VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 19.04.2016 - 5 K 6305/15 - asyl.net: M23801
https://www.asyl.net/rsdb/M23801
Leitsatz:

Bei der Auslegung einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG und Ermittlung ihrer durch den Begriff "Aufenthaltstitel zu einem anderen Aufenthaltszweck" gezogenen Grenzen sind nicht die einzelnen aufenthaltsrechtlichen Vorschriften, sondern der der Erklärung zugrundeliegende Lebenssachverhalt in einem weit gefassten Sinne in den Blick zu nehmen.

Grundlage der Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 und § 25 Abs. 2 AufenthG bleiben vorliegend die Bürgerkriegsverhältnisse in Syrien, daher liegt kein Zweckwechsel vor.

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, Landesaufnahmeprogramm, Flüchtlingsanerkennung, Schriftform, Widerruf, Kündigung, Anfechtung, Umfang und Dauer der Haftung, Haftung, Dauer, Umfang, Bindungswirkung, Sozialleistungen, Lebensunterhalt, Lebenshaltungskosten, Aufnahmeanordnung, Aufenthaltszweck, Wechsel des Aufenthaltszwecks, Zweckwechsel, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Syrien,
Normen: BGB § 138, BGB § 119, BGB § 157, AufenthG § 23 Abs. 1, AufenthG § 68, AufenthG § 23 Abs. 2, AufenthG § 25 Abs. 2, AufenthG § 25 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Hier sind die vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärungen wirksam zustande gekommen.

Der Kläger hat die Verpflichtungserklärung auf dem bundesweit verwendeten Formular mit der Artikel Nr. 10150 der Bundesdruckerei abgegeben und eigenhändig unterschrieben. Die Verpflichtungserklärung entspricht damit der Schriftform § 138 BGB. Sie ist mit dem Zugang bei der zuständigen Ausländerbehörde am Wohnort des Klägers wirksam geworden.

Dass die Erklärung unter Ausnutzung einer Zwangslage des Klägers zustande gekommen wäre, was zu ihrer Nichtigkeit nach § 138 BGB führen könnte, oder der Kläger sich - soweit dies überhaupt als rechtlich möglich angesehen wird - durch einseitige Erklärung im Wege des Widerrufs, der Kündigung oder der Anfechtung analog § 119 ff. BGB von der Verpflichtungserklärung wirksam gelöst hätte, wird vom Kläger nicht geltend gemacht und ist vor dem Hintergrund der insoweit zu beachtenden rechtlichen Maßstäbe (vgl. zur damaligen Aufnahmeregelung für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina: BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 a.a.O.) nicht ersichtlich. In dem vom Kläger unterschriebenen Formular der Verpflichtungserklärung ist festgehalten, dass der Kläger von der Ausländerbehörde auf den Umfang und die Dauer der Haftung und über die Bindungswirkung der Verpflichtung hingewiesen wurde. Der Kläger hat diesbezüglich auch eine Zusatzerklärung unterschrieben und wurde damit auch ausreichend über die Risiken der von ihm abgegebenen Erklärung belehrt.

Die vom Kläger eingegangene Verpflichtung zur Übernahme der Lebenshaltungskosten der-syrischen Flüchtlinge erfasst die hier streitigen Leistungen und insbesondere auch den hier maßgeblichen Leistungszeitraum.

Inhalt und Reichweite einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG sind im Wege der Auslegung anhand objektiver Umstände in entsprechender Anwendung von § 133 und 157 BGB konkret zu bestimmen (BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 a.a.O.). [...]

Die vor diesem Hintergrund übernommene Verpflichtung des Klägers, die Kosten des Lebensunterhalts seiner im Wege des Aufnahmeverfahrens eingereisten Familienangehörigen zu tragen, ist hier nicht deswegen entfallen, weil diese nicht mehr im Besitz einer auf der Grundlage der Aufnahmeanordnung erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG sind, sondern Sozialleistungen erst in Anspruch nehmen, seitdem ihnen im Zuge der Anerkennung als Asylberechtigte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG erteilt worden ist. Nach Auffassung der Kammer stellt die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG im gegebenen Zusammenhang kein Aufenthaltstitel zu einem anderen Aufenthaltszweck im Sinne der Verpflichtungserklärung nach dem einschlägigen Formular der Bundesdruckerei Artikel Nr. 10150 dar.

Dabei stellt die Kammer in Rechnung, dass vorliegend durchaus gesetzessystematische Überlegungen für einen Zweckwechsel und damit gegen den Fortbestand der Verpflichtung sprechen könnten.

Nach dem in den §§ 7 und 8 AufenthG verankerten Trennungsprinzip wird ein Aufenthaltstitel jeweils für einen bestimmten Aufenthaltszweck erteilt, an den das Gesetz jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen - etwa hinsichtlich der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder der Verfestigung des Aufenthalts oder der Erforderlichkeit des Sicherung des Lebensunterhalts usw. - knüpft. Die einzelnen Rechtsgrundlagen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat der Gesetzgeber danach jeweils für spezifische, von Ausländern verfolgte Aufenthaltszwecke geschaffen. Die unterschiedlichen Anspruchs- bzw. Ermächtigungsgrundlagen zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen beziehen sich damit auf spezifische, jeweils eigenständige Regelungsgegenstände. Jeder Rechtsgrundlage zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist nach dem Konzept des Aufenthaltsgesetzes mit anderen Worten ein bestimmter Aufenthaltszweck zugeordnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2013 - 1 C 12.12 - (juris); Urteil vom 9. Juni 2009 -1 C 11.08 BVerwGE 134, 124).

Mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage wird im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes mithin zugleich neuer Aufenthaltszweck begründet, der den bisherigen Aufenthaltszweck entweder ersetzt oder neben ihn tritt.

Unter diesem Blickwinkel liegt bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG an Stelle einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG schon wegen im Detail grundlegend anderer Erteilungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen ein Zweckwechsel vor. Diese Sichtweise wird vorliegend noch dadurch unterstützt, dass - nach der Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG eine nach § 23 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis sogar bereits mit Stellung eines Asylantrages erlischt, was die rechtliche Zäsur zwischen Kontingentaufnahme und Asylbegehren noch zusätzlich verdeutlicht (aufgrund der "fachsprachlichen Bedeutung" einen Zweckwechsel danach bejahend: VG Minden, Urteil vom 30. März 2016 - 7K 2137/15 - (veröffentlicht in NRWE)).

Eine derartige, vor allem an der Gesetzessystematik des Aufenthaltsgesetzes orientierte Auslegung des Begriffs "Aufenthaltszweck" wird aus Sicht des erkennenden Gerichts indessen dem gewollten Erklärungsinhalt der Verpflichtungserklärung nicht gerecht.

So ist im vom Kläger unterzeichneten Formular der Verpflichtungserklärung eine bestimmte Ermächtigungsgrundlage nach dem Aufenthaltsgesetz, auf deren spezifische Zwecksetzung sich die Verpflichtungserklärung beziehen soll, weder ausdrücklich genannt noch ist der Eintrag einer solchen konkreten Vorschrift im Formular überhaupt vorgesehen. Die Einschränkung, dass die Verpflichtungserklärung nur für die Dauer des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1. AufenthG gelten soll, erschließt sich aus ihrem Wortlaut auch sonst nicht. Die im Formular enthaltene: Bemerkung "Aufnahme syrische Flüchtlinge" rechtfertigt aus sich heraus eine dahingehende Beschränkung nicht. Die mit der Erklärung übernommene Verpflichtung soll auch nicht - wie es unter den dargestellten gesetzessystematischen Gesichtspunkten nahe läge - unterschiedslos bei Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels entfallen, sondern nur bei "Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck". [...]

Eine Bindung der Verpflichtungserklärung an konkrete aufenthaltsrechtliche Erteilungsvorschriften hat das Bundesverwaltungsgericht damit ausdrücklich verneint und bei der Frage nach der Reichweite der Verpflichtungserklärung stattdessen auf einen aus den tatsächlichen Umständen abzuleitenden Aufenthaltszweck abgestellt.

Wird diese auf der Grundlage des Ausländergesetzes 1990 zu § 84 AuslG ergangene Rechtsprechung auf die gleichlautende Vorschrift des § 68 AufenthG übertragen, ist bei Auslegung der Verpflichtungserklärung und Ermittlung ihrer durch den Begriff Aufenthaltstitel zu einem anderen Aufenthaltszweck gezogenen Grenzen dementsprechend nicht die einzelne aufenthaltsrechtliche Vorschrift, sondern der der Erklärung ist zugrunde liegende Lebenssachverhalt in einem weit gefassten Sinne in den Blick zu nehmen. Hierfür spricht auch, dass der Verpflichtungsgeber mit den aufenthaltsrechtlichen Detailfragen des geplanten Aufenthalts nicht notwendigerweise vertraut sein muss und ihm deshalb eine Erklärung, die letztlich eine juristische Durchdringung des im Aufenthaltsgesetz nunmehr verwirklichten Trennungsprinzips erforderte, nicht unterlegt werden kann. [...]

Grundlage und Zweck der Verpflichtungserklärung war es, die vom Bürgerkrieg betroffenen syrischen Staatsangehörigen aus teils beklagenswerten humanitären Verhältnissen herauszuholen und ihnen Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Ob den auf diesem Wege eingereisten syrischen Staatsangehörigen Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 oder § 25 Abs. 2 AufenthG werden, hängt von den unterschiedlichen rechtlichen Wegen ab, den die aufgenommenen Flüchtlinge im Weiteren beschreiten. Grundlage beider Aufenthaltserlaubnisse bleiben dabei aber die Bürgerkriegsverhältnisse in Syrien, ohne deren humanitäre Folgen weder die Aufnahmeanordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG erlassen worden, noch die Asylanerkennung der betroffenen syrischen Staatsangehörigen und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG erfolgt wäre. Der Zweck, ihnen Schutz vor den bürgerkriegsbedingten Verhältnissen in Syrien und den Anrainerstaaten zu gewähren, ist mangels abweichender Anhaltspunkte auch weiter alleiniger sachlicher Grund für den Aufenthalt der betroffenen syrischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet.

Diesem Auslegungsergebnis kann nicht entgegengehalten werden, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG nicht mehr von der Lebensunterhaltssicherung abhängt, da insoweit allein der Inhalt der Verpflichtungserklärung maßgeblich ist. [...]