VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 12.07.2016 - 5 A 63/16 - asyl.net: M24150
https://www.asyl.net/rsdb/M24150
Leitsatz:

[Berufsausbildung als relevanter schutzwürdiger Belang im Rahmen der Befristungsentscheidung:]

Die konkrete Möglichkeit einer Berufsausbildung in Deutschland hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Anordnung und Bestimmung der Dauer eines Einreise und Aufenthaltsverbotes zu berücksichtigen, auch wenn sich diese erst nach der Ablehnung des Asylantrages ergeben hat.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einreise- und Aufenthaltsverbot, Befristung, Berufsausbildung, schutzwürdiger Belang
Normen: AufenthG § 11 Abs. 7, AufenthG § 11 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Hier liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, weil das Bundesamt bei der Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes die besonders positive und erfolgreiche berufliche Entwicklung der Klägerin als wesentlichen und zu berücksichtigenden Gesichtspunkt im Rahmen seiner Ermessensausübung nicht mit eingestellt hat. Im Rahmen ihrer Anhörung hat die Klägerin dem Bundesamt mitgeteilt, dass sie derzeit die Berufsbildende Schule II mit dem Fachbereich Altenpflege besuche. Bei der Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes am 9. Dezember 2015 hat das Bundesamt den Besuch der Schule als Integrationsprojekt für jugendliche Flüchtlinge - im vorliegenden Fall ermessensfehlerfrei - nicht als relevanten schutzwürdigen Belang berücksichtigt. Nach der Entscheidung des Bundesamtes hat die Klägerin allerdings verschiedene Praktika absolviert, so über sechs Tage bei einem Facharzt für Allgemeinmedizin, über 18 Tage bei der Tagesklinik für Implantologie und über mehrere Wochen bei dem Senioren- und Pflegeheim Mantra GmbH, das mit der Klägerin auch einen Vertrag über eine dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft, mit Beginn 1. August 2016, geschlossen hat. Die konkrete Möglichkeit einer Ausbildung der Klägerin und ihren Willen dazu hätte bei der Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes berücksichtigt werden müssen, da für die Klägerin somit grundsätzlich die Möglichkeit einer legalen Migration besteht, auch wenn die Erteilung einer Zustimmung im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach § 26 Abs. 2 Satz 3, Satz 4 der Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern / Beschäftigungsverordnung in der Fassung vom 24. Oktober 2015 (BeschV) - zumindest derzeit - problematisch sein könnte. Von der Klägerin dürfte aufgrund ihrer bisherigen erfolgreichen Bemühungen, insbesondere durch das Erlernen der deutschen Sprache und der Absolvierung verschiedener Praktika sowie dem Personalbedarf im Bereich der Pflegeberufe auch noch an einem späteren Zeitpunkt als dem 1. August 2016 ein Ausbildungsplatz erlangt werden können. Dafür spricht auch das Schreiben der Senioren- und Pflegeheim D. GmbH vom 14. Mai 2016, in dem die Zufriedenheit mit der Tätigkeit der Klägerin sowie ein Personalbedarf dargestellt werden.

Obwohl das Bundesamt diesen Umstand bei Erlass des Bescheides vom 9. Dezember 2015 nicht berücksichtigen konnte, ist die Entscheidung über die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes - im jetzigen maßgeblichen Zeitpunkt - ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig. Insoweit kommt es auch bei der Anordnung bzw. Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 2 oder Abs. 7 AufenthG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bzw. mündlichen Verhandlung an, so dass auch die der Anordnung oder Befristung zeitlich nachfolgenden Umstände zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 06.03.2014 - 1 C 5/13 -, juris Rn. 7, 13 für § 11 Abs. 1 AufenthG a.F.; VG Oldenburg, Urt. v. 31.03.2016 - 5 A 464/16 -, juris Rn. 16; offen gelassen VG Münster, Urt. v. 26.04.2016 - 4 K 2693/15.A -, juris Rn. 58). Dies stellt auch § 83 c AsylG noch einmal klar. § 11 Abs. 4 AufenthG läuft dennoch bereits deshalb nicht ins Leere, weil er die Aufhebung oder Reduzierung der Dauer bestandskräftiger (OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.06.2016 - 11 LA 261/15 -, juris Rn. 13, 14) Einreise- und Aufenthaltsverbote regelt, für den Fall, dass neue (vgl. hierzu BeckOK Ausländerrecht, Stand 01.02.2016, Kommentar, AufenthG § 11 Rn. 36) Umstände eingetreten sind. Nach Bestandskraft der Entscheidungen nach § 11 Abs. 2 und Abs. 7 AufenthG ist für einen geltend gemachten Anspruch auf Aufhebung des Einreise- u. Aufenthaltsverbotes oder Verkürzung der Sperrfrist nach § 11 Abs. 4 AufenthG die Ausländerbehörde zuständig, § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, Kommentar, AufenthG § 11 Rn. 87). [...]