LSG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31.05.2016 - L 6 AS 173/16 B ER - asyl.net: M23955
https://www.asyl.net/rsdb/M23955
Leitsatz:

[Im Eilverfahren haben Drittstaatsangehörige nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland Anspruch auf vorläufige Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII:]

1. Im Eilverfahren hat ein Ausländer ohne Aufenthaltsrecht nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland Anspruch auf Verpflichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers zur vorläufigen Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt.

2. Im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann es beim Vorliegen zusprechender höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht darauf ankommen, wie das entscheidende Gericht selbst die Rechtslage einschätzt. Entscheidend ist allein, ob ein schützenswertes Recht des Antragstellers in Gefahr ist, wenn das Gericht keine vorläufige Anordnung trifft. Handelt es sich um existenzsichernde Leistungen und spricht vieles dafür, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren (ggf. aufgrund einer wegen Divergenz zuzulassenden Revision) letztendlich obsiegen könnte, ist seinem Antrag stattzugeben.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Sozialleistungen, SGB II, SGB XII, Drittstaatsangehörige, einstweilige Anordnung, existenzsichernde Leistungen, vorläufiger Rechtsschutz, Leistungsausschluss,
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, SGB XII § 23 Abs. 1, SGB XII § 23 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Soweit die Rechtsprechung einzelner Sozial- und Landessozialgerichte der Auffassung des BSG zu § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, insbesondere zur Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null nach einem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland von sechs Monaten, entgegengetreten ist (vgl. insbesondere Beschluss des 3. Senats des Landessozialgerichts – LSG – Rheinland-Pfalz vom 11.02.2016 – L 6 AS 668/15 B ER sowie die auch bereits vom SG zitierten Entscheidungen anderer SG und LSG) kann hier aufgrund der Besonderheiten eines Eilverfahrens dahinstehen, welcher Auffassung der Senat folgt. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Grundsätzlich ist für die Begründetheit eines solchen Antrags Voraussetzung, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung – ZPO) gegeben ist. Das Verlangen eines Anordnungsanspruchs im Sinne eines materiellen Rechts, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird, kann jedoch nicht bedeuten, dass das angerufene Gericht das Verfahren alleine unter dem Aspekt entscheiden könnte, wie es selbst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache einschätzt. Lediglich wenn der Antrag offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, fehlt es an einem Recht, das geschützt werden müsste (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage § 86b Rdnr. 29). Demgegenüber führt der Umstand, dass der Antrag in der Hauptsache nicht offensichtlich zulässig und begründet ist, in der Regel noch nicht zur Abweisung des Antrags auf einstweilige Anordnung, sondern erhöht lediglich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Dabei wird allgemein davon ausgegangen, dass eine Klage dann nicht offensichtlich begründet ist, wenn unterschiedliche Auffassungen zu der maßgebenden, höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage bestehen, für die jeweils gute Gründe sprechen (vgl. Keller a.a.O. unter Hinweis auf LSG Thüringen vom 06.07.2004 – L 6 KR 468/04 ER). Entsprechendes muss dann gelten, wenn zwar, wie es hier der Fall ist, bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, jedoch diese Rechtsprechung substantiierter Kritik begegnet. Ist damit die Erfolgsaussicht im Falle des Antragstellers zu 2. nicht schon von vorneherein zu bejahen, ist jedoch andererseits zu berücksichtigen, dass in einem Hauptsacheverfahren der Senat – anders als im vorliegenden Eilverfahren – über einen Anspruch des Antragstellers zu 2. auf Leistungen nach dem SGB XII nicht endgültig entscheiden könnte, sondern bei einer Abweichung von der Rechtsprechung des BSG die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG wegen Divergenz zulassen müsste und einiges dafür spricht, dass der Antragsteller zu 2. sich letztendlich mit seinem Leistungsanspruch gegen die Beigeladene durchsetzen könnte. [...]