OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 02.02.2016 - 3 B 267/15 - asyl.net: M23815
https://www.asyl.net/rsdb/M23815
Leitsatz:

1. Eine gelegentliche Aushilfstätigkeit mit Nettomonatsverdienst von 30-40 Euro ist nicht geeignet die unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu begründen. (Zitiert: EuGH Urteil vom 04.02.2010 - Genc, C-14/09 - asyl.net: M16603)

2. Um nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt zu sein, müssen Arbeitssuchende eine begründete Aussicht auf Einstellung nachweisen. (Zitiert: EuGH Urteil vom 23.03.2004 - Collins, C-138/02 - asyl.net: M5795)

3. Personen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, gehören nicht zum Kreis der Freizügigkeitsberechtigten "nicht erwerbstätigen Unionsbürger" i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU. (Zitiert: OVG Sachsen Beschluss vom 07.08.2014 - 3 B 507/13 - asyl.net: M22409)

Schlagwörter: Arbeitnehmerbegriff, Arbeitnehmer, geringfügige Beschäftigung, Unionsbürger, Arbeitsverhältnis, FreizügigkeitsG/EU, freizügigkeitsberechtigt, Verlust des Freizügigkeitsrechts, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, nicht erwerbstätige Unionsbürger, Aushilfstätigkeit, Minijob, arbeitsuchend, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, nicht erwerbstätig,
Normen: FreizügG/EU § 5 Abs. 4, FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1 Bst. a, FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 5, FreizügG/EU § 4 S. 1,
Auszüge:

[...]

Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU. [...] Der Antragsteller italienischer Staatsangehörigkeit ist weder als Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU), als Arbeitssuchender (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 a FreizügG/EU) noch als nicht erwerbstätiger Unionsbürger (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 4 FreizügG/EU) gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt.

1. Der Antragsteller ist nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, da er sich weder als Arbeitnehmer noch zur Berufsausbildung im Bundesgebiet aufhalten will. [...]

[...] die vom Antragsteller geltend gemachten Arbeitsverhältnisse [sind] nicht geeignet, ihn unionsrechtlich als Arbeitnehmer zu behandeln. Hier kann dahinstehen, ob die vom Antragsteller bis Juli 2013 ausgeübte "Vollzeitbeschäftigung", da sie als "Schwarzarbeit" geleistet wurde, überhaupt berücksichtigungsfähig gewesen wäre. Jedenfalls aber lassen die seit Juli 2013 lediglich als Minijob ausgeübten Tätigkeiten den Antragsteller nicht mehr als Arbeitnehmer erscheinen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids ausgeführt, dass diese Tätigkeiten hinsichtlich Umfang und Verdienst als völlig untergeordnet zu betrachten sind. Der Antragsteller ging keiner regelmäßigen Arbeit nach. Vielmehr handelte es sich um bloße Aushilfstätigkeiten, die er nur bei Bedarf leistete. Sein Nettoverdienst betrug im Oktober und November 2014 lediglich 30 € bzw.40 € auf den gesamten Monat gerechnet. [...]

Auch das ab 1. April 2016 vereinbarte Arbeitsverhältnis rechtfertigt keine andere Beurteilung. [...] Mit zwei Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 26. und 27. Januar 2016 hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren zwei unterschiedliche Fassungen eines neuen Arbeitsvertrags über Aushilfstätigkeiten in der Gaststätte B. vorgelegt. [...] Es ist angesichts der widersprüchlichen Fassungen bereits zweifelhaft, ob überhaupt ein wirksamer Arbeitsvertrag vorliegt. Maßgeblich dürfte, wenn überhaupt, die erste Fassung sein, mit welcher die Arbeitgeberin ihren sozialversicherungsrechtlichen Obliegenheiten nachkommt. Danach wird der Antragsteller weiterhin nur in geringem Umfang und nur bei Bedarf für die Gaststätte tätig sein. Da nach dieser Fassung keine Mindestarbeitszeit vereinbart wurde, ist es sogar möglich, dass der Antragsteller letztlich gar keine Tätigkeit in der Gaststätte ausüben wird.

Der Antragsteller ist auch nicht als Arbeitssuchender freizügigkeitsberechtigt. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 a FreizügG/EU sind Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. [...]

Zwar hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgetragen, er habe sich bereits 2013 arbeitssuchend gemeldet. Der Antragsteller hat jedoch - auch unter Berücksichtigung seines Beschwerdevorbringens - bislang keine Tatsachen benannt, die objektiv eine begründete Aussicht vermitteln könnten, in naher Zukunft eingestellt zu werden. Zwar ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Chancen des Antragstellers auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes nach erfolgreichem Abschluss seines berufsbezogenen Deutschkurses erhöhen werden. Eine begründete Aussicht auf eine Einstellung vermittelt der Abschluss jedoch nicht. [...]

Der Antragsteller ist auch nicht als nicht erwerbstätiger Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU sind nicht erwerbstätige Unionsbürger nur unter den Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt. Nach § 4 Satz 1 FreizügG/EU steht nicht erwerbstätigen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU zu, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. [...]

Als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II gehört der Antragsteller nicht zum Kreis der Freizügigkeitsberechtigten nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU. Die Grundsicherung für Arbeitssuchende i.S.v. § 1 SGB II gehört zwar nicht zu den Sozialhilfeleistungen, die im SGB XII geregelt sind. Nach § 1 Abs. 2 SGB II soll die Grundsicherung für Arbeitsuchende jedoch die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Der Bezug dieser Leistung ist daher ein gewichtiges Indiz dafür, dass der Betroffene nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (Dienelt a.a.O. § 4 Rn. 41). [...]