VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 22.02.2016 - 19 E 6426/15 - asyl.net: M23919
https://www.asyl.net/rsdb/M23919
Leitsatz:

1. Der Begriff des Unterstützens von verfassungsfeindlichen bzw. extremistischen Aktivitäten gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG umfasst die Veröffentlichung von Einträgen und Bildern sowie "Likes" für solche Einträge und Bilder in sozialen Netzwerken im Internet, mit denen Sympathie für Aktivitäten von jihadistisch-salafistischen Terrororganisationen zum Ausdruck gebracht wird.

2. Für die Rücknahme gemäß § 35 Abs. 1 StAG sind grundsätzlich Aktivitäten unbeachtlich, die der Eingebürgerte erst nach Vollzug der Einbürgerung aufnimmt. Etwas anderes kann gelten, wenn sich bei Betrachtung von Aktivitäten vor der Einbürgerung und danach eine gewisse Konstanz zeigt.

3. Leidet der Ausgangsbescheid an einem Ermessensfehler, überwiegt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig das Aussetzungsinteresse. Es ist weder erforderlich, dass das erkennende Gericht der Behörde Gelegenheit zur Ergänzung gemäß § 114 Satz 2 VwGO gibt, noch dass es den vorläufigen Rechtsschutz zeitlich bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheides beschränkt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Rücknahme, Verfassungsfeindliche Bestrebungen, Islamismus, Konvertiten, Ermessen,
Normen: StAG § 10, StAG § 11 Satz 1 Nr. 1, StAG § 35 Abs. 1
Auszüge:

[...]

(1) Bei den Bestrebungen, mit denen sich der Antragsteller beschäftigt haben soll, handelt es sich um verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 lit. c) BVerfSchG solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Der Nachweis, dass eine Organisation derartige Ziele verfolgt, hat als geführt zu gelten, wenn und sobald sie vereinsrechtlich verboten worden ist (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 71). Dies ist mit Blick auf die jihadistisch-salafistische Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) der Fall. Mit Verfügung vom 12. September 2014 hat der Bundesminister des Innern die Betätigung des IS verboten (vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 21.4.2015 – 1 K 14.1546, juris Rn. 36 zur terroristischen Betätigung des IS gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG a.F.). Der IS verfolgt zudem Bestrebungen, die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Derartige Bestrebungen liegen bereits dann vor, wenn eine Organisation zwar nicht im Bundesgebiet Gewalt anwendet, wohl aber im Herkunftsland – wie hier in Syrien und im Irak – gewaltförmig agiert. Zu den auswärtigen Belangen der Bundesrepublik Deutschland gehört das Bestreben, Gewaltanwendung jedenfalls außerhalb von staatlich getragenen bewaffneten Interventionen nach Maßgabe der UN-Charta als Mittel der Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Interessen und Ziele umfassend zu bannen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 30.9.2004 – 10 K 6189/03, juris Rn. 30). Aufgrund der Aufrufe des IS an seine Unterstützer, im westlichen Ausland Anschläge zu begehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 26 f., 32; siehe auch die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, zu denen sich der IS bekannte), verfolgt der IS gleichzeitig Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind.

