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VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 30.09.2015 - 9 K 15.1340 - asyl.net: M23571
https://www.asyl.net/rsdb/M23571
Leitsatz:

Ein Anspruch nach 12 Abs. 5 S. 2 AufenthG auf Erteilung einer Verlassenserlaubnis für einen (wöchentlichen) Moschee-Besuch besteht bei Annahme einer vom Antragsteller ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit nur bei Inkaufnahme einer gleichzeitigen sicherheitsbehördlichen Überwachung. Entsprechende Nebenbestimmungen sind daher mit der Religionsausübungsfreiheit vereinbar.

Schlagwörter: Verlassenserlaubnis, Moscheebesuch, Duldung, räumliche Beschränkung, Religionsfreiheit, erhebliche Gefahr, Prognose, sicherheitsbehördliche Überwachung, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, öffentliche Sicherheit, Religionsausübungsfreiheit, Überwachung, Nebenbestimmung, Freitagsgebet, terroristische Vereinigung, Unterstützung, Verurteilung, Ausweisung,
Normen: AufenthG § 12 Abs. 5 S. 2, AufenthG § 54a,
Auszüge:

[...]

1. Dabei hält die Kammer allerdings auch im Lichte des positiven Prozesskostenhilfebeschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (BayVGH) vom 25. August 2015 weiterhin an ihrer Rechtsauffassung fest, dass der Kläger keinen gebundenen Anspruch nach § 12 Abs. 5 Satz 2 AufenthG auf Erteilung einer Verlassenserlaubnis für den wöchentlichen Besuch des Freitagsgebetes in der ... Moschee besitzt.

1.1 Ausgangspunkt dieser Bewertung ist die bereits im Prozesskostenhilfebeschluss der Kammer vom 7. Mai 2014 unter Ziffer II.1.1 der Gründe ausführlich dargelegte und vom BayVGH geteilte allgemeine höchst gewichtige Gefahreneinschätzung bezüglich des Klägers. Von ihm geht nach wie vor eine erhebliche Gefahr für die durch die abgeurteilten Taten gefährdeten Rechtsgüter "Leben" und "körperliche Unversehrtheit" aus. Zu einer vergleichbaren Einschätzung gelangte kürzlich auch das Oberlandesgericht S. in einem Beschluss vom 21. Mai 2015, mit dem ein Antrag des Klägers auf Verkürzung der Führungsaufsicht abgelehnt worden ist.

1.2 Im Lichte dessen hält die Kammer nach wie vor eine sicherheitsbehördliche Überwachung des Klägers während eines möglichen Moscheebesuches für zwingend erforderlich. Bei einem unüberwachten Besuch der Moschee erhielte er die Chance, in jedem Fall unbeobachtet - ggf. auch ohne Kenntnis des Imam oder des Trägervereines auch nur in kleinem Kreise - seine religiös-extremistischen Vorstellungen unter anderen aktiven Glaubenden zu verbreiten und ggf. bislang unbescholtene Glaubende für seine Ideen zu gewinnen. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es nach den Feststellungen im Urteil des Oberlandesgerichts S. gerade seine Aufgabe war, Rekrutierungsmaßnahmen sowie regelmäßige Geldsammlungen und -transfers für die ... durchzuführen (vgl. dort S. 33 bis 36). Die Sammlungen fanden dabei insbesondere in den Räumlichkeiten einer Moschee statt (...-Moschee, vgl. BayVGH, U. v. 25.9.2013 - 10 B 10.1999 - Rn. 37 ff.; bereits ab Rn. 33 auch zur Rolle des Klägers innerhalb der ... generell; siehe dazu ebenfalls BayVGH, B. v. 12.10.2009 - 10 CS 09.817 - juris, Rn. 28, 35, 47).

In Ermangelung besonderer Rechtsgrundlagen, die den begleitenden Beamten das Betreten und Verweilen auf dem Gelände und im Gebäude des ... Moschee aus Anlass der Sicherheitsbegleitung eines Dritten auch gegen den Willen des Trägers des Hausrechts gestatten, kann eine solche Überwachung allerdings nur mit dessen Zustimmung stattfinden. Nachdem eine solche Einwilligung nach wie vor nicht vorliegt, scheidet schon aus diesem Grund eine unmittelbare Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Verlassenserlaubnis aus. [...]

2. Dem Kläger steht allerdings nach § 12 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neuverbescheidung zu. Bei aktueller Würdigung der Sach- und Rechtslage gelangt die Kammer nunmehr zu der Einschätzung, dass strikte Nebenbestimmungen einer Verlassenserlaubnis durchaus sowohl der verfassungsrechtlich geschützten Religionsausübungsfreiheit des Klägers als auch dem berechtigten Interesse des Staates sowie potenzieller Opfer am Schutz der o.g. ebenfalls Verfassungsrang besitzenden Rechtsgüter im jeweils gebotenen Maße Rechnung tragen können. Mithin wird bei der behördlich zu treffenden neuen Ermessensentscheidung der Religionsausübungsfreiheit des Klägers im Ergebnis ein maßgeblich höheres Gewicht als bislang angenommen beizumessen sein.

2.1 Folgende Nebenbestimmungen erscheinen der Kammer zur Gewährleistung praktischer Konkordanz geeignet, erforderlich und verhältnismäßig:

- Besuch des Freitagsgebetes nur einmal pro Monat bei Auswahl des konkreten Termins durch die zuständige Behörde und erst kurzfristiger Mitteilung des maßgeblichen Tages an den Kläger;

- Spezifizierte Vorgaben bezüglich der zu wählenden Wegstrecke für die An- und Abreise;

- Verbot des Betretens des Moscheegeländes und -räumlichkeiten ohne Begleitung der ihm zur Überwachung zugewiesenen, ggf. auch uniformierten Beamten;

- Zuweisung des konkreten Gebetsplatzes für den Kläger innerhalb der Moschee durch die überwachenden Beamten, wobei dieser von übrigen Gebetsteilnehmern räumlich abgesetzt sein kann;

- Beschränkung der Verweildauer auf das Freitagsgebet als solches (ohne etwaige Vor- oder Nachtreffen der Gebetsteilnehmer);

- Verbot der Kommunikation mit Dritten auf dem Gelände und in den Räumlichkeiten der Moschee, insbesondere auch Verbot des öffentlichen Auftretens während des Aufenthaltes in der Moschee (insbesondere Predigtverbot) sowie der Übernahme von Ämtern innerhalb der Moscheegemeinde wie etwa Imam, stellvertretender Imam, Vorbeter o.ä.;

- Verbot des unbegleiteten Bewegens auf dem Gelände und in den Räumlichkeiten der Moschee;

- Vorbehaltlose schriftliche Zustimmung des Trägers des Hausrechts für die ... Moschee bezüglich des gemeinsamen, u. U. auch für Dritte sicht- und wahrnehmbaren Aufenthalts ggf. uniformierter Beamter mit dem Kläger während des jeweils maßgeblichen Freitagsgebets (ggf. ohne Mitbeten der Beamten).

Der Katalog etwaiger Nebenbestimmungen ist nicht abschließend. Vielmehr kann der Beklagte ggf. ergänzende zusätzliche Regelungen zur weiteren Ausgestaltung vorsehen.

Zur Bestimmung der Besuchsfrequenz merkt die Kammer an, dass dabei auch nach dem BayVGH der behördliche Aufwand angemessen berücksichtigt kann (BayVGH, B.v. 25.8.2015 a.a.O.). Allerdings können dem klägerischen Ansinnen rein fiskalische Erwägungen nicht dem Grunde nach entgegengehalten werden (BayVGH, B.v. 19.10.2009 - 10 C 09.961 - juris Rn. 11 unter Verweis auf B.v. 15.6.2005 - 24 CE 05.1528 - juris Rn. 31; siehe auch B v. 29.1.2008 - 19 ZB 07.2125 - juris Rn. 32-36). Der zur Überwachung erforderliche Personalbedarf kann aber Beschränkungen der Besuchshäufigkeit rechtfertigen. Dabei teilt die Kammer - anders als wohl der BayVGH - weiterhin die Einschätzung des Beklagten, dass zumindest ein sprachkundiger Behördenvertreter zur Sicherheitsbegleitung gehören sollte. Dies mag mit dem BayVGH wohl nicht wegen des Inhalts der Freitagspredigt gelten. Allerdings müssen die Beamten vor Ort in der Lage sein, beispielsweise einseitig an den Kläger gerichtete Kommunikation Dritter verstehen und einordnen zu können, um diese bewerten und hieraus ggf. eine Gefahreneinschätzung ableiten zu können. Die Überwachungsaufgabe in der Moschee kann nur dann sinnvoll erfüllt werden, wenn die anwesenden Beamten die Situation vor Ort auch sprachlich hinreichend erfassen können.

Die deutliche Herabsetzung der Besuchsfrequenz findet zudem ihre Rechtfertigung im Lichte der den anderen Glaubenden ohne vergleichbaren strafrechtlichen Hintergrund ebenfalls zustehenden Religionsausübungsfreiheit. Damit verbleibt für die anderen Glaubenden genügend Raum für die Teilnahme am Freitagsgebet ohne bei Anwesenheit des Klägers faktische staatliche "Aufsicht". [...]