VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Beschluss vom 03.02.2016 - RN 7 E 16.30119 (= ASYLMAGAZIN 3/2016, S. 81 f.) - asyl.net: M23586
https://www.asyl.net/rsdb/M23586
Leitsatz:

Für einen Asylsuchenden besteht ein Anspruch auf Einräumung einer Gelegenheit zur Stellung des förmlichen Asylantrags.

Schlagwörter: Aufenthaltsgestattung, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylantrag, Asylgesuch, Umsetzungsfrist, Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender, förmlicher Asylantrag, effektiver Rechtsschutz, Registrierung,
Normen: GG Art. 19, RL 2013/32/EU Art. 6, AsylG § 14, AsylG § 23,
Auszüge:

[…]

Der hier geltend gemachte Anspruch wäre mit einer Leistungsklage zu verfolgen. Die begehrte Entscheidung im Wege einer einstweiligen Anordnung stellt eine Vorwegnahme der Hauptsache dar. Eine solche kommt unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) ausnahmsweise dann in Betracht, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen eines Antragstellers in der Hauptsache besteht und das Nichtergehen der einstweiligen Anordnung für den Antragsteller überdies mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage, § 123 Rdnr. 14). Hier sind diese Voraussetzungen gegeben.

Es besteht unzweifelhaft der geltend gemachte Anspruch auf Einräumung einer Gelegenheit zur Stellung des förmlichen Asylantrags. Es kann dabei dahinstehen, ob die bisher erfolgte Registrierung der Antragstellerin bei deutschen Behörden die Anforderungen des wegen Ablaufs der Umsetzungsfrist unmittelbar geltenden Art. 6 RL 2013/32/EU erfüllt (a.A. VG Wiesbaden, B. v. 5.8.2015 Az. 6 L 982/15.WI.A). Jedenfalls ergibt sich ein Anspruch der Antragstellerin aus deutschem Recht. Nach § 14 AsylG ist der Asylantrag bei der Außenstelle des Bundesamts zu stellen, in § 23 AsylG ist vorgesehen, dass dem Ausländer hierfür ein Termin benannt wird. Diese Vorschrift ist auf den im Gesetz nicht vorgesehenen Fall, dass ein Ausländer noch vor einer Asylantragstellung nach § 50 AsylG verteilt wird, entsprechend anwendbar. Es entspricht auch der ständigen Praxis, dass für die Asylantragstellung Termine vergeben werden. Es ist der Berichterstatterin aus anderen Verfahren bekannt, dass von der früher üblichen Praxis der Terminsvergabe bei der Meldung als Asylsuchender jedenfalls ab dem Jahr 2015 wegen der stark gestiegenen Zugangszahlen häufig abgewichen wurde. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass dies auch bei ihr der Fall war. Entgegen der Auffassung der Antragstellerseite entspräche dem grundsätzlichen Charakter eines Verfahrens nach § 123 VwGO, dass ein Anordnungsanspruch von der Antragstellerseite glaubhaft zu machen ist und nicht die Antragsgegnerin Nachweispflichten hat. Selbst wenn man mangels Glaubhaftmachung aber zu Lasten der Antragstellerin unterstellt, dass ihr ein oder auch mehrere Termine genannt worden sind und sie sie nicht wahrgenommen hat – sei es nun schuldhaft oder wegen ihrer Erkrankung - hat das aber nicht zur Folge, dass der Anspruch auf Stellung eines Asylantrags deshalb erlischt. Nach dem AsylG kann die Verletzung von Mitwirkungspflichten nur zur Ablehnung des Asylantrags führen, nicht dagegen dazu, dass die Annahme eines solchen verweigert wird. Die Antragstellerin hat mit den im gerichtlichen Verfahren in Kopie vorgelegten Schreiben vom 8.12.2015 und 29.12.2015 hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie weiterhin Interesse an der Stellung eines Asylantrags hat. Sie ist daher zur Asylantragstellung zu laden.

Es ist auch ein Anordnungsgrund einschließlich der Voraussetzungen für die Vorwegnahme der Hauptsache (noch) hinreichend glaubhaft gemacht worden. Im Schreiben des Bevollmächtigten vom 2.2.2016 werden zwar nur die theoretisch bestehenden Nachteile einer fehlenden Aufenthaltsgestattung aufgezählt, nicht dagegen dargelegt, dass die Antragstellerin von diesen persönlich auch tatsächlich betroffen ist. Dies drängt sich auch nicht auf. Soweit die Reisefreiheit angeführt wird, trägt die Antragstellerseite selbst vor, dass die günstigere Regelung auch bei geduldetem Aufenthalt eintritt. Nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde wurden der Antragstellerin seit November 2014 Duldungen erteilt. Hinsichtlich der Teilnahme an einem Integrationskurs hat die Antragstellerin in ihrem Schreiben an das Bundesamt vom 8.12.2015 selbst vorgetragen, dass eine solche wegen der Lage der Unterkunft ohnehin nicht möglich ist. Dass die Antragstellerin einen Zugang zum Arbeitsmarkt anstrebt, ist im Hinblick auf die beschriebenen häufigen Dialysetermine wenig wahrscheinlich. Im Übrigen ist in Bayern durch Weisung des Innenministeriums geregelt, dass viele der genannten Nachteile nicht eintreten, weil trotz § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG (keine gesetzliche Aufenthaltsgestattung bei Einreise aus sicherem Drittstaat} bei der Berechnung von Fristen auf die Ausstellung der BüMA abgestellt wird (vgl. IMS v. 24.11.2015 Az. IA2-2081.3-14).

Dennoch ist nach den Umständen des Einzelfalls, wie sie sich aus der Gesamtheit der vorgelegten Unterlagen ergeben, davon auszugehen, dass der Antragstellerin ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist. Obwohl ein entsprechender Nachweis nicht vorgelegt wurde, ergibt sich aus den vorgelegten Schreiben, dass die Antragstellerin schwer krank ist. Trotz des unklaren Aufenthaltsstatus ist sie zwar offenbar in ständiger medizinischer Behandlung. Es drängt sich aber auf, dass die fehlende Aufenthaltsgestattung insoweit zu erheblichen Problemen führen muss. Die Erkrankung macht auch offensichtlich die Verbesserung der Kontaktmöglichkeiten zur in Gießen lebenden Tochter erforderlich. Die Antragstellerin hat daher ein individuell gesteigertes Interesse daran, dass ihr Asylgesuch zügig bearbeitet wird und ihr Gelegenheit zur Stellung eines formellen Asylantrags gegeben wird. Zugleich ist der extrem lange Zeitraum von 17 Monaten in Deutschland zu berücksichtigen und die Tatsache, dass die Antragstellerin auf ihre Schreiben vom Bundesamt keine Antwort erhalten hat. Offenbar geht es nicht nur um eine Wartezeit wegen der sehr hohen Zugangszahlen, sondern beim Bundesamt wird die Existenz der Antragstellerin nicht zur Kenntnis genommen. […]