LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.06.2016 - L 20 AY 38/16 B ER, L 20 AY 43/16 B - asyl.net: M24084
https://www.asyl.net/rsdb/M24084
Leitsatz:

1. Es handelt sich bei einem Frauenhaus um eine "Einrichtung" i.S.d. § 10a Abs. 2 S. 1 AsylbLG, so dass sich die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsberechtigten zum Zeitpunkt der Aufnahme richtet.

2. Bei dringlichem Aufenthalt in einem Frauenhaus richtet sich die Zuständigkeit für Leistungen nach der Vorschrift zum Eilfall des § 10a Abs. 2 S. 3 Alt. 2 AsylbLG.

3. Auch Reisebeihilfen gem. § 11 Abs. 2 AsylbLG in Fällen der Zuwiderhandlung gegen räumliche Zuweisungen hat die für den Ort des tatsächlichen Aufenthalts zuständige Behörde zu erbringen.

4. Wenn die Leistungsberechtigte die Rückreise in den ihr zugewiesenen Aufenthaltsort nicht antreten kann weil sie dort von Gewalt bedroht ist, liegt ein Ausnahme von § 11 Abs. 2 AsylbLG vor, so dass Grundleistungen zu erbringen sind.

Schlagwörter: örtliche Zuständigkeit, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialleistungen, Frauenhaus, Wohnsitzauflage, Eilfall, häusliche Gewalt, Reisebeihilfe, Zuweisung, tatsächlicher Aufenthalt,
Normen: AsylbLG § 10a, AsylbLG § 10a Abs. 1, AsylbLG § 10a Abs. 2, AsylbLG § 10a Abs. 2 S. 1, AsylbLG § 10a Abs. 2 S. 3 2. Alt.,
Auszüge:

[...]

a) Ausgehend hiervon ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin zwar nicht von der Antragsgegnerin, jedoch von der Beigeladenen, welche gemäß § 75 Abs. 5 SGG zur Leistung verpflichtet werden kann, vorläufig die Kosten für die Unterbringung im Frauenhaus I. zuzüglich der Leistungen zum Lebensunterhalt in Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG beanspruchen kann (= Anordnungsanspruch i.S.v. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG).

aa) Die Antragsgegnerin ist für die Erbringung von Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 10a Abs. 2 AsylbLG örtlich unzuständig.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts richtet sich die örtliche Zuständigkeit nicht nach § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG, sondern nach Abs. 2 der Vorschrift. Gemäß § 10a Abs. 2 S. 1 AsylbLG (i.d.F. vom 20.10.2015) ist für die Leistungen in Einrichtungen, die der Krankenbehandlung oder anderen Maßnahmen nach diesem Gesetz dienen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Steht nicht spätestens innerhalb von vier Wochen fest, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach den Sätzen 1 und 2 begründet worden ist, oder liegt ein Eilfall vor, hat die nach Absatz 1 zuständige Behörde über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und vorläufig einzutreten (S. 3).

(1) Es handelt sich bei dem Frauenhaus I, in dem sich die Antragstellerin seit dem aufhält, um eine Einrichtung i.S.v. § 10a Abs. 2 S. 1 AsylbLG, die zwar nicht der Krankenbehandlung, jedoch anderen Maßnahmen nach diesem Gesetz dient.

Welche anderen Maßnahmen von dieser Vorschrift erfasst sind, definiert das AsylbLG nicht. Nach dem Sinnzusammenhang muss es sich aber um Leistungen des AsylbLG handeln, die in der Einrichtung teil- oder vollstationär erbracht werden und über die Bereitstellung einer Unterkunft hinaus einen weitergehenden Leistungszweck verfolgen (vgl. hierzu Groth in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 10a AsylbLG Rn. 32). Hierzu gehören auch Frauenhäuser; denn diese dienen - anders als Gemeinschaftsunterkünfte nach § 53 AsylbLG - nicht nur der Gewährung einer Unterkunft zu gemeinschaftlichen Wohnzwecken. Sie bieten den von häuslicher und sexueller Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern anonymen Schutz vor weiteren Angriffen und Gefährdungen und leisten zudem Betreuung und Beratung der dort aufgenommen Personen (vgl. hierzu die im Beschwerdeverfahren eingeholte Auskunft des Frauenhauses I. und generell zum Aufenthalt in einem Frauenhaus als Fall des § 10a Abs. 2 S. 1, 2. Alt. Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Auflage 2015, § 10a AsylbLG Rn. 10.1). [...]

