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VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 28.04.2016 - Au 2 K 16.30369 - asyl.net: M23889
https://www.asyl.net/rsdb/M23889
Leitsatz:

Verneinung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hinblick auf Somalia:

In Somalia sind ärztliche Behandlungsmöglichkeiten im Falle einer Abschiebung bei Vorliegen einer PTBS nicht von vornherein ausgeschlossen.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Somalia, Asylpaket II, psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, fachärztliche Stellungnahme, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, medizinische Versorgung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, AufenthG § 60a Abs. 2c,
Auszüge:

[...]

2. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 VwGO soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach Satz 2 der Vorschrift in der ab 17. März 2016 gültigen Fassung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 4). In den Sätzen 2 bis 4 unternimmt der Gesetzgeber in materieller Hinsicht eine Konkretisierung der Anforderungen insbesondere vor dem Hintergrund der Geltendmachung von Abschiebungshindernissen aus gesundheitlichen Gründen, die im Grunde auf eine bestehende Rechtsprechungslinie aufbaut (Thym, Die Auswirkungen des Asylpakets II, NVwZ 2016, 409). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18) wird davon ausgegangen, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hinderten. Mit dieser Präzisierung werde klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellten. Eine solche schwerwiegende Erkrankung könne hingegen zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden: In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führe zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung. Die Abschiebung dürfe nicht dazu führen, dass sich die schwerwiegende Erkrankung des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeit in einem Ausmaß verschlechtern werde, dass ihm eine individuell konkrete, erhebliche Gefahr an Leib oder Leben drohe. Es werde jedoch im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland bzw. im Zielstaat der Abschiebung der Versorgung in Deutschland oder in der Europäischen Union gleichwertig sei. Dem Ausländer sei es insbesondere zumutbar, sich in einen bestimmten Teil des Zielstaats zu begeben, in dem für ihn eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet sei. Es komme nicht darauf an, dass alle Landesteile des Zielstaats gleichermaßen eine ausreichende Versorgung bieten würden. Inländische Gesundheitsalternativen seien ggf. aufzusuchen.

Im Lichte dieser Neuregelung sind zudem die Vorgaben zu den qualitativen Anforderungen nach § 60a Abs. 2c AufenthG zu sehen. Danach wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Insofern hat der Gesetzgeber ebenfalls im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung (sowie eines entsprechenden Beweisantrages) angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört. [...]

Angesichts dieser Mängel der Validität der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen war die Einholung eines Gutachtens entsprechend dem Beweisantrag vom 7. April 2016 nicht veranlasst. Es wurde nicht substantiiert dargelegt, inwieweit die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse bringen würde als die, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden.

Dessen ungeachtet kommt es auf den unter Beweis gestellten Sachverhalt nicht maßgeblich an, so dass auch aus diesem Grunde dem Beweisantrag nicht nachzukommen war. Denn der Kläger wie auch der ihn behandelnde Arzt gehen davon aus, dass für PTBS in Somalia keine Behandlungsmöglichkeit bestehe. Zwar ist dem Kläger insoweit zuzugeben, dass nach dem Lagebericht vom 1. Dezember 2015 zu Somalia das Auswärtige Amt die medizinische Versorgung im gesamten Land als äußerst mangelhaft einstuft (Ziffer 4.1.3). Die durchschnittliche Lebenserwartung betrage nach den verfügbaren Angaben 45 Jahre für Männer und 47 Jahre für Frauen. Erhebliche Teile der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen. Die öffentlichen Krankenhäuser seien mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung, medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angehe. Zudem behindere die unzureichende Sicherheitslage ihre Arbeit. Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen müssten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen örtlicher (islamistischer) Machthaber unterbrochen werden (vgl. auch VG Augsburg, U. v. 24.4.2015 - Au 2 K 14.30009 - Rn. 22). Jedoch führt das Bundesverwaltungsgericht Österreich in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2014 (W105 1435338-1) auch aus, dass in Mogadischu die (relativ) beste medizinische Versorgung im Medina-Spital angeboten werde. In der Nähe des Medina-Spitals befinde sich das große, aber schlecht unterhaltene Banadiir-Spital. Im Spital der SOS Kinderdörfer befinde sich die einzige Entbindungsstation und gynäkologische Klinik des Landes. Außerdem bestehe ein Spital in Keysane, nördlich des Stadtzentrums. In Afgooye bestehe zudem eine weitere Klinik der SOS Kinderdörfer. Privat geführte Spitäler existierten zudem in Jowhar und Baidoa. Letzteres werde von einer italienischen NGO unterstützt, sei aber in einem katastrophalen Zustand. In den Provinzen Galgaduud und Mudug seien mehrere Spitäler geöffnet, unter anderem in Guri Ceel und Gaalkacyo. Zwischen Januar und August 2012 habe das IKRK u. a. folgende Aktivitäten in Somalia gesetzt: Der Somali Red Crescent Society habe dabei geholfen, eine medizinische Grundversorgung für 700.000 Menschen sicher zu stellen. Über 300.000 Patienten seien behandelt, 48.000 Impfungen ausgegeben worden. In 43 medizinischen Grundversorgungs- und Mutter-Kind-Stationen seien außerdem 45.500 unterernährte Personen behandelt worden. Unterstützung hätten die Spitäler Medina und Keysaney in Mogadischu, wo 6.800 Traumapatienten versorgt worden seien, erfahren (ICRC, Somalia: despite humanitarian efforts, 2012 remains challenging, v. 31.9.2012, im Internet abrufbar). Demnach ist eine medizinische Betreuung von Traumapatienten nicht von vornherein ausgeschlossen (siehe auch Danish Immigration Service, Landinfo, 3/2014, Ziffer 10.1.4). Auch die dem Kläger verschriebenen Medikamente sollen grundsätzlich erhältlich sein (siehe Danish Immigration Service, a.a.O., Annex 5).

Aufgrund der nicht von vornherein ausgeschlossenen ärztlichen Behandlungsmöglichkeit im Falle einer Abschiebung nach Somalia und im Hinblick auf die in der § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG getroffene Präzisierung der Abschiebungshindernisse sind die gesetzlichen Vorgaben für das Bestehen eines Abschiebungshindernisses hier nicht gegeben. Der Kläger hat demnach keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Somalias vorliegen. [...]