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LG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 01.02.2016 - 2-29 T 21/16 - asyl.net: M23540
https://www.asyl.net/rsdb/M23540
Leitsatz:

Führen Verfahrensverzögerungen, die die Verwaltungsbehörde nicht plausibel zu erklären vermag und die nicht zur ordnungsgemäßen Abschiebung erforderlich sind, dazu, dass Möglichkeiten einer früheren Abschiebung nicht ergriffen werden können, so ist die weitere Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft rechtswidrig.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Beschleunigungsgebot, Armenien, Rückübernahmeabkommen, Freiheitsentziehung, Auslandsvertretung, Botschaft, Passbeschaffung, Passersatz,
Normen: GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, GG Art. 104 Abs. 1, GG Art. 2, GG Art. 104,
Auszüge:

[...]

Die antragstellende Behörde betrieb die Rückführung der Betroffenen nicht mit der gebotenen Beschleunigung. Die innerstaatlichen Verwaltungsbehörden haben im Hinblick auf die Wert setzende und auch das Verfahren der Freiheitsentziehung beeinflussende Bedeutung der Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 GG alles zu unternehmen, um eine unverzügliche, die Betroffenen so wenig wie möglich in ihrer Freiheit beeinträchtigende Abschiebung sicherzustellen. Führen Verfahrensverzögerungen, die die Verwaltungsbehörde nicht plausibel zu erklären vermag und die nicht zur ordnungsgemäßen Abschiebung erforderlich sind, dazu, dass Möglichkeiten einer früheren Abschiebung nicht ergriffen werden konnten, so ist die weitere Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft rechtswidrig (OLG Saarbrücken, InfAuslR 2010, 15). Die antragstellende Behörde hat die am 06.12.2015 am Flughafen Frankfurt am Main angekommenen Betroffene am 08.12.2015 zu ihrem Schutzersuchen befragt. Nach der Überprüfung der Angaben konnte die antragstellende Behörde feststellen, dass sie unter den von ihr angegebenen Personalien auf der Passagierliste des Fluges DE 2321 aus Male aufgeführt war. Der Asylantrag der Betroffenen vom 10.12.2015 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.12.2015 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Laut Ausländerakte hat die antragstellende Behörde am 21.12.2015 die armenische Botschaft um die Ausstellung von Passersatzdokumenten gebeten. Eine Reaktion hierauf erfolgt zunächst nicht. Erst nach mehrmaligen telefonischen Kontaktversuchen konnte die armenische Botschaft am 08.01.2016 erreicht werden. Hierbei wurde die antragstellende Behörde darauf hingewiesen, dass es ein Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Armenien gibt und die entsprechenden Formblätter ausgefüllt werden müssen. Diese Formblätter wurden durch die antragstellende Behörde dann vier Tage später am 12.01.2016 bei der zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld angefordert und übersandt, Nach Mitteilung der zentralen Ausländerbehörde vom 18.01.2016 wurden die Unterlagen an die armenische Botschaft überreicht, weiche bereits am, 21.01,2016 mitteilte, dass Passersatzpapiere ausgestellt worden seien. Die Passersatzpapiere trafen schließlich am 26.012016 bei der antragstellenden Behörde ein.

Dieses Vorgehen stellt einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot dar. Maßgeblicher Grund für die eingetretene Verzögerung war vorliegend der Umstand, dass die antragstellende Behörde keine Kenntnis hinsichtlich der erforderlichen Formblätter für die Beantragung eines Passersatzpapiers bei armenischen Staatsangehörigen hatte. Die für die Abschiebung zuständige Verwaltungsbehörde hat jedoch sicherzustellen, dass die formalen Voraussetzungen für die Beantragung eines Passersatzpapiers bei einer Botschaft unmittelbar bei Antragstellung erfüllt sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn es ein Rückübernahmeabkommen mit einem Staat gibt, welches die Ausstellung von Passersatzpapieren und die Rückführung von Staatsangehörigen erleichtern soll. In einem solchen Fall hat die antragstellende Behörde bereits bei Beantragung eines Passersatzpapieres die erforderlichen Formblätter vorzulegen.

Durch das fehlerhafte Vorgehen der Verwaltungsbehörde konnte eine frühere Abschiebemöglichkeit nicht ergriffen werden. Nach dem dargestellten Verfahrensablauf konnten die Passersatzpapiere bereits 3 Tage nach dem Eingang der entsprechenden Formblätter ausgestellt werden.

Auch unter Berücksichtigung, dass die armenische Botschaft vom 24.12.2015 bis 27.12.2015 und vom 31.01.2015 [sic] bis 07.01.2016 geschlossen war, wäre die Ausstellung eines Passersatzpapiers demnach spätestens 3 Werktage nach dem 07.01.2016, also am 13.01.2016 und nicht erst am 21.01.2016 erfolgt. Durch das verspätete Vorlegen der erforderlichen Formblätter kam es mithin zu einer Verzögerung von mindestens 8 Tagen.

Demzufolge war auch dem Antrag der Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 76 1, 78 II, III FamFG i.V.m. § 114 ZPO stattzugeben. Gleiches gilt für den von der Betroffenen gestellten Feststellungsantrag.

Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren konnte gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen werden, da eine persönliche Anhörung der Betroffenen in erster Instanz zeitnah erfolgte und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten waren. [...]