(3) Abweichend von § 10a Abs. 2 S. 1 AsylbLG ist vorliegend jedoch ausnahmsweise die Beigeladene als für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Behörde vorläufig leistungspflichtig, weil ein Eilfall i.S.v. § 10a Abs. 2 S. 3, 2. Alt. AsylbLG besteht.

(a) Vorläufig eintrittspflichtig ist im Eilfall gemäß § 10a Abs. 2 S. 3, 2. Alt. AsylbLG die "nach Absatz 1 zuständigen Behörde". Dabei kann es sich nur um diejenige Behörde handeln, deren örtliche Zuständigkeit sich gemäß § 10a Abs. 1 S. 2 AsylbLG nach dem tatsächlichen Aufenthalt der leistungsberechtigten Person (hier also der Beigeladenen) bestimmt. Denn die nach § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG örtlich zuständige Behörde bleibt für die leistungsberechtigte Person stets auch bei Aufnahme in eine Einrichtung zuständig (vgl. § 10a Abs. 3 S. 4 AsylbLG); steht die nach § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG zuständige Behörde fest, kann ein Kompetenzkonflikt deshalb gar nicht eintreten (Groth, a.a.O., § 10a AsylbLG, Rn. 41).

(b) Es liegt mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auch ein Eilfall vor. [...]

§ 10a AsylbLG will unabhängig von Zuständigkeitsfragen eine möglichst schnelle Deckung des geltend gemachten Bedarfs sicherstellen (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2015 - B 8 SO 20/13 R Rn. 12 zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 98 Abs. 2 S. 3 SGB XII). Diese dem Schutz des Hilfebedürftigen dienende Zuständigkeitsregelung greift nicht nur bei Unklarheiten im Tatsächlichen (im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen), sondern gilt nach ihrem Sinn und Zweck gleichermaßen, wenn zwischen zwei Leistungsträgern unterschiedliche Rechtsansichten über die örtliche Zuständigkeit bestehen und die Behörde des (hier fingierten) gewöhnlichen Aufenthaltsorts nicht bereit ist, den Bedarf umgehend zu decken. [...]

Insofern mag offen bleiben, ob die Antragstellerin Leistungen nach § 2 AsylbLG in analoger Anwendung des SGB XII beanspruchen kann; denn ihr stehen die begehrten Leistungen jedenfalls nach § 6 Abs. 1 AsylbLG zu. Nach dieser Vorschrift können sonstige Leistungen insbesondere (u.a.) gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind. [...]

(2) Es handelt sich bei den in Rede stehenden Leistungen für die Unterbringung in einem Frauenhaus ferner um sonstige Leistungen i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AsylbLG (so auch Frerichs in Schlegel/Voelzke, jurisPKSGB XII, 2. Aufl. 2014, § 6 AsylbLG Rn. 75; Scheider, a.a.O., § 10a AsylbLG Rn. 10.1); denn der Aufenthalt in einem Frauenhaus geht über die bloße Bereitstellung einer Unterkunft hinaus (s.o.) und unterfällt damit insbesondere nicht dem notwendigen Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 3 AsylbLG. Entsprechendes dürfte vorbehaltlich einer abschließenden Beurteilung im Hauptsacheverfahren - als Annex zu der Unterbringung - auch für den weiteren notwendigen Bedarf i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 AsylbLG (u.a. Ernährung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts) sowie den Barbetrag nach S. 2 der Vorschrift gelten, auch wenn diese nicht von dem Einrichtungsträger erbracht werden. [...]

Unerlässlich ist die in Rede stehende Maßnahme dann, wenn der geltend gemachte Bedarf unverzüglich und noch während des voraussichtlichen Aufenthalts des Ausländers in Deutschland zu decken ist (vgl. hierzu u.a. das Urteil des Senats vom 06.05.2013 - L 20 AY 145/11 Rn. 66). Die Leistungen müssen nach den allgemeinen Regeln der Verhältnismäßigkeitsprüfung geeignet, erforderlich und nach Sinn und Zweck des AsylbLG angemessen sein (vgl. Frerichs, a.a.O. § 6 AsylbLG, Rn. 40). [...]

(4) Auf der Rechtsfolgenseite eröffnet § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG dem Leistungsträger einen Ermessensspielraum. Offen bleiben kann, ob es sich dabei von vornherein nur um ein Auswahl- oder auch um ein Entschließungsermessen handelt (vgl. dazu einerseits Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 6 AsylbLG Rn. 8 und andererseits Frerichs, a.a.O., § 6 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Denn sowohl ein (etwaiges) Entschließungs- als auch das Auswahlermessen der Beigeladenen sind vorliegend jedenfalls auf Null reduziert.

