Ablehnung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG, da eine medizinische Versorgung von HIV/AIDS in Ghana tatsächlich und finanziell möglich ist.
(Leitsatz der Redaktion)
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Das Gericht ist jedoch überzeugt, dass die Klägerin eine entsprechende Behandlung auch in Ghana erlangen kann und sie nicht sehenden Auges einer konkreten Gefahr im genannten Sinne ausgesetzt sein wird. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG (im Weiteren: Lagebericht) vom 12.02.2016 ist bei der medizinische Versorgung im Urbanen Bereich in Ghana vor allem in den Zentren, mithin insbesondere auch in Kumasi, dem Ort, aus dem Klägerin stammt, ein beträchtlicher Aufschwung im privaten Gesundheitssektor zu verzeichnen. So gibt es zunehmend private Kliniken mit angemessenem bzw. qualitativ gehobenem Standard. In Kumasi ist darüber hinaus, wie in anderen Metropolen des Staates auch, eine gesundheitliche Versorgung in staatlichen Kliniken wie die große Universitätsklinik Komfo Anokye Kumasi mit nahezu komplettem fachärztlichem Spektrum gewährleistet.
Die Versorgung mit Medikamenten ist vor allem durch Importe aus Europa, China oder Indien gewährleistet, zum geringen Teil werden Medikamente auch in Ghana hergestellt. Viele städtische Apotheken haben ein breites Produktangebot und können, falls notwendig, auch schnell spezielle Medikamente einführen. Problematisch ist im Pharmabereich vor allem die Zahl der Medikamentenfälschungen, die durch fehlende staatliche Kontrolle und Nachlässigkeiten bei der Marktzulassung sehr verbreitet sind. Diese Sorge besteht für die Klägerin jedoch nicht. Sie kann als Rückkehrerin in ein Nationales Kontrollprogramm aufgenommen werden. Dies ergibt sich aus der Antwort ZC68/19.06.15 der IOM, International Organization for Migration, Vertretung für Deutschland , die nach Darstellung des Prozessbevollmächtigten auf dem ZIRF-Counselling-Formular für Individualanfragen konkret für die Klägerin unter Angabe ihrer Diagnose und der erforderlichen Medikamente angefordert worden ist. Darin wird ausgeführt, dass Rückkehrer berechtigt sind, an einem von der Regierung finanzierten Programm zur antiretroviralen Behandlung - wie etwa das National HIV/AIDS/STI Control Programme NACP- mit den verfügbaren Medikamenten teilzunehmen.
Durch internationale Hilfe (Global Fun, USAID, EU) konnten im ganzen Land ein Netzwerk von Kliniken entstehen, wo flächendeckend Behandlungen durchgeführt werden, so z.B. garantiert das nationale HIV-Programm kostenfreie Medikamente für eine antiretrovirale Therapie (Lagebericht S. 21). In der Universitätsklinik Kumasi werden kontinuierliche regelmäßige ärztliche Überwachung von HIV Patienten durchgeführt (vgl. Antwort des IOM auf die Individualanfrage Az. ZC 47/22.04.15 und Antwort des IOM Az. ZC 68/19.06.15). Die Gefahr von gefälschten Medikamenten dürfte im Rahmen dieses Programms anders als vielleicht beim Erwerb durch eine Privatperson auf dem freien Markt als gering einzustufen sein.
Grundsätzlich sind die von der Klägerin nach der Darstellung im ärztlichen Bericht der Universitätsmedizin Greifswald vom 03.06.2015 benötigten Wirkstoffe in den verordneten Medikamenten Sustiva und Truvada zur antiretroviralen Therapie und Fucicortcreme zur Behandlung eines Exzems in Ghana zu erhalten (vgl. Ghana Essential Medicines List, Ziffer 28.3, zuletzt abgerufen 08.03.2016 im Internet, vgl. auch Darstellung der Richtlinien für Antiretrovirale Therapie in Ghana, Hrsg. Von National HIV/AIDS/STI Control Program, Ministry of Health, Ghana Health Service, August 2010, Internet). Zwar besteht nach den erwähnten Antworten der IOM ein Mangel an allen antiretroviralen Wirkstoffen, so dass eine Ausstattung mit einem langfristigen Vorrat an Medikamenten empfohlen wird. Dies ist jedoch für die Klägerin gewährleistet, da die zuständige Ausländerbehörde gegenüber der Beklagten zugesichert hat, der Klägerin für ein halbes Jahr die Medikamente mitzugeben, so der Schriftsatz vom 10. März 2016.
Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen auch davon aus, dass der Klägerin als in Deutschland diagnostizierte HIV, CDC A2 Erkrankte nach einer Rückkehr nach Ghana nach einer Übergangs- und Wartezeit sowohl eine Aufnahme in das nationale HIV-Programm als auch in die Krankenversicherung möglich sein wird und dass sie nach dem ersten halben Jahr, welches durch die Medikament aus Deutschland sicher gestellt ist, sie auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse in Ghana anschließend hinreichend versorgt ist und ihr die Beschaffung der Medikamente auch finanziell möglich ist.