Der jihadistische Salafismus stellt auch im Übrigen eine Bestrebung dar, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist (vgl. VG Aachen, Urt. v. 19.11.2015 – 5 K 480/14, juris Rn. 72; VG Minden, Urt. v. 27.10.2015 – 8 K 1220/15, juris Rn. 27 ff.). Der Salafismus verfolgt das Ziel, Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als "gottgewollte" Ordnung angesehen und propagiert wird, umzugestalten und befürwortet dabei die Anwendung von Gewalt (entgegen § 4 Abs. 2 lit. f] BVerfSchG: Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft). Für Salafisten ist Allah der einzige Souverän und die Scharia das von ihm offenbarte – und damit einzig legitime – Gesetz (entgegen § 4 Abs. 2 lit. b] BVerfSchG: Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht). Demokratie ist in ihren Augen eine falsche "Religion". Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volk. Die Volkssouveränität als wesentliches Element der Demokratie westlicher Prägung (vgl. § 4 Abs. 2 lit. a] und lit. d] BVerfSchG) ist demnach unvereinbar mit dem religiös argumentierenden Salafismus. Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, Gleichberechtigung, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. zum Vorstehenden Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 40 f.; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2014, S. 137 f.). Auch weitere von dem Antragsteller vermeintlich bei Facebook mit einem "Like" versehene Organisationen verfolgen derartige Bestrebungen: Bei der "al-Nusra-Front" handelt es sich um einen Ableger der Terrororganisation al-Qaida (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 33 f.). Die in Nigeria äußerst brutal agierende Organisation "Boko Haram" legte im März 2015 ihren Treueeid auf den selbsternannten IS-Kalifen Baghdadi ab (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 36). Die Hamburger "Dawa"(= Missionierung)-Gruppen werden ebenso wie die Gruppen "Lies! Hamburg" und "Jesus im Islam" aufgrund ihrer Nähe zur salafistischen Szene vom Hamburger Verfassungsschutz beobachtet (vgl. Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014, S. 43 ff.). [...]

Ausgehend vom obengenannten Zweck der Bestimmung, einer Vorverlagerung des Schutzes der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Schutzgüter, ist eine Unterstützung jede eigene Handlung, die für Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24/08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18; OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64; vgl. auch VGH München, Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01 1805, juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dazu zählt jedes Tätigwerden auch eines Nichtmitglieds, das die innere rganisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer inkriminierten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotential stärkt (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 6.12.2005 – 3 Bf 172/04, juris Rn. 64). Als Unterstützungshandlungen gelten etwa die öffentliche oder nichtöffentliche Befürwortung von Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; Urt. v. 27.5.2003 – 5 B 01.1805, juris Rn. 32; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 96.2). Auf einen beweis- oder messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es dabei nicht an, weil schon die Erhöhung des Gefährdungspotentials dieser Bestrebungen verhindert werden soll (vgl. VG Freiburg, Urt. v. 5.12.2007 – 1 K 1851/06, juris Rn. 20). Die Handlung muss dem Betroffenen nicht subjektiv vorwerfbar sein (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.4.2008 – 5 N 19.06, juris Rn. 9; VGH Mannheim, Urt. v. 10.11.2005 – 12 S 1696/05, juris Rn. 26). Daher ist auch unerheblich, ob die maßgeblichen Handlungen strafrechtlich relevant sind (vgl. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 65). Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.2009 – 5 C 24.08, juris Rn. 16; Urt. v. 22.2.2007 – 5 C 20/05, juris Rn. 18).

Das Vorliegen einer Unterstützungshandlung muss nicht mit dem üblichen Grad der Gewissheit festgestellt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr ein tatsachengestützter hinreichender Verdacht (vgl. VGH München, Urt. v. 5.3.2008 – 5 B 05.1449, juris Rn. 48; GK-StAR, § 11 StAG Rn. 66 f.). Allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch bezeichenbare, konkrete Tatsachen gestützt sind, genügen nicht. Die Annahme darf nicht "aus der Luft" gegriffen bzw. willkürlich sein. Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine entsprechende Annahme rechtfertigen, sind konkrete auf den Einbürgerungsbewerber bezogene Umstände, die von der Einbürgerungsbehörde dargelegt und einer Beweisführung zugänglich gemacht werden müssen.

Für die Rücknahme unbeachtlich sind dabei Aktivitäten, die der Eingebürgerte erst nach Vollzug der Einbürgerung aufnimmt. [...]

(d) Tatsächliche Anhaltspunkte für Unterstützungshandlungen des Antragstellers für verfassungsfeindliche bzw. extremistische Bestrebungen dürften sich aber aus dessen Aktivitäten im Internet ergeben. [...]

