Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gefahr der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung (Homosexualität) in Simbabwe:
Vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass lesbische Frauen in Simbabwe der Gefahr einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sind.
(Leitsatz der Redaktion)
M24106, VG Braunschweig
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 11.02.2016
Aktenzeichen: 7 A 196/13
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4,
Schlagwörter: Simbabwe, homosexuell, lesbisch, Homosexualität, sexuelle Orientierung, Flüchtlingsanerkennung, soziale Gruppe,
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gefahr der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung (Homosexualität) in Simbabwe:
Vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass lesbische Frauen in Simbabwe der Gefahr einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sind.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die Klägerin hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. [...]
Die Klägerin hat als Angehörige einer sozialen Gruppe im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG in Simbabwe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten.
Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat in dem Urteil vom 08.09.2015 (7 A 162/13, Veröffentlichung nicht bekannt) folgendes ausgeführt:
"Homosexuelle bilden in Simbabwe eine soziale Gruppe im Sinne der vorgenannten Vorschrift. Danach gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund haben, der nicht verändert werden kann, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht hierunter: Die sexuelle Ausrichtung und somit auch die Homosexualität sind zu den Merkmalen zu rechnen, die für die Identität so bedeutsam sind, dass die Betreffenden nicht gezwungen werden sollten, auf sie zu verzichten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 07.03.2013 - A9 S 1872/12 - Juris Rn. 38 m.w.N.). Auch die in § 3b Nr. 4b AsylVfG genannte weitere Voraussetzung für das Vorliegen einer "sozialen Gruppe" ist hinsichtlich Simbabwe gegeben. Denn es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die Gruppe der Homosexuellen in Simbabwe eine deutlich abgegrenzte Identität hat, weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nach allen vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich, dass Homosexualität in Simbabwe nicht als "normal" angesehen wird.
(...)
Bei der anzustellenden Prognose ist in Rechnung zu steilen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH nicht erwartet werden kann, dass der Ausländer seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung ausübt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (Urt. v. 07.11.2013 in den Rechtssachen C-199/12-C-201/12). Homosexuelle Handlungen sind in Simbabwe unter Strafe gestellt. Abschnitt 73, Abs. 1 des am 01.07.2006 in Kraft getretenen simbabwischen Gesetzes Nr. 23/2004 von 205 zum Strafrecht sieht vor, dass eine männliche Person, die mit Zustimmung einer anderen männlichen Person wissentlich Analverkehr oder eine andere Handlung mit körperlichem Kontakt mit dieser Person praktiziert, die von einer vernünftigen Person als unanständige Handlung eingestuft wird, sich der Sodomie schuldig macht. Als Strafen sind Geldstrafe bis zu "Stufe 14" oder darüber hinaus eine Haftstrafe für einen Zeitraum von nicht länger als einem Jahr oder beide Strafen dafür vorgesehen (ACCORD, Information zur Lage von Homosexuellen vom 23.07.2014). Auch wenn Positivfälle aus der Vergangenheit, in denen Strafen verhängt wurden, nicht bekannt sind, werden jedenfalls Anklagen Homosexueller vorgenommen. So berichtet Amnesty International (Report 2012), dass am 20.10.2011 zwei 27- und 28-jährige Personen in einem Vorort von Harare festgenommen und wegen Homosexualität angeklagt wurden. Sie seien nicht nur von den Personen, die sie angezeigt hätten verprügelt, sondern auch im Polizeigewahrsam geschlagen worden. Die Rechtsbeistände seien schikaniert und bedroht worden, weil sie mutmaßliche Homosexuelle verteidigten. Die Polizei habe nichts zum Schutz der Rechtsanwälte unternommen. Human Right Watch berichtet im Januar 2014 davon, dass Präsident Mugabe während seines Wahlkampfes im Juli 2013 erneut geäußert habe, dass Angehörige der LGBT-Gemeinschaft "schlimmer als Hunde und Schweine" seien. Der Präsident habe damit gedroht, sie zu köpfen. (...) Nach einem Bericht der regierungsunabhängigen Nachrichtenagentur Inter Press Service in einem Artikel vom Februar 2014 werden gleichgeschlechtliche Beziehungen in Simbabwe als illegal bezeichnet. Es sei riskant, wenn nicht tödlich, in Simbabwe schwul oder lesbisch zu sein. Derartige Beziehungen seien in Simbabwe streng tabu (zitiert nach ACCORD, a.a.O.)."