Im Rahmen des nationalen HIV-Programms würde sie einen symbolischen Betrag von 3,00 $ monatlich bezahlen, der die Medikamente, einige Routine-Labortests und ambulante Dienstleistungen abdeckt. Für die darüberhinausgehenden erforderlichen Leistungen, Therapien und Labortests müsste sie finanziell selbst sorgen. Allerdings kann sie bei Rückkehr die Mitgliedschaft in der staatlichen Krankenversicherung (NHIS) beantragen (vgl. Website der NHIS, www.nhis.gov.gh/memberschip.aspx; National HIV and AIDS, STI Policy, Bericht vom Februar 2013), die jedoch keine Leistungen für die antiretrovirale Behandlung übernimmt (vgl.NHIS. www.nhis.gov.gh/benefits.aspx), wohl aber für die begleitenden Erkrankungen. Eine weitere Beweisaufnahme war daher nicht erforderlich, da insbesondere die Antwort auf die Individualanfrage ZC 68/19.06.15 konkret für die Klägerin abgegeben worden ist und dies in Übereinstimmung mit den weiteren Erkenntnissen des Gerichts steht.
Das Gericht geht auch davon aus, dass bestehende oder zu befürchtende Mängel bei der Versorgung mit einzelnen Medikamenten durch das National HIV Program ggf. durch Weiterentwicklung anderer oder Gabe von Austauschmedikamenten, versucht wird zu lösen. Die HIV-Erkrankungsrate ist nach Darstellung der Ghana AIDS-Commission (GAC) gesunken, vgl. ghanaweb.com/GhanaHomePage/health/HIV. Da eine Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten nicht unterbrochen werden sollte, um den Erfolg nicht zu gefährden, eine Medikamenteneinnahme daher regelmäßig erforderlich ist, ist schon aus Sicht des Nationalen HIV Programms erforderlich, dass Versorgungsmängel behoben werden.
Das Gericht geht nach vorgenannten Erkenntnissen davon aus, dass ihr die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten finanziell möglich ist, da diese im Wesentlichen kostenfrei abgegeben werden. Es kommt nicht darauf an, dass sich in Deutschland die Kosten für die Erlangung der Medikamente nach Behauptung der Klägerin im Quartal etwa 3000,00 Euro belaufen. Die Klägerin ist nach Auffassung des Gerichts nach einer Rückkehr nach Ghana in der Lage, sich zu versorgen und die relativ geringfügigen Beiträge zu erbringen. Sie ist darauf zu verweisen, dass sie in der Lage ist, erwerbstätig zu sein. Vor ihrer Ausreise 1998 hat sie als Schneiderin gearbeitet bzw. ihre Mutter im Fischhandel unterstützt. Diese Tätigkeiten kann sie trotz langjährigem Auslandsaufenthalt in Ghana auch in ihrem Alter, bei ihrer Ausbildung und bei ihrem Gesundheitsstand wieder aufnehmen. Nach Auskunft der ... im Kurzbericht vom 03.06.2015 ist sie in einem guten Allgemeinzustand, die Viruslast ist unter die Nachweisgrenze gesunken und die immunologische Situation hat sich zunehmend verbessert.
Letztlich wird die Klägerin nach Auffassung des Gerichts in Ghana auch nicht völlig auf sich gestellt sein, denn sie hat, wie sie in der mündlichen Verhandlung angab, nach wie vor Kontakt zu ihrer Schwester, die ihr, wenn auch in bescheidenem Umfang, ggf. finanziell oder jedenfalls mit Rat und Tat zur Seite stehen kann. Die vier eigenen Kinder der Schwester dürften inzwischen selbst erwachsen sein. Es ist der Klägerin auch zuzumuten, den Kontakt zu ihrer 1983 geborenen Tochter wieder aufzunehmen, die bei ihr bis zur Ausreise 1998 gelebt hat. Die Tochter ist inzwischen erwachsen. Das Gericht vermag dem Vortrag nicht glauben, dass die Klägerin zu der Tochter keinen Kontakt mehr hat. Denn ohne jegliche emotionale Regung und ohne weitere Erläuterungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung behauptet, der Kontakt sei abgebrochen, als sie ausgereist sei und der leibliche Vater die damals 15-Jährige bei sich aufgenommen [habe]. Dies ist nicht überzeugend, zumal sie noch einen zunächst bestehenden Telefonkontakt erwähnt hat. In der Anhörung bei der Beklagten am 30.05.2015 gab sie an, dass die Tochter bei ihrem Vater unter eine konkret von ihr genannten Anschrift lebt und dass die Tochter kein Geld habe. Diese Darstellung wäre der Klägerin nicht möglich, wenn sie seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zur Tochter hätte.
Auch wenn die persönliche Situation schwierig und möglicherweise von Ausgrenzungen begleitet sein mag, ergibt sich nach allem nicht, dass die Klägerin quasi sehenden Auges in den Tod abgeschoben oder schweren Gesundheitsgefahren ausgesetzt würden (vgl. VG Göttingen, B.v. 8.12.2015 - 1 B 318/15, 1 B 190/15 - becklink 2001904; VG Leipzig, U.v. 16.10.2015 - 7 K 643/15.A - juris; VG Würzburg, Beschluss vom 20. Januar 2016 - W 6 S 16.30045 Rn. 12, juris). Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf eine durch die Beklagte erfolgte Anerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG in einem Bescheid aus dem Jahr 2012 hinweist, kann das Gericht für das hiesige Verfahren daraus keinen Rückschluss ziehen. Es ist nicht erkennbar, dass es sich um den gleichen Sachverhalt handeln könnte, auch sind die Erkenntnisse aus 2015 nicht rückwirkend übertragbar, auch die Zusicherung der Ausländerbehörde ist nur für die Klägerin gültig. Das Gericht musste dem daher nicht weiter nachgehen. [...]