VG Darmstadt

Merkliste
Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 18.05.2016 - 3 K 977/14.DA.A - asyl.net: M24128
https://www.asyl.net/rsdb/M24128
Leitsatz:

1. Aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist das Gericht der Überzeugung, dass ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Somalia vorliegt.

2. Für den Kläger besteht auch eine ernsthafte individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Eine Gefahrendichte im Sinne der genannten Vorschrift ist in Somalia zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gegeben.

3. Es ist dem Kläger auch nicht möglich, sich dieser Gefahrenlage durch die Rückkehr in einen anderen Teil seines Heimatlandes zu entziehen.

(Amtliche Leitsätze, unter Auswertung zahlreicher aktueller Herkunftslandinformationen und Bezugnahme auf VG Regensburg Urteil vom 08.01.2015 - RN 7 K 14.30016 - asyl.net: M22867)

Schlagwörter: Somalia, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, subsidiärer Schutz, interne Fluchtalternative, gefahrerhöhende Umstände, ernsthafte individuelle Bedrohung, Gefahrendichte,
Normen: AsylG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 3, AsylG § 3e Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Nach Maßgabe dieser Bestimmung steht dem Kläger ein Anspruch auf subsidiären Schutz zu, da ihm bei einer Rückkehr nach Somalia ein ernsthafter Schaden droht. Zur Überzeugung des Gerichts wäre dort das Leben oder die Unversehrtheit des Klägers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ernsthaft und individuell bedroht.

Aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist das Gericht der Überzeugung, dass ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Somalia vorliegt (VG Darmstadt, Urt. v. 24.09.2015 - 3 K 1089/13.DA.A -; Bay. VGH, Urt. v. 14.01.2013 - 20 B 12.30349 -, juris; VG Augsburg, Urt. v. 29.01.2014 - Au 7 K 13.30389 -, juris; VG München, Urt. v. 20.09.2013 - M 11 K 13.30514 -, juris; VG Aachen, Urt. v. 13.04.2015 - 7 K 711/14.A -, juris; VG Kassel, Urt. v. 03.03.2015 - 4 K 867/13.KS.A; VG Frankfurt, Urt. v. 16.04.2015 - 9 K 3437/14.F -; a. A.: VG Regensburg, Urt. v. 08.01.2015 - RN 7 K 14.30016 -, juris). [...]

Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen, insbesondere dem Bericht des Auswärtigen Amtes (AA) über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 01.12.2015 (Lagebericht 12/2015) ist von einem innerstaatlichen Konflikt in Zentral- und Südsomalia, also auch in der Herkunftsregion des Klägers auszugehen.

In Somalia gibt es keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes fragil und schwach. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden "Somaliland" (Regionen Awdaal, Wooqoi Galbeed, Toghdeer, Sool, Sanaag) im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu Wasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia seit Jahrzehnten zum Land mit dem größten Bedarf an internationaler Nothilfe. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung, die nur innere Autonomie anstrebt, aber keine Unabhängigkeit; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In "Somaliland", das sich 1991 unabhängig erklärt hat, aber bislang von keinem Staat anerkannt wird, wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. Obwohl seit dem Ende der Übergangsperiode in Somalia wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet werde, so das Auswärtige Amt, ist die faktische Situation nach wie vor in all diesen Bereichen sehr mangelhaft. Insbesondere das Verhalten der Sicherheitskräfte, Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems und die Lage im Justizvollzug entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA, Lagebericht 12/2015, S. 4).

In Zentral- und Südsomalia, woher der Kläger stammt, herrschten von 2004 an zunächst eine Übergangsregierung (Transitional Federal Government, TFG), bis 2012 unter Premierminister Abdiweli Mohamed Ali, und ein Übergangsparlament. Dennoch kam es fortgesetzt zu Kämpfen zwischen verschiedenen ("moderaten" und "radikalen") islamistischen und/oder nach Clans organisierten Warlords und ihrer Milizen sowie zwischen Kräften, die der Übergangsregierung gegenüber loyal sind, und solchen, die sie bekämpfen. Dementsprechend hat diese Übergangsregierung keine wirksame Kontrolle über weite Teile Süd- und Zentralsomalias erlangen können (AA, Lagebericht vom 23.03.2012). Im Herbst 2012 wurde die Übergangsregierung durch eine neue Regierung unter Hassan Sheikh Mohamud als Präsidenten und dem Geschäftsmann A. Farah Shirdon als Premierminister abgelöst; eine neue Übergangsverfassung wurde ebenfalls verabschiedet (vgl. AA, Lagebericht vom 12.06.2013).

