1. Mit Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin III-VO geht die unionsrechtliche Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.
2. Nach dem nationalen deutschen Recht wird daher eine Überstellungsentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ("DÜ-Bescheid") mit dem Eintritt des Zuständigkeitswechsels wegen Erledigung unwirksam, ohne dass es ihrer Aufhebung bedarf.
3. Einer Überstellung aufgrund unwirksamer Überstellungsentscheidung kann durch eine einstweilige Anordnung begegnet werden.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Der am 31. Januar 2016 im Hinblick auf die ihm für den 22. Februar 2016 in Aussicht gestellte Überstellung nach Italien angebrachte Eilrechtsschutzantrag des Antragstellers ist als Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Sicherung der sich aus der Unwirksamkeit des Überstellungsbescheides vom 25. September 2015 ergebenden Rechtsstellung des Antragstellers statthaft und begründet. Es sind ein Anordnungsgrund sowie der Anordnungsanspruch gegeben. Im Einzelnen:
Das ausdrücklich als Feststellungsbegehren i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO formulierte, freilich als "Eilantrag" überschriebene Begehren des Antragstellers ist nach § 88 VwGO im Lichte des erkennbaren Rechtsschutzziels des Antragstellers auszulegen und der Auslegung zugänglich, weil es dem Antragsteller erkennbar um die Verhinderung seiner Überstellung auf der Grundlage der Überstellungsentscheidung vom 25. September 2015 ("Dublin-Bescheid") geht.
Das Bundesamt hat ursprünglich zu Recht die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers angenommen und daher die auf Italien bezogene Überstellungsentscheidung vom 25. September 2015 getroffen; auf den genannten Bescheid sowie die Gründe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 15. Oktober 2015 und des (rechtskräftigen) Gerichtsbescheides vom 4. November 2015 wird Bezug genommen.
Indes hat der Überstellungsbescheid infolge Ablaufs der maßgeblichen, sechsmonatigen Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 1 1. UA Dublin III-VO) am 30. Januar 2016 seine Wirksamkeit verloren mit der Folge, dass kein Vollstreckungstitel für die in Aussicht genommene Überstellung (mehr) vorliegt.
Die Überstellungsfrist wurde durch den Eintritt der Fiktion einer italienischen Wiederaufnahmeerklärung nach Maßgabe des deutschen Wiederaufnahmegesuchs vom 16. Juli 2015 am 31. Juli 2015 in Gang gesetzt und lief am 30. Januar 2016 ab (Art. 25 Abs. 2, 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO). Der zulässige Eilantrag des Antragstellers mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der gegen den Überstellungsbescheid gerichteten Klage anzuordnen, hat sich auf den Lauf der Überstellungsfrist - entgegen der nach wie vor vertretenen Rechtsauffassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie der überwiegenden Rechtsprechung - nicht ausgewirkt (hierzu grds. vgl. Beschluss der Kammer vom 16. April 2014 - VG 6 L 211/14.A -, juris). Entgegen der Rechtsauffassung des Bundesamts kommt es für den Lauf der Frist nämlich nicht darauf an, wann ein ablehnender Eilbeschluss in Bezug auf die Abschiebungsanordnung bekannt gegeben worden ist. Die gegenläufige Auffassung des Bundesamts übersieht, dass der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung keine aufschiebende Wirkung i.S.v. Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO ("Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung") zeitigt, sondern dass er aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes der gerade nicht selbst mit einem Suspensiveffekt versehenen Klage (lediglich) ein gesetzliches Vollstreckungshindernis (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG) für die Dauer des Eilverfahrens begründet und dies auch nur bei fristgerechter Antragstellung ("Entscheidung, ob die Durchführung der Überstellung ausgesetzt wird"). Dies ist nach der Kammerrechtsprechung eindeutig ("acte clair"). Das Bundesamt hat die zahlreichen Möglichkeiten, diesbezüglich eine ober- oder höchstrichterliche Klärung herbeizuführen nicht genutzt, indem es gegen die einschlägigen Hauptsacheentscheidungen der erkennenden Kammer nicht ins Rechtsmittel gegangen ist.
Nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil vom 25. Februar 2015 - VG 6 K 1344/14.A -, juris) führt der Ablauf der Überstellungsfrist mit dem hieran anknüpfenden Zuständigkeitsübergang nach nationalem Recht (§ 43 Abs. 2 VwVfG) zum Eintritt der Unwirksamkeit des Überstellungsbescheides. Obgleich die Überstellungsentscheidung des Bundesamts den Anschein der Rechtsgültigkeit hat, bedarf es keiner ausdrücklichen Aufhebung, um dem Verlust der Wirksamkeit Rechnung zu tragen. Diese nationale Regelung und die ihr folgende Kammerrechtsprechung liegt auf einer Linie mit der Zielvorstellung der Dublin III-Verordnung im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, wonach es um eine möglichst zügige Klärung der Zuständigkeitsfrage im Einzelfall sowohl im Interesse der beteiligten Mitgliedstaaten als auch des betroffenen Asylantragstellers geht (vgl. Erwägungsgründe 4, 5).
So liegt es hier, zumal der Antragsteller nach der heute telefonisch eingeholten Auskunft der Ausländerbehörde während der regulären Überstellungsfrist weder untergetaucht ("flüchtig") noch inhaftiert war, was eine (von Rechts wegen automatisch eintretende) Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO nach sich gezogen hätte. Demzufolge kann mangels vollziehbarer Abschiebungsanordnung eine Überstellung des Antragstellers nicht mehr auf der Grundlage des (inzwischen unwirksamen) Bescheides vom 25. September 2015 erfolgen.
Da sich die Antragsgegnerin aber - nach Maßgabe ihrer eigenen Rechtsauffassung - einer fortbestehenden Rechtsgrundlage für die am 22. Januar 2016 geplante Überstellung berühmt, ist die derzeitige Rechtsstellung des Antragstellers so zu sichern, dass jedenfalls nicht auf der Grundlage des Bescheides vom 25. September 2015 vollstreckt wird. Der Antragsteller kann nämlich wegen des inzwischen eingetretenen Zuständigkeitsübergangs für die Prüfung seines Asylantrags vom 26. Juni 2015 auf Deutschland (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO) die weitere Durchführung des Asylverfahrens hier beanspruchen, wobei zu klären bleibt, ob sich der Asylantrag aus sonstigen Gründen als unzulässig oder ob er sich als ganz oder teilweise begründet erweist. Jedenfalls kann der Antragsteller für den Fall einer wiederum beabsichtigten Abschiebung mangels derzeit gegebener Bescheidung eine entsprechende neue verwaltungsaktmäßige Entscheidung des Bundesamts beanspruchen, gegen welche er ggf. abermals den Rechtsweg beschreiten können muss. [...]