(a) Dass die Beigeladene in der vorliegenden Situation zur Sicherung der Gesundheit der Klägerin überhaupt tätig werden musste und damit ihr Entschließungsermessen entsprechend reduziert war, folgt bereits aus den vorstehenden Ausführungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG; denn bei unterbliebener Unterbringung im Frauenhaus I. hätte die Gefahr einer (möglicherweise irreversiblen) schwereren gesundheitlichen Schädigung der Klägerin durch gewalttätige Übergriffe des Vaters bestanden. Nicht nur mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, sondern auch auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wäre eine Leistungsversagung deshalb rechtswidrig gewesen.

(b) Auch hinsichtlich des Auswahlermessens ist von vornherein nicht erkennbar, dass der Beigeladenen anstelle der Unterbringung im Frauenhaus I. andere Handlungsalternativen zu Gebote gestanden hätten (s.o.).

cc) Selbst wenn die begehrten Leistungen zum Lebensunterhalt nicht als Annex zu den Unterbringungskosten im Frauenhaus nach § 10a Abs. 2 S. 3 AsylbLG zu erbringen sein sollten, wäre die Beigeladene im Übrigen jedenfalls insofern gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG vorläufig leistungspflichtig.

(1) Zwar wäre die Antragsgegnerin ggf. gemäß § 10a Abs. 1 S. 1, letzte Alt. AsylbLG für die Erbringung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG weiterhin örtlich zuständig, weil die Duldung der Antragstellerin eine Wohnsitzauflage für den Bereich der Antragsgegnerin enthält. Auch handelt es sich bei § 11 Abs. 2 AsylbLG in der bis zum 23.10.2015 geltenden Fassung nach ganz h.M. um eine Vorschrift zur Bestimmung des Leistungsumfangs bei unerlaubtem Aufenthalt, nicht hingegen um eine eigene Zuständigkeitsregelung (vgl. u.a. LSG NRW vom 27.10.2006 - L 20 B 52/06 AY ER; ferner LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.02.2014 - L 8 AY 98/13 B ER Rn. 25 mit zahlreichen Nachweisen; a.A. wohl Groth, a.a.O., § 11 AsylbLG Rn. 29 ff. zumindest für den Fall, in dem die leistungsberechtigte Person einer wirksamen asylrechtlichen Verteilung oder Zuweisung zuwiderhandelt). Es herrschte jedoch - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Literatur schon zu der (insoweit gleichlautenden) Vorgängervorschrift Einvernehmen, dass (auch) im Falle der Zuwiderhandlung gegen eine asylverfahrensrechtliche Zuweisung oder Verteilung die für den Ort des tatsächlichen Aufenthalts (und nicht die für den Zuweisungsort) zuständige Behörde als ortsnähere Behörde die (insbesondere für die Rückkehr) unabweisbar gebotenen Hilfen zu erbringen hat, und § 11 Abs. 2 AsylbLG ggf. die Leistungspflicht der nach § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG zuständigen Behörde aufhebt, bis die leistungsberechtigte Person an den Zuweisungs- oder Verteilungsort zurückgekehrt ist (vgl. u.a. Groth, a.a.O., § 11 AsylbLG Rn. 31). Anhaltspunkte dafür, dass sich der Charakter des § 11 Abs. 2 AsylbLG in seiner aktuellen Fassung geändert hat, sind nicht ersichtlich. Bei summarischer Prüfung geht der Senat deshalb auch für Leistungen nach § 11 Abs. 2 AsylbLG von einer Zuständigkeit der Beigeladenen aus; etwa verbleibenden Bedenken kann insoweit im Hauptsacheverfahren nachgegangen werden.

(2) Die materiellen Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 AsylbLG sind mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit ebenfalls erfüllt.

Gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden.