Nachdem sich in Zentral- und Südsomalia jahrelang Milizen von Clans und Warlords bekämpft hatten, konnten erst 2006 die "Vereinigten Islamischen Gerichtshöfe", auch "Union Islamischer Gerichte" (UIC) genannt, für eine Zeitlang größere Gebiete unter ihre Kontrolle bringen. Anschließend dominierte mit Al-Shabaab eine radikal-islamische Nachfolgeorganisation dieser Vereinigung weite Teile von Süd- und Zentralsomalia; diese Gruppe hat Bezüge zum internationalen djihadistischen Terrorismus und sucht aktiv den Anschluss an Al-Qaida (vgl. AA, Lageberichte vom 24.03.2011 und vom 23.03.2012, S. 7).

In Süd- und Zentralsomalia mit der Hauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab oder anderer Milizen. Diese anderen Milizen sind entweder entlang von Clan-Linien organisiert oder auf Grundlage einer bestimmten religiösen Ausrichtung (AA, Lagebericht 12/2015, S. 5).

Extralegale Tötungen sowie willkürliche Verhaftungen durch Milizen und Banden sind unter den chaotischen und weitgehend rechtsfreien Bedingungen im Bürgerkriegsland Somalia weit verbreitet. Potentiell asylrechtlich relevante Tatsachen sind daher staatlichen Strukturen nicht eindeutig zuzuordnen, sondern resultieren häufig gerade aus deren Abwesenheit (vgl. AA, Lagebericht vom 23.03.2012). Extralegale Tötungen werden in der Regel von Al- Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt. Im Falle einer solchen Tötung ist jedoch aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von Straflosigkeit auszugehen (AA, Lagebericht 12/2015, S. 15; EASO, August 2014, S. 106 f.).

Im Zuge der im März 2014 begonnenen "Operation Eagle" und der nachfolgenden "Operation Indian Ocean" ab September 2014 gelang es der somalischen Armee und AMISOM bis Oktober 2014, Städte im Süden des Landes zu befreien. Allerdings wird der erreichte Zustand in nahezu allen Berichten als fragil bezeichnet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH -, Somalia v. 25.10.2013: Sicherheitssituation in Mogadischu, S. 1) und er kann nur durch den Einsatz ausländischer und internationaler Truppen aufrechterhalten werden. Die eroberten Städte, so EASO unter Berufung auf näher genannte Quellen, müssten als "Inseln" in feindlichem Territorium betrachtet werden. Al-Shabaab versuche, diese Städte zu isolieren, indem nicht nur militärische Versorgungskonvois, sondern jegliche Versorgung und jeglicher Verkehr blockiert und bekämpft und AMISOM und andere Sicherheitskräfte mit Gegenangriffen festgesetzt werden (EASO, August 2014, S. 72 m. w. Nw.).

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation in Somalia in erheblicher Weise verbessert hätte; selbst in Mogadischu ist die Sicherheitslage nach wie vor prekär, auch wenn dort seit 2011 eine gewisse Entspannung eingetreten sein mag (vgl. AA, Lagebericht v. 12.06.2013; Bundesasylamt, Staatendokumentation v. 14.03.2012; FR v. 28.10.2015). Insgesamt ist die Gewalt nicht weniger geworden, sondern verlagert sich immer wieder.

So wurde etwa im April 2012 ein Selbstmordattentat auf das gerade erst neu eröffnete Nationaltheater in Mogadischu verübt, zu dem die Al-Shabaab sich bekannte. Im Jahr 2014 gab es immer wieder Tote bei Sprengstoffanschlägen (FAZ vom 02.01. 2014: "Doppelanschlag in Mogadischu"; SZ vom 14.02.2014: "Tote bei Anschlag in Somalia"; FAZ vom 22.02.2014: "Terrorangriff in Mogadischu"; Deutsche Welle vom 27.02.2014: "Tote durch Bombenanschlag in Somalia"; FAZ vom 19.03.2014: "Angriff auf Hotel in Somalia"; FAZ vom 23.04.2014: "Abgeordnete in Somalia ermordet"; FR vom 26.05.2014: "Terror in Dschibuti und Somalia"; taz vom 10.07.2014: "Al- Shabaab meldet sich zurück"; Spiegel online vom 08.09.2014: "Terror in Somalia: Zivilisten sterben bei Anschlag auf AU-Friedenstruppe"; SZ vom 09.09.2014: "Somalias Plage"; taz vom 29.09.2014: "Islamisten steinigen dreifache Mutter"; Spiegel online vom 15.10.2014: "Somalia: Mindestens vier Tote bei Anschlag in Mogadischu"; SZ vom 27.12.2014: "Attentat in Mogadischu"; Deutsche Welle vom 30.12.2014: " Al- Shabaab trotzt Angriffen des Militärs", www.dw.de/al-shabaab-trotzt-angriffen- des-militärs/a-18164093).

