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VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 17.02.2016 - 6 K 4063/15.A - asyl.net: M23626
https://www.asyl.net/rsdb/M23626
Leitsatz:

1. Es ist grundsätzlich Sache des Asylantragstellers, seine Staatsangehörigkeit in Bezug auf den behaupteten Verfolgerstaat glaubhaft zu machen.

2. Ein im heutigen Staat Eritrea vor dessen Unabhängigkeit geborener äthiopischer Staatsangehöriger besitzt nicht allein deshalb die eritreische Staatsangehörigkeit, weil ein Elternteil aus dem heutigen Eritrea "stammt", insbesondere dann, wenn der andere Elternteil "äthiopischstämmig" ist oder war.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Äthiopien, Eritrea, Staatsangehörigkeit, Glaubhaftmachung, Abstammung, Verfolgerstaat,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

2.1.1.2 Selbst wenn man die zuletzt gemachten Angaben des Klägers zu Geburtsort und Aufenthaltsorten als wahr unterstellte, wäre auch auf dieser Grundlage nicht die Annahme gerechtfertigt, er sei kein äthiopischer Staatsangehöriger.

Art. 11 lit. a) des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1930 sah den Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit vor. Im Zusammenhang mit der Anwendung des Gesetzes zogen äthiopische Stellen jedoch neben dem Gesetzestext eine Reihe von voluntativen Elementen heran. Diese waren in ihrer Zusammensetzung und Interpretation nicht einheitlich festgelegt oder normiert (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 - 6 K 7333/12.A -, juris, Rn. 39 f. m.w.N.). Nach dem eritreischen Unabhängigkeitsreferendum vom 24. Mai 1993 wurden in Äthiopien aufhältige Personen eritreischer Abstammung, wenn sie nicht an dem Referendum teilgenommen hatten und wenn sie nicht den eritreischen Staat finanziell oder sonst unterstützt hatten, durch den äthiopischen Staat weiterhin als äthiopische Staatsangehörige angesehen, einschließlich der Personen, die Inhaber eritreischer ID-Karten waren und damit Doppelstaatler wurden. Soweit der äthiopische Staat ab 1998 im Zuge der gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Eritrea und der Deportation eritreischstämmiger Personen dorthin davon ausging, Personen mit eritreischer Abstammung hätten ihre äthiopische Staatsbürgerschaft aufgegeben, betraf dies in der Regel diejenigen Personen, die eine eritreische ID-Karte zur Teilnahme am Unabhängigkeitsreferendum im Jahre 1993 erworben hatten (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom Urteil vom 23. Mai 2013 - 6 K 7333/12.A -, juris, Rn. 41 f. m.w.N.; VG Saarland, Urteil vom 6. März 2015 - 3 K 344/14 -, juris, Rn. 26). [...]

Auch auf der Grundlage des im Dezember 2003 in Kraft getretenen Gesetzes über die Staatsbürgerschaft - "Ethiopian Nationality Law Proclamation No. 378/2003" (abgedruckt in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: September 2007 "Äthiopien") - ist nicht von dem Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit auszugehen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen von Art. 20 Abs. 3 der Proklamation Nr. 378/2003 nicht vor. Danach soll ein Äthiopier, der ohne eigenes Zutun mittels eines Gesetzes eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt, behandelt werden, als habe er freiwillig seine äthiopische Staatsangehörigkeit aufgegeben, wenn er entweder anfängt, die Rechte aus dieser Staatsangehörigkeit auszuüben, oder es unterlässt, innerhalb eines Jahres seine Entscheidung zu erklären, dass er die äthiopische Staatsangehörigkeit behalte. Der Kläger hat aber eine andere Staatsangehörigkeit nicht ausgeübt; er hat sich eigenem Vorbringen zufolge noch nicht einmal - und sei es aufgrund Deportation - nach dem Fortgang als Kind erneut in Eritrea aufgehalten und auch - mit Blick auf die vorgelegte Totalfälschung - nicht glaubhaft gemacht, dass er eritreische Ausweispapiere beantragt hatte. Äthiopische Staatsbürger eritreischer Herkunft, die nach Auffassung der äthiopischen Behörden die ihnen zuerkannte eritreische Staatsangehörigkeit nicht ausgeübt hatten, sind weiterhin äthiopische Staatsbürger. Überdies bestimmt Art. 26 der Proklamation Nr. 378/2003, dass weiterhin äthiopischer Staatsangehöriger bleibt, wer - wie offenbar der Kläger - bis zum Inkrafttreten des Gesetzes gemäß dem bisherigen Staatsangehörigkeitsgesetz die äthiopische Staatsangehörigkeit innehatte (vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 10. Oktober 2014 - 12 K 2384/13.A -, juris). Dass der Kläger nach dem Inkrafttreten der Proklamation am 23. Dezember 2003 einen Verlusttatbestand erfüllt hat, ist nicht ersichtlich. [...]