Der Unterstützungsbegriff des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dürfte derartige Sympathiewerbung für terroristische Aktivitäten Dritter als öffentliche Befürwortung von verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen umfassen. Diese Art von Sympathiewerbung, bei der der allgemeinen Verurteilung der Gräueltaten des IS das Bild eines gerechtfertigten und notwendigen Kampfes entgegensetzt wird, dürfte sich positiv auf die Aktionsmöglichkeiten des IS auswirken. Durch das Veröffentlichen von entsprechenden Inhalten in sozialen Netzwerken nimmt das radikale Gedankengut an Verbreitung zu. Der Veröffentlichende betätigt sich damit als Teil der Propagandamaschinerie der verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen. Dies dürfte nicht nur für eigene Einträge, sondern auch für "Likes" gelten. Einträge, die mit einem "Like" versehen werden, sind danach auf der Facebook-Seite desjenigen sichtbar, der den Eintrag "geliked" hat. Die Möglichkeit der jihadistisch-salafistischen Bestrebungen, weitere Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen bzw. "Kämpfer" anzuwerben, erhöht sich. Die potentielle Gefährlichkeit des jihadistischen Salafismus wird dadurch gefestigt und ihr Gefährdungspotential gestärkt, denn die Radikalisierung potentieller "Glaubenskrieger" verläuft oftmals über das Internet. [...]

Persönliche Kontakte oder Freundschaften des Betroffenen mit Personen, die sicherheitsgefährdende Aktivitäten entfalten, können tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG bilden. Erforderlich ist aber, dass die Freundschaft gerade auf einer Übereinstimmung der politisch-gesellschaftlichen Anschauungen beruht und der Betroffene mit der Einstellung des Freundes/der Kontaktperson sympathisiert und diese gutheißt (vgl. VG Darmstadt, Urt. v. 17.6.2010 – 5 K 1466/09, juris Rn. 21). Ob dies hier der Fall ist, kann vom Gericht derzeit nicht abschließend bewertet werden, da sich weitergehende Erkenntnisse über die einzelnen Personen nicht in den Stellungnahmen des LfV befinden. Auffällig ist aber, dass es sich bei den Kontakten offenbar – zumindest teilweise – nicht nur um bloße Internetbekanntschaften handelt. Einige der Facebook-Freunde, die vom LfV der jihadistisch-salafistischen Szene zugerechnet werden, gehören auch nach Angaben der Familie des Antragstellers zu seinen besten Freunden (und wohnen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft). [...]

Selbst wenn man diese einzelnen Anhaltspunkte für sich genommen nicht ausreichen ließe, genügt es aber jedenfalls, dass die Gesamtschau aller vorhandenen Anhaltspunkte die Annahme der Unterstützung verfassungsfeindlicher und extremistischer Bestrebungen rechtfertigt (vgl. VG Köln, Urt. v. 13.4.2011 – 10 K 201/10, juris Rn. 32). Insoweit darf im Rahmen einer Gesamtschau auf die sonstigen Einträge, "Likes" und Kontakte des Antragstellers bei Facebook wohl ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung zurückgegriffen werden. Mit dem Verbot der Heranziehung verfassungsfeindlicher und extremistischer Unterstützungshandlungen, die erst nach Vollzug der Einbürgerung vorgenommen werden, soll der Gefahr begegnet werden, dass eine Einbürgerung zurückgenommen wird, obwohl sich der Betroffene erst nach seiner Einbürgerung aufgrund eines Sinneswandels radikalisiert. Zeigt sich bei Betrachtung von Aktivitäten vor der Einbürgerung und danach hingegen – wie vorliegend – eine gewisse Konstanz, besteht diese Gefahr nicht. Die späteren Aktivitäten zeigen nur, dass der Antragsteller auch nach dem Vollzug seiner Einbürgerung in seinem radikalen Gedankengut verhaftet gewesen sein dürfte. [...]

