SG Landshut

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Zitieren als:
SG Landshut, Beschluss vom 17.08.2016 - S 11 AY 65/16 ER (= ASYLMAGAZIN 9/2016, S. 324) - asyl.net: M24177
https://www.asyl.net/rsdb/M24177
Leitsatz:

Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bleibt es selbst überlassen, wie sie Bargeldleistungen zur Deckung ihres soziokulturellen Existenzminimums im Einzelfall nutzen. Da bei der Berechnung des allgemeinen Gesamtbedarfs zudem bereits berücksichtigt wurde, dass nicht jede Person den gleichen Bedarf hat, können einzelne regelbedarfsrelevante Positionen nicht mit der Begründung abgezogen werden, dass der Bedarf allgemein gedeckt sei (hier Kürzung der Kommunikationspauschale wegen WLAN-Zugang in der Erstaufnahmeeinrichtung). Schließlich entbehrt die Vermutung, dass jeglicher Kommunikationsbedarf durch einen WLAN-Zugang abgedeckt sei, jeder empirischen Grundlage.

Schlagwörter: Erstaufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft, Aufnahmeeinrichtung, Internet, WLAN-Zugang, Sozialleistungen, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Kürzung, Leistungskürzung, Sachleistung, Sachleistungen, Geldleistungen, Barleistungen, WLAN, Menschenwürde, Existenzminimum, soziokulturelles Existenzminimum, Taschengeld,
Normen: AsylbLG § 1 Nr. 1, AsylbLG § 3 Abs. 1 S. 5, AsylbLG § 3 Abs. 1 S. 8, AsylbLG § 3 Abs. 6,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat Anspruch auf Bewilligung von höheren Geldleistungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 5 und 8 AsylbLG in der Fassung des Gesetzes vom 11. März 2016.

Ein Abzug der Kosten für Nachrichtenübermittlung ist nicht in Anwendung von § 3 Abs. 1 S. 6 AsylbLG vorzunehmen.

Die Zusammensetzung und die Höhe des notwendigen persönlichen Bedarfs und somit des Bargeldbedarfs bestimmt sich wie im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchstichprobe (EVS) von 2008.

In der EVS 2008 hat der Gesetzgeber zunächst definiert, was zum soziokulturellen Existenzminimum gehören soll und hat sodann durch ein Statistikmodell ermittelt, welche Ausgaben Haushalte für diese relevanten Verbrauchsausgaben hatten. Bei der Ermittlung der Regelbedarfe wurde ferner nicht über die individuelle Verwendung des monatlichen Budgets entschieden. Dies sollte nicht vorweg genommen werden. "Die Logik des Statistikmodells liegt gerade darin, dass in der Realität nicht exakt die für die einzelnen regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben berücksichtigten Beträge anfallen, sondern die tatsächlichen Verbrauchsausgaben im Einzelfall davon abweichen. Entscheidend ist deshalb allein, dass der Gesamtbetrag des Budgets für die Bestreitung von Verbrauchsausgaben ausreicht, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten" (Drucksache 17/3404 vom 26.10.2010 S. 51).

Der Gesetzgeber geht folglich selbst davon aus, dass es nicht darauf ankommt, ob die einzelnen zugrunde gelegten Positionen konkret ausreichend sind, um den jeweiligen Bedarf zu decken, sondern ob der Gesamtbetrag insgesamt zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums ausreicht. Dabei wurde bereits berücksichtigt, dass nicht jede Person in jedem Monat alle einzelnen berücksichtigten Verbrauchsausgaben hat. Unter Achtung dieser Grundlagen ist es ausgeschlossen, einzelne Ausgaben regelbedarfsrelevanter Positionen mit der Begründung herauszurechnen, dass nicht jeder Leistungsempfänger jeden Bedarf gleichzeitig habe, nachdem dieser Ansatz bereits im Rahmen der Bemessung herangezogen wurde.

Hinzu kommt, nachdem bei der Bemessung bereits zugrunde gelegt wurde, dass es nur auf den Gesamtbetrag ankomme, dass vorliegend es den Leistungsbeziehern überlassen bleiben soll, wie sie ihr soziokulturelles Existenzminimum ausfüllen. Es obliegt diesen zu entscheiden, ob das Internet genutzt werden soll oder z.B. Briefe mit der Post versandt werden. Zur Bestimmung der Kürzungsbeträge kann zur Orientierung auf die Einzelbeträge der Abteilungen der EVS für die jeweilige Regelbedarfsstufe zurