VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 13.05.2016 - 11 K 6/16 - asyl.net: M23991
https://www.asyl.net/rsdb/M23991
Leitsatz:

Die bloße Teilnahme an friedlichen, nicht verbotenen Demonstrationen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen in einem bestimmten Land richten, stellt auch dann keine Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dar, wenn zu diesen Demonstrationen auch Organisationen aufgerufen haben, die objektiv inkriminierte Ziele verfolgen oder wenn auf diesen Demonstrationen durch andere Teilnehmer die Abzeichen einer verbotenen Organisation gezeigt werden.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einbürgerung, LTTE, Tamilen, Demonstration, Exilpolitik, freiheitliche demokratische Grundordnung, Meinungsfreiheit, Ausschlussgrund, Verfassungsschutz, inkriminierte Vereinigung, Unterstützung, verbotene Organisation, Verfassungsfeindliche Bestrebungen,
Normen: StAG § 11 S. 1 Nr. 1, StAG § 10,
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. [...]

Die Einbürgerung der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausgeschlossen. [...]

Eine Unterstützung im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG kommt beispielsweise in Betracht, wenn der Einbürgerungsbewerber durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer inkriminierten Vereinigung bei der gebotenen wertenden Gesamtschau auch als Nichtmitglied in eine innere Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung gerät, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefährdungspotentials beiträgt (vgl. HTK-StAR / § 11 StAG / zu Satz 1 Nr. 1, a.a.O. Rn. 141 m.w.N.). [...]

Bei der danach gebotenen wertenden Betrachtung konnte sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass die Klägerin Unterstützungsleistungen für die LTTE erbracht hat. [...] Die Teilnahme der Klägerin an den Demonstrationen am 07.02.2009, 21.04.2009 und 13.05.2009 stellt keine Unterstützungshandlung dar. Die Klägerin selbst hat – wie die vorgelegten Bilder zu den Demonstrationen zeigen – bei den Demonstrationen keinerlei Symbole oder Zeichen mit sich geführt, die eine innere Nähe zur LTTE belegen könnten; dies wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht. Auch die von der Klägerin bei den Demonstrationen verteilten Flyer haben, wie sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung durch deren Begutachtung überzeugen konnte, keinerlei Bezug zur LTTE aufgewiesen. Zwar ist dem Vorbringen der Beklagten und auch den vorgelegten Bildern zu entnehmen, dass einzelne Demonstrationsteilnehmer Schilder und Plakate mit eindeutigem Bezug zur LTTE mit sich geführt haben. Dies und eventuelle Parolen von Demonstrationsteilnehmern mit unzweifelhaftem Bezug zur LTTE, worauf die Beklagte abhebt, machen aber aus den drei streitgegenständlichen Demonstrationen noch keine (schädlichen) ureigenen Veranstaltungen der LTTE, wie dies beim jährlichen "Heldengedenktag" von LTTE-Anhängern am 27. November der Fall sein dürfte. Denn die Demonstrationen vom 07.02.2009, 21.04.2009 und vom 13.05.2009 sind auch im Lichte des der Klägerin zustehenden Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG zu würdigen. Die drei Demonstrationen richteten sich, wie die Klägerin in den mündlichen Verhandlungen substantiiert dargelegt hat, gegen Kriegsgräuel, die das sri-lankische Militär gegen Ende des Bürgerkriegs gegenüber der tamilischen Bevölkerung in Sri Lanka begangen hat; dies wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt und etwas anderes lässt sich auch den Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht entnehmen. Die Klägerin hat in den mündlichen Verhandlungen glaubhaft vorgetragen, dass in den tamilischen Gebieten in Sri Lanka auch gegen Ende des Bürgerkrieges noch zahlreiche Verwandte gelebt haben und sie zusammen mit ihrer Familie in großer Sorge um deren Wohlergehen gewesen sei. Ihr ganzer tamilischer Freundeskreis und ihre Familie seien im Hinblick auf das skrupellose Vorgehen des sri-lankischen Militärs gegenüber der eingeschlossenen tamilischen Bevölkerung entsetzt und aufgebracht gewesen. Ihnen sei es ein ständiges Anliegen gewesen, die deutsche Bevölkerung über die unfassbaren Zustände in Sri Lanka zu informieren. Mit dieser Zielrichtung ist das Handeln der Klägerin von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Dass möglicherweise andere Demonstrationsteilnehmer eine innere Nähe zur LTTE gezeigt haben, ist der Klägerin nicht zurechenbar. So ist auch in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass die bloße Teilnahme an friedlichen, nicht verbotenen Demonstrationen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen in einem bestimmten Land richten, auch dann keine Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellt, wenn zu diesen Demonstrationen auch Organisationen aufgerufen haben, die objektiv inkriminierte Ziele verfolgen oder wenn auf diesen Demonstrationen durch andere Teilnehmer die Abzeichen einer verbotenen Organisation gezeigt werden (vgl. HTK-StAR/§ 11 StAG / zu Satz 1 Nr. 1, a.a.O. Rn. 152 m.w.N.). [...]