b. Soweit die Einbürgerung danach rechtswidrig ist, ist sie auch durch arglistige Täuschung i.S.v. § 35 Abs. 1 StAG erwirkt worden. Als arglistige Täuschung wird bereits die wahrheitswidrige Beantwortung einer an den Einbürgerungsbewerber gestellten Frage angesehen (vgl. GK-StAR, § 35 StAG Rn. 41). In seiner Befragung zum Einbürgerungsantrag vom 14. April 2014 hat der Antragsteller sämtliche Fragen, die darauf abzielten festzustellen, ob er verfassungsfeindliche oder extremistische Bestrebungen unterstützt hat, mit "nein" angekreuzt. Zugleich hat er eine entsprechende Loyalitätserklärung abgegeben. Wenn er die Unterstützungshandlungen erst nach Abgabe der Erklärung, aber noch vor Vollzug der Einbürgerung aufgenommen haben sollte, hätte er die Antragsgegnerin darüber aufklären müssen. Für die Begehungsform der arglistigen Täuschung in der Alternative des Verschweigens von Tatsachen reicht es, dass der Betreffende Tatsachen verschweigt und dabei weiß oder in Kauf nimmt, dass diese verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Behörde erheblich sind oder sein können (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 3.12.2012 – 11 K 1038/12, Rn. 42 f.). Zudem hat der Antragsteller bei Entgegennahme der Einbürgerungsurkunde am 12. September 2014 die Erklärung unterschrieben, dass sich keine Veränderungen seiner persönlichen Verhältnisse ergeben hätten, die der Einbürgerung entgegenstehen könnten. In der Niederschrift über die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde vom 12. September 2014 hat der Antragsteller u.a. die Erklärung unterschrieben, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekenne.

Der Antragsteller dürfte seine Einbürgerung durch die Falschbeantwortung der Fragen bzw. das Verschweigen dieser Umstände auch arglistig erwirkt haben. Es dürfte für den Antragsteller aus Laiensicht völlig klar gewesen sein, dass seine Einbürgerung ausgeschlossen gewesen wäre, wenn der Antragsgegnerin die Umstände, aus denen sich der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ergeben hätte, offenbar geworden wären. [...]

c. Jedenfalls hat es die Antragsgegnerin versäumt, die gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechenden – den konkreten Einzelfall prägenden – persönlichen schutzwürdigen Belange des Antragstellers in ihre Ermessensentscheidung einzustellen. Den besonderen Lebensumständen des Antragstellers wird die Begründung der Antragsgegnerin nicht gerecht. So dürfte ein durchgreifender Ermessensfehler bereits darin zu sehen sein, dass die Antragsgegnerin die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers (über zehn Jahre, davor Aufenthaltsgestattung/Duldungen) in der Bundesrepublik Deutschland nicht berücksichtigt hat. Diesen Umstand erwähnt die Antragsgegnerin auf S. 7 der Begründung des Bescheides lediglich in dem Kontext, dass auch zwischenzeitlich die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG nicht vorlägen. Ebenso wenig verhält sie sich zu der eventuellen Abwägungsrelevanz der Tatsache, dass der Antragsteller, der seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland lebt (auch seine Eltern und sein Bruder leben hier), das Gymnasium besucht, voraussichtlich in diesem Jahr sein Abitur absolvieren wird und somit bedeutende Integrationsleistungen erbracht hat. Zudem lässt die Antragsgegnerin die möglichen aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Rücknahme der Einbürgerung für den Antragsteller außer Betracht. Die Antragsgegnerin weist zwar daraufhin, dass mit der Rücknahme der Einbürgerung zugleich die früher erteilte Aufenthaltserlaubnis erlischt und nicht rückwirkend auflebt, stellt diesen Umstand aber nicht als einen Belang, der gegen eine Rücknahme der Einbürgerung sprechen könnte, in die Abwägung ein. Vielmehr deutet sie mit der Äußerung an, dass – wie auch der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers befürchtet –, dem Antragsteller nach Vollzug der Rücknahme der Einbürgerung nicht ohne Weiteres erneut eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden würde. Dass dem Antragsteller deshalb unter Umständen eine Abschiebung in sein Herkunftsland Afghanistan, dessen Staatsangehörigkeit er weiter besitzt, drohen könnte, und welche Folgen damit für den Antragsteller, der mit den dortigen Lebensverhältnissen nicht vertraut ist, verbunden wären, lässt die Antragsgegnerin außen vor. [...]