Die Sicherheitslage in Zentral- und Südsomalia bleibt weiterhin unberechenbar und instabil. Die Süddeutsche Zeitung berichtete unter dem 16.01.2015 ("Die Schlange hebt den Kopf"), Al-Shabaab kontrolliere bis dahin Teile des Landes in der Mitte und im Süden, obwohl die Miliz von Truppen der Afrikanischen Union schon im August 2011 aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben worden sei. Dennoch werde die Hauptstadt immer noch und immer wieder von schweren Anschlägen erschüttert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet unter dem 10.09.2015 ("Al-Shabaab auf dem Vormarsch"), die Milizen hätten inzwischen die Fähigkeit erworben, komplexe militärische Operationen durchzuführen, und den AMISOM-Truppen im Sommer 2015 schwere Verluste zugefügt. Die AMISOM-Truppen hätten Stützpunkte in Janaale in der Region Lower Shabelle, in Kunturwarey und in El Salindi aufgeben und sich nach Mogadischu zurückziehen müssen. Seither stehe Al-Shabaab abermals nur 60 Kilometer südlich von Mogadischu, von wo sie 2011 von AMISOM vertrieben worden war (vgl. auch FAZ vom 16.01.2016: "Al Shabaab erobert Amisom-Stützpunkt in Somalia"; SZ vom 05.01.2016: "Al-Shabaab nimmt Dorf ein"; ai, SOMALIA - Human Rights Violations and Abuses Persist vom Februar 2016; FAZ e-paper vom 06.02.2016: " Al Shabaab nimmt Merka ein" und vom 26.02.2016: "Massaker in Somalia"). Nach dem Bericht der FR vom 28.10.2015 bleibt Somalia einer der instabilsten Staaten weltweit. Die Lage, so heißt es in dem Bericht weiter, sei schlimmer als in Afghanistan, Syrien oder Jemen, wie der jährliche Index des Friedensfonds zeige.

Auch das Tatbestandsmerkmal der "ernsthaften individuellen Bedrohung" des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt vor. Dieses erfordert entweder eine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit im jeweiligen Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, oder persönliche Umstände, die das derartige Risiko erheblich erhöhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188; EUGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07 -, InfAuslR 2009, 138). [...]

Die Kammer schließt sich dem Urteil des VG Regensburg vom 08.01.2015 (a.a.O.) an, wonach die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesem Sinne vorgenommene Bewertung nicht nachvollziehbar ist. Dies gilt schon für die zugrunde gelegte Gesamtbevölkerungszahl als Ausgangsbasis. Wie auch die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid zugesteht, gibt es keine gesicherten Daten zur Einwohnerzahl Zentral- und Südsomalias; die wiedergegebenen Schätzungen differieren erheblich (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 08.01.2015, a.a.O.). Selbst wenn die Zahl von 10,086 Millionen für Gesamtsomalia in der vom Bundesamt verwendeten Quelle (Munzinger Online/Länder - Internationales Handbuch, "Somalia - gesamt") und die von ihm genannte Zahl von 2,588 Millionen für Zentral-/Südsomalia zumindest annähernd richtig sein sollten, muss die sehr hohe Zahl von Binnenvertriebenen von ca. 1,1 Million im September 2013 (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 25.10.2013) bzw. annähernd einer Million (EASO, August 2014, S. 39) berücksichtigt werden. Diese haben sich in verschiedenen Lagern in Sicherheit gebracht, weshalb eine Opferstatistik in ihren Herkunftsgebieten notwendigerweise das tatsächliche Risiko nicht realistisch wiedergeben würde. Weiterhin kann die Zahl der Zivilpersonen, die Opfer willkürlicher Gewalt geworden sind, nicht einmal annäherungsweise geschätzt werden, weil dazu belastbare Zahlen nicht vorhanden sind. Bei der Bewertung des Opferrisikos sind auch Misshandlungen beachtlich. Es ist aber anzunehmen, dass in den vom Bundesamt herangezogenen Statistiken nicht alle Einzelübergriffe enthalten sind, insbesondere nicht solche, bei denen das jeweilige Opfer überlebt hat. Zudem dürften Übergriffe der Islamisten nach der Erfahrung der letzten Jahre inzwischen nicht mehr eine solche Aufmerksamkeit in den Medien erfahren, dass über jeden Angriff berichtet wird. Auch sonst gibt es keine vollständige und zuverlässige Berichterstattung über Vorkommnisse (vgl. VG Regensburg, a.a.O.).

