Zivilpersonen" auch solche Opfer umfasst, die den besonderen Risikogruppen (Politiker, Regierungsmitarbeiter etc.) angehören. Auch wird in den Berichten über Vorfälle meist lediglich über die Zahl der Getöteten, nicht aber auch über die der Verletzten berichtet.

Die Gesamtbevölkerung von Mogadischu wird vom Auswärtigen Amt als vermutlich deutlich über eine Million Einwohner einschließlich einer großen Anzahl Binnenvertriebener einschätzt (www.auswaertiges-amt.de). Setzt man zu dieser Einwohnerzahl die sich aus der Aufstellung von ACCORD (Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), 3. November 2015) ergebende Zahl der im Jahr 2014 in der gesamten Region Banaadir verzeichneten 739 Vorfälle mit 586 Toten – jedoch bezogen auf alle Konfliktvorfälle, d.h. nicht nur Gewaltvorfälle gegen Zivilpersonen – würde sich unter Zugrundelegung dieser Zahlenwerte ein Tötungsrisiko von etwa 1:1700 (0,0586 %) ergeben, wobei eine Berechnung des Verletzungsrisikos mangels entsprechender verfügbarer Auflistung nicht möglich erscheint.

Auch ungeachtet einer quantitativen Bewertung ergibt sich unter Zugrundelegung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen in Mogadischu keine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. In den Berichten ist regelmäßig von "Verbesserungen" die Rede, auch wenn dies angesichts der früheren extremen Situation nicht damit gleichgesetzt werden kann, dass keine wesentliche Gefahr für die Zivilbevölkerung mehr gegeben ist. Aus der Hauptstadt Mogadischu wurde die Al Shabaab Miliz im August 2011 vertrieben. Es gelingt ihr zwar immer wieder, Anschläge zu verüben. Diese Anschläge richten sich aber in der Regel gezielt gegen Funktionsträger (vgl. Danish Immigration Service, South Central Somalia – Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process, September 2015, S. 11). Wegen der verdeckten Präsenz der Al Shabaab besteht in Mogadischu für mehrere Risikogruppen (z. B. Regierungsmitarbeiter, Politiker, Sicherheitskräfte etc.) eine Gefahr durch auf Funktionsträger und deren Einrichtungen gerichtete Attentate und Anschläge. Für den einfachen Stadtbewohner droht hingegen als einzige Gefahr, sich "zur falschen Zeit am falschen Ort" zu befinden und damit Opfer im Rahmen solcher Anschläge zu werden (Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 25. Juli 2013, S. 43). Die Gesamtzahl der zivilen Opfer dürfte daher zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen betroffen haben. Dies beruht darauf, dass nach bisheriger Erkenntnislage durch die von der Al Shabaab vorgenommene strategische Auswahl der Anschlagsziele bestimmte Berufsgruppen in besonderer Weise betroffen waren: Regierungsmitarbeiter, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte, Abgeordnete, mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker. Dies verdeutlichen die nach den vorliegenden Erkenntnisquellen verübten Anschläge (siehe zu den Ereignissen im Jahr 2015 etwa die Aufstellung von ACCORD, ecoi.net-Themendossier: Al Shabaab: Zeitachse von Ereignissen, Stand 22. September 2015: September 2015: Angriff auf einen Militärstützpunkt nahe Mogadischu; August 2015: Bombenanschlag in Mogadischu; Juli 2015: schwerer Bombenanschlag auf das Hotel Jazeera Palace, Anschlag auf zwei Hotels in Mogadischu, wovon sich eines nahe dem somalischen Parlament befindet; Juni 2015: Selbstmordanschlag auf einen diplomatischen Konvoi; April 2015: Explosion einer Autobombe vor einem Restaurant vor dem Central Hotel, in dem sich oft Politiker aufhalten, Angriff auf einen Regierungskomplex u.a. mit einem mit Sprengstoff beladenen Auto; März 2015: Besetzung eines Hotels, Autobombenanschlag vor einem Hotel; Februar 2015: Angriff auf ein Hotel, in dem Regierungsbeamte das Freitagsgebet abgehalten haben, Angriff auf den Präsidentenpalast; Januar 2015: Explosion einer Autobombe vor einem Hotel, in dem Delegierte der Türkei den Besuch des türkischen Präsidenten vorbereiteten, Selbstmordanschlag nahe dem Flughafen; siehe zudem zu Vorfällen in den vergangenen Monaten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 28. September 2015: Autobombenanschlag nahe dem Präsidentenpalast; Briefing Notes vom 2. November 2015: Angriff auf das Hotel Sahafi). Die Betrachtung der – in den o. g. Aufstellungen von ACCORD auch für die Vorjahre – verzeichneten Anschläge zeigt, dass es die Al Shabaab nicht gezielt auf Zivilisten absieht, insoweit aber Opfer in Kauf nimmt. Die Vorkommnisse, über die berichtet wird, sind insgesamt nicht so häufig und erreichen keine so hohen zivilen Opferzahlen, als davon gesprochen werden könnte, dass jeder Zivilist der weit über eine Million Einwohner zählenden Stadt aufgrund seiner bloßen Anwesenheit gefährdet wäre (siehe dazu auch VG Aachen, Urteile vom 13. April 2015 – 7 K 711/14.A –, juris, und vom 9. November 2015 – 7 K 53/15.A –, juris; VG Regensburg, Urteil vom 27. August 2015 – RO 7 K 15.30680 –; VG Cottbus, Urteil vom 10. September 2015 – VG 5 K 487/15.A –; VG Stade, Urteil vom 5. Oktober 2015 – 3 A 3658/13 –, juris; siehe auch EGMR, Urteil vom 5. September 2013 – Nr. 886/11 [K.A.B. ./. Schweden] –, Rn. 86 ff.; a.A. VG Kassel, Urteil vom 3. März 2015 – 4 K 867/13.KS.A –; VG Göttingen, Urteil vom 21. Juli 2015 – 3 A 626/14 –, juris). Insoweit lässt sich zwar bislang keine wesentliche rückläufige Tendenz der Vorfälle verzeichnen, indes ergeben sich aber auch keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür, dass abgesehen von Schwankungen in der Häufigkeit der Vorfälle und der Anzahl der Opfer von einer wesentlichen Trendänderung dahingehend auszugehen ist, dass jeder Zivilperson bereits durch ihre Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben drohen würde. Jedenfalls lässt sich auch ein staatliches Vorgehen gegen die Al Shabaab verzeichnen, etwa die Aussetzung eines Kopfgeldes von insgesamt 1,3 Mio. USD für 11 ranghohe Funktionsträger der Al Shabaab und ein Großeinsatz somalischer Sicherheitskräfte mit Durchsuchungen in Mogadischu und 60 Festnahmen mutmaßlicher Mitglieder der Al Shabaab (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 13. April 2015 und 15. Juni 2015). [...]