(a) Die leistungsberechtigte und hilfebedürftige (s.o.) Antragstellerin hält sich nach ihrem Vorbringen im Eilverfahren bei summarischer Prüfung entgegen einer ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen auf. Zwar ist lediglich ihre Wohnsitznahme, nicht hingegen ihr Aufenthalt auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin beschränkt. Auch durch einen Aufenthalt in einem Frauenhaus kann jedoch ein Wohnsitz begründet werden. Entscheidend ist insofern, ob sich die betroffene Frau an dem neuen Ort in der Absicht niederlässt, ihn zum ständigen Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse zu machen; denn einen Wohnsitz begründet nach § 7 Abs. 1 BGB, wer sich an einem Orte ständig niederlässt. Maßgeblich für den Wohnsitz ist also die tatsächliche Niederlassung und der entsprechende Wille hierzu. Anders als in den Fällen, in denen der Aufenthalt nur als vorübergehende Zuflucht gedacht ist, begründet der Aufenthalt im Frauenhaus daher dann einen Wohnsitz, wenn die in das Frauenhaus ziehende Frau die Absicht hat, sich dauerhaft am Ort des Frauenhauses aufzuhalten und dort den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse zu begründen (vgl. OLG Karlsruhe vom 07.05.2009 - 16 WF 61/09 m.w.N.). So liegt es aber hier; denn ausgehend von ihrem Vorbringen, in I, nicht jedoch in H. ein normales Leben führen zu können, beabsichtigt die Antragstellerin offenbar, wenn auch nicht im Frauenhaus, so jedoch dauerhaft in I. zu bleiben. Dementsprechend hat sie auch eine Änderung der Wohnsitzauflage in ihrer Duldung sowie die Zustimmung zum Umzug nach I. bei der Ausländerbehörde der Antragsgegner bzw. der Beigeladenen beantragt.

(b) Dem geltend gemachten Anspruch steht zudem nicht entgegen, dass die Antragstellerin sich erst im Verlauf des Eilverfahrens gegen die Wohnsitzbeschränkung in ihrer Auflage gewandt hat. [...]

(c) In Abweichung von dem in § 11 Abs. 2 AsylbLG auf der Rechtsfolgenseite bestehenden Grundsatz sind die von der Beigeladenen zu erbringenden Leistungen vorliegend schließlich nicht auf eine Reisebeihilfe für die Rückkehr der Antragstellerin nach H. beschränkt, sondern in Höhe der Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG zu erbringen.

Unabhängig von der Frage, ob die - regelmäßig auf eine Reisebeihilfe beschränkte - Leistungspflicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) vereinbar bzw. die Vorschrift einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist, sind jedenfalls in atypischen Fällen wie dem vorliegenden Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG zu erbringen.

(aa) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 AsylbLG mit seiner begrifflichen Einschränkung "regelmäßig" (so auch Groth, a.a.O., § 11 AsylbLG Rn. 33.1). [...]

Danach ist die Erbringung einer Reisebeihilfe lediglich der "Regelfall" und gilt Abweichendes, wenn der Leistungsberechtigte ausnahmsweise, insbesondere aus gesundheitlichen Gründen, die Rückreise an den ihm zugewiesenen Aufenthalt nicht sofort antreten kann (vgl. BR-Drs. 446/15, S. 62 zu § 11 Abs. 2 AsylbLG i.d.F. vom 24.10.2015). Dass der Gesetzgeber dabei in erster Linie ("insbesondere") auf akute gesundheitliche Gründe verweist, schließt es nicht aus, dass auch sonstige - ebenso schwerwiegende - Umstände, welche den Verbleib am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwingend erfordern oder eine Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung unzumutbar erscheinen lassen, zu weitergehenden Leistungen verpflichten, die bis zu den regulären Leistungen nach dem AsylbLG reichen können (so auch Groth, a.a.O.). Ein solcher - einer Rückkehr entgegenstehenden gesundheitlichen Gründen vergleichbarer - Fall kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn die leistungsberechtigte Person im Bereich der räumlichen Beschränkung einer besonderen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt ist, insbesondere, wenn sie dort bereits Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist und Zuflucht in einem Frauenhaus nimmt (so auch Groth, a.a.O., Rn. 36 unter Hinweis auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zu Hilfeleistungen an von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder insbesondere im Rechtskreis des SGB II in NDV 2008, 365 ff., 372 ff.). [...]

b) Hat die Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch - sei es nach § 6 bzw. § 3 AsylbLG - somit glaubhaft gemacht, so ist es ihr zugleich nicht zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (= Anordnungsgrund i.S.v. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Eine etwaige mangelnde Mitwirkung der Antragstellerin im Rahmen des früheren Verfahrens auf Zustimmung zur Anmietung einer eigenen Wohnung ist entgegen der (insoweit abwegigen) Rechtsauffassung der Antragsgegnerin jedenfalls nicht geeignet, dem aktuellen Eilantrag auf Gewährung von Leistungen für den Lebensunterhalt sowie die Unterbringung im Frauenhaus I. die Dringlichkeit abzusprechen. Eilbedürftigkeit kann allerdings erst seit dem 17.03.2016 (= Eingang des Eilantrags bei dem Sozialgericht) angenommen werden. Für eine Verpflichtung der Behörde zur Erbringung vorläufiger Leistungen für Zeiten vor Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes besteht hingegen (abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen) grundsätzlich kein Bedürfnis (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 35a m.w.N.). [...]