Das Fehlen von für die quantitative und qualitative Bewertung der Gefahrendichte geeigneten Grundlagen kann allerdings nicht zur Folge haben, dass die erforderliche Gefahrendichte allein wegen eines innerstaatlichen Konflikts ohne weiteres bejaht wird. Es muss dann auf die Einschätzung der Gefahrensituation durch Beobachter mit Erfahrung aus erster Hand abgestellt werden. Wenn in derartigen Berichten von "Verbesserungen" die Rede ist, muss dies in Relation zur früheren extremen Situation gesehen werden und bedeutet nicht ohne weiteres, dass keine wesentliche Gefahr für die Zivilbevölkerung mehr gegeben ist. Zahlreiche Berichte über Anschläge in jüngster Zeit sind oben genannt. Entgegen der Ansicht des VG Aachen (Urt. v. 13.04.2015 - 7 K 711/14.A -) und des VG Regensburg (Urt. v. 08.01.2015, a.a.O.) betreffen die berichteten Anschläge nicht nur sogenannte "Risikogruppen" wie z. B. Politiker, Journalisten oder Sicherheitskräfte. Schon der oben zitierte Bericht der FAZ vom 10.09.2015 zeigt, dass sich die Angriffe der Al-Shabaab systematisch und flächendeckend ausweiten und es sich eben nicht nur um Einzelfälle handelt, sondern um eine beachtliche Gefahr für Jedermann. Diese besteht im Übrigen auch dann, wenn der Anschlag zwar einer "Risikogruppe" gilt, aber Unbeteiligte in der Nähe jederzeit mitgetroffen werden können. So heißt es im EASO-Bericht vom August 2014, S. 80, bei mehreren großen und tödlichen Attacken von Al-Shabaab in Mogadischu "kommt es zu Folgeschlägen, die auf Hilfeleistende und Zuschauer zielen und noch mehr Menschen das Leben kosten".

Zudem kann der Kläger gefahrerhöhende individuelle Umstände geltend machen. Eine Erhöhung des Risikos ergibt sich zunächst aus seiner Situation als Rückkehrer nach einem langen Auslandsaufenthalt. Die Al-Shabaab sieht Rückkehrer aus westlichen Ländern als Spione der Regierungstruppen an (EASO, August 2014, S. 113 m. w. Nw.). Für den Kläger gewinnt dieser Umstand insofern noch an Bedeutung, als er der Minderheit der Madhiban/Midgan angehört, die als solche als verletzbar gilt, weil ihr die militärische Möglichkeiten zur Selbstverteidigung fehlen und sie im Allgemeinen nicht in den Genuss des Schutzes von Warlords oder Milizen der großen Clans kommt (BAMF, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, S. 3, 18).

Aufgrund dieser Umstände und der oben wiedergegebenen Verhältnisse in Somalia ist somit offensichtlich, dass für den Kläger bei einer Rückkehr in dieses Land die ernsthafte Gefahr besteht, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Der Miliz kommt als nichtstaatlicher Akteur die Möglichkeit zu, mit Verfolgungsmacht gegen missliebige Personen vorzugehen. Gleichzeitig gefährdet sie die Bevölkerung zusätzlich durch kriegerische Aktionen und Anschläge. Insoweit gehört diese Miliz zu den Akteuren, von denen Verfolgung ausgehen kann, was auch im Rahmen des subsidiären Schutzes zu beachten ist, § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG.

Es ist dem Kläger auch nicht möglich, sich dieser Gefahrenlage durch die Rückkehr in einen anderen Teil seines Heimatlandes zu entziehen (§§ 4 Abs. 3 i.V.m. 3 e Abs. 1 AsylG). Denn die Kampfhandlungen und Willkürmaßnahmen der Milizen sowie die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen somalischen Clans machen es generell schwierig bis unmöglich, Zufluchtsgebiete etwa in Somaliland oder Puntland zu erreichen. Zudem sind wegen der allgemeinen schwierigen Wirtschafts- und Versorgungslage die Überlebensmöglichkeiten von Personen, die nicht vor Ort im Rahmen familiärer Verbindungen unterstützt werden können, sehr in Frage gestellt. Lokale Rivalitäten stellen zusätzlich auch in vermeintlich sicheren Zufluchtsgebieten für Rückkehrer je nach Clanzugehörigkeit schwer einzuschätzende, möglicherweise aber lebensbedrohende Gefahren dar, zumal nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 01.12.2015 (S. 12 f.) derartige relativ sichere Zufluchtsgebiete ohnehin sehr schwierig zu bestimmen sind. Je nach Ausweichgrund und eigenen persönlichen Umständen sei in einem anderen Gebiet des Landes dann durchaus mit Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Bürgerrechts zu rechnen. Selbst in Somaliland oder Puntland herrsche zwar relative Bewegungsfreiheit, doch sei es schwierig bis unmöglich, diese Gebiete tatsächlich zu erreichen. Letztlich sind zudem die Aufnahmekapazitäten der Zufluchtsgebiete ohnehin sehr begrenzt, da mehr als eine Million Binnenvertriebene bereits in Flüchtlingslagern und Camps Unterschlupf gesucht haben. [...]