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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 14.01.2016 - V ZB 178/14 (ASYLMAGAZIN 4/2017, S. 172) - asyl.net: M23828
https://www.asyl.net/rsdb/M23828
Leitsatz:

Feststellung der Rechtswidrigkeit der AG und LG Beschlüsse:

1. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG liegt nicht vor, wenn die betroffene Person nicht deutlich auf die Meldepflicht für Ausreisepflichtige und die Folgen bei Verletzung hingewiesen wurde. Dieser Hinweis muss in eine Sprache übersetzt werden, die von der betroffenen Person beherrscht wird.

2. Bei fehlendem Hinweis auf die Meldepflicht, hat die betroffene Person nicht zu vertreten, dass sie die Ankündigung der Abschiebung nicht erhält und zum Abschiebungstermin nicht angetroffen wird. Daher liegt kein Haftgrund nach § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AufenthG vor.

Schlagwörter: Rücküberstellung, Sicherungshaft, Hinweispflicht, Anzeigepflicht, Aufenthaltswechsel, Haftgründe, Hinweise, Belehrung, Übersetzung, Sprache,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, AufenthG § 50 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

1. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG lag nicht vor. [...]

Der nicht angezeigte Aufenthaltswechsel begründet in diesem Fall die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird. Deshalb muss die Ausländerbehörde dem Betroffenen in der Regel die Meldepflicht und die einschneidenden Folgen ihrer Verletzung durch einen Hinweis deutlich vor Augen führen (Senat, Beschlüsse vom 9. Februar 2011 - V ZB 16/11, juris Rn. 5, vom 19. Mai 2011 - V ZB 36/11, FGPrax 2011, 254 Rn. 10 und vom 19. Juni 2013 - V ZB 96/12, juris Rn. 18). [...]

Ihm ist bei seiner Aufnahme ein Papier ausgehändigt worden, in dem in deutscher Sprache klar und deutlich auf die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG und die Folgen ihrer Verletzung hingewiesen wird. Dieser Hinweis war aber unzureichend.

bb) Das ergibt sich daraus, dass er nur auf Deutsch erteilt und nicht in eine Sprache übersetzt worden war, die der Betroffene beherrscht. Ohne eine Übersetzung läuft der Hinweis bei Ausländern, die wie der Betroffene des Deutschen nicht mächtig sind, ins Leere, weil sie ihn nicht verstehen. Diese Ausländer können entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch nicht darauf verwiesen werden, sich den auf Deutsch erteilten Hinweis übersetzen zu lassen. Sie würden ohne eine Übersetzung schon nicht erfassen, welche Bedeutung das ihnen ausgehändigte Schriftstück für sie hat. Vor allem folgt die Pflicht zur Erteilung des Hinweises aus dem Gebot eines fairen Verfahrens. Die beteiligten Behörden müssen ihn deshalb von sich aus so erteilen, dass er seinen Zweck erreichen kann. Dazu gehört bei Betroffenen, die Deutsch nicht verstehen, eine Übersetzung in ihre Muttersprache oder eine andere Sprache, die sie beherrschen, an der es hier fehlte.

cc) Die Notwendigkeit einer Übersetzung entfiel bei dem Betroffenen nicht deshalb, weil er den auf Deutsch erteilten Hinweis auch ohne deutsche Sprachkenntnisse und ohne eine Übersetzung erfasst hat. Das Beschwerdegericht leitet dies daraus ab, dass er bei anderen Gelegenheiten eine Genehmigung für einen Ortswechsel eingeholt habe. Dieser Umstand besagt aber nicht, dass der Betroffene den Hinweis auch in seiner vollen Bedeutung erkannt hat. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts war dem Betroffenen seine Mitteilungspflicht zwar bekannt, weil er vor dem Ortswechsel nach Berlin Reisen nach Stuttgart und Hannover unternommen und diese der Ausländerbehörde vorher mitgeteilt und von ihr habe genehmigen lassen. Ihm sei sein Regelverstoß auch bewusst gewesen, als er sich einmal in Stuttgart unerlaubt aufgehalten habe und von der Polizei aufgegriffen worden sei. Beides besagt aber nichts darüber, ob dem Betroffenen auch klar gewesen ist, dass er bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht nur einen "Regelverstoß" begehen, sondern mit der Anordnung von Sicherungshaft zu rechnen haben würde. Dieses Bewusstsein kann nur bei Erteilung des gebotenen Hinweises mit der erforderlichen Übersetzung erwartet werden.

2. Damit entfällt auch der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.

a) [...] Der Betroffene wurde zwar an dem von der Behörde angekündigten Abschiebungstermin nicht in der Unterkunft angetroffen. Das hat er im Ergebnis aber nicht zu vertreten.

b) Er hatte von dem Abschiebungstermin keine Kenntnis, weil ihn die Ankündigung des Termins durch die Ausländerbehörde nicht erreicht hat. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Berlin auf, was die Behörde aber nicht wusste, weil der Betroffene sie unter Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG nicht über seine Reise nach Berlin und seinen Aufenthaltsort dort unterrichtet hatte. Dass er als Folge dessen zu dem angekündigten Termin nicht an dem angegebenen Ort angetroffen wurde, hat er aber nicht zu vertreten, weil der ihm erteilte Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Einhaltung der Anzeigepflicht und der Möglichkeit einer Verhängung von Sicherungshaft nicht übersetzt worden war. [...]