Weiterhin hat das Verwaltungsgericht Stade in dem Urteil vom 11.09.2015 (3 A 2588/13, Veröffentlichung nicht bekannt) folgendes ausgeführt:
"Nach der derzeitigen Erkenntnislage sind Homosexuelle nach wie vor der Diskriminierung und Anfeindungen in der Gesellschaft ausgesetzt. Das US-Außenministerium (US Department of State) schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014, (...) Mitglieder der Organisation "Gays and Lesbians of Zimbabwe (GALZ) seien von Angriffen, Schikanierung und Diskriminierung betroffen gewesen. Der signifikante Anstieg von Schikanierung und Kontrolle der GALZ durch die Regierung sei politischen Machenschaften rund um den Prozess zur Ausarbeitung einer Verfassung zugeschrieben worden. Religiöse Anführer in der traditionell konservativen Gesellschaft hätten Diskriminierung von Mitgliedern der LGBT-Gemeinschaft (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) befürwortet und gefördert. Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft hätten über weit verbreitete gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung berichtet.
Das UK Foreign and Commonwealth Office (FCO) schreibt in seinem Länderbericht zu Menschenrechten und Demokratie von April 2014, dass Homosexualität in Simbabwe weiterhin illegal sei. Präsident Mugabe würde sich in seinen Reden oftmals geringschätzig über Homosexuelle äußern und habe gleichgeschlechtliche Ehen bei seiner Rede zur Amtseinführung im August 2013 attackiert. Die Rechte von Homosexuellen würden aufgrund des mit Homosexualität verbundenen Stigmas nicht offen diskutiert. LGBT-Personen würden weiterhin eine Marginalisierung und stigmatisiert Gruppe darstellen. Die neue Verfassung würde LGBT-Rechte nicht explizit anerkennen. Im Juni 2013 seien unbekannte Angreifer gewaltsam in die Büros der GALZ eingedrungen. Fünf Verdächtige seien darauf von der Polizei verhaftet worden. Es sei weiterhin zu Schikanierungen der Organisation GALZ gekommen und im August 2013 habe die Polizei aufgrund der "Förderung von Homosexualität" Eigentum in den Büros beschlagnahmt. In dem neuesten Länderbericht vom 12. März 2015 berichtet das UK Foreign Commonwealth Office von einem Gerichtsurteil zu Gunsten von GALZ, nachdem staatliche Behörden die GALZ beschuldigt hatten, eine illegale Organisation zu sein. Ferner wird darauf hingewiesen, dass Präsident Mugabe weiter wiederholt erklärt habe, dass Rechte von Homosexuellen keine Menschenrechte seien.
Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) weist in ihrem Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Januar 2014 daraufhin, dass viele Angehörige der LGBT-Gemeinschaft aufgrund von Angriffen, willkürlichen Festnahmen von LGBT-Aktivisten und Schikanierung der GALZ durch staatliche Beamte in den vergangenen Jahren, in den Untergrund gegangen seien."
Das Gericht macht sich diese Ausführungen zu Eigen. Vor diesem Hintergrund ist auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel (Human Rights Watch: World Report 2016 - Zimbabwe, 27.01.2016, verfügbar auf ecoi.net) davon auszugehen, dass lesbische Frauen - wie die Klägerin - in Simbabwe derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten haben. [...]
Das Gericht berücksichtigt dabei auch, dass im Lichte der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 02.12.2014 – C-148/13, - C 149-150/13, C-150/13 -, juris) bei der Würdigung der Aussagen der Klägerin zu bedenken ist, dass angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die die persönliche Intimsphäre eines Asylbewerbers, insbesondere seine Sexualität, betreffen, allein daraus, dass jemand zögert, intime Aspekte seines Lebens zu offenbaren, nicht geschlossen werden kann, dass er deshalb unglaubwürdig ist (vgl. VG Stade, Urteil vom 11.09.2015 - 3 A 2588/13 -, Veröffentlichung nicht bekannt). [...]