VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 15.12.2015 - 11 K 3637/15 - asyl.net: M23898
https://www.asyl.net/rsdb/M23898
Leitsatz:

1. Seit der Einfügung des § 30 StAG (juris: RuStAG) scheidet die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO als zulässige Klageart für das Begehren auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit aus.

2. Ein Klagebegehren, das auf die Verpflichtung der Staatsangehörigkeitsbehörde zum Erlass eines Verwaltungsakts nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG (juris: RuStAG), der die deutsche Staatsangehörigkeit feststellt, gerichtet ist, setzt eine vorherige Antragstellung bei der Behörde voraus.

3. Der Feststellungsbescheid gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StAG (juris: RuStAG) hat nur deklaratorische Wirkung; konstitutiv wirken allein die gesetzlichen Verlusttatbestände.

4. Die seit dem 20.12.2014 geltende Neufassung des § 29 StAG (juris: RuStAG) ist auf Altfälle, in denen der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bereits eingetreten ist, nicht anwendbar.

5. Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Feststellungsbescheid nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StAG (juris: RuStAG) bezieht sich nur auf die Feststellung und ihre Wirkungen. Unberührt bleibt ein kraft Gesetzes bereits eingetretener Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Optionspflicht, Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit, Feststellungsklage, Suspensiveffekt,
Normen: StAG § 29, StAG § 30, VwGO § 43 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Bei Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit hat nach § 30 Abs. 1 StAG die verbindliche Klärung durch einen feststellenden Verwaltungsakt zu erfolgen. Eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO ist gegenüber der Gestaltungs- oder Leistungsklage nachrangig (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Seit der Einfügung des § 30 StAG, der die Staatsangehörigkeitsbehörde zur verbindlichen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit ermächtigt, scheidet deshalb die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO als zulässige Klageart für das Begehren auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2015 - 1 C 17/14 - BVerwGE 151, 245).

Auch bei Umdeutung des Begehrens der Klägerin als Verpflichtungsbegehren, gerichtet auf den Erlass eines Verwaltungsakts nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG, der ihre deutsche Staatsangehörigkeit feststellt, ist die Klage unzulässig.

Ein Klagebegehren, das auf die Verpflichtung einer Behörde zum Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist (§ 42 Abs. 1 VwGO), ist nach der Verwaltungsgerichtsordnung nur zulässig, wenn zuvor bei der Behörde ein Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts gestellt oder abgelehnt oder nicht beschieden worden ist (vgl. §§ 68 Abs. 2, 75 Satz 1 VwGO), und zwar auch dann, wenn der Verwaltungsakt auch ohne Antrag ergehen kann oder gar von Amts wegen erlassen werden muss. Dies folgt auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der gebietet, dass sich zunächst die Verwaltung mit (vermeintlichen) Ansprüchen des Einzelnen befasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.2007 - 6 C 42/06 - BVerwGE 130, 39 und Urt. v. 31.08.1995 - 5 C 11/94 - BVerwGE 99, 158; VGH Mannheim, Beschl. v. 19.04.1999 - 6 S 420/97 - VBlBW 2000, 106; Beschl. v. 19.02.2008 - 13 S 2774/07 - VBlBW 2008, 351; Urt. v. 18.06.2008 - 13 S 2809/07 - VBlBW 2009, 73 und Urt. v. 03.07.2014 - 5 S 2429/12 - juris -). Nur durch einen entsprechenden Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes wird der Behörde Gelegenheit zu einer fundierten Sachentscheidung gegeben.

Ob in der prozessualen Geltendmachung des Verpflichtungsbegehrens gleichzeitig ein neuer Antrag an die Behörde gesehen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.06.1993 - 11 C 16/92 - NVwZ 1995, 75 und Urt. v. 04.08.1993 - 11 C 15/92 - NVwZ 1995, 76), kann das Gericht offen lassen. Denn selbst dann wäre das geltend gemachte Verpflichtungsbegehren unzulässig, weil die Antragstellung bei der Behörde keine bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachholbare Sachurteilsvoraussetzung, sondern eine nicht nachholbare Klagevoraussetzung ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.08.1973 - II C 10.73 - Buchholz 232 § 181 BBG Nr. 6; Urt. v. 24.02.1982 - 6 C 8/77 - BVerwGE 65, 87; Urt. v. 27.06.1986 - 6 C 131/80 - BVerwGE 74, 30 und Beschl. v. 01.12.1993 - 2 B 115/93 - Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 110; VGH Mannheim, Beschl. v. 19.04.1999 - 6 S 420/97 - a.a.O.; Urt. v. 13.04.2000 - 5 S 1136/98 - NVwZ 2001, 101; Beschl. v. 30.05.2000 - A 6 S 281/00 - AuAS 2000, 201; Beschl. v. 28.04.2008 - 11 S 683/08 - VBlBW 2008, 490 und Urt. v. 03.07.2014 - 5 S 2429/12 - juris -; OVG Hamburg, Urt. v. 18.12.2008 - 4 Bf 69/08 - InfAuslR 2009, 189). Auch die Klagebegründung ist nicht geeignet, das Fehlen eines Antrags zu heilen; ebenso wenig ändert es an der Unzulässigkeit der Klage etwas, dass sich die Behörde zur Sache eingelassen hat (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 03.07.2014 - 5 S 2429/12 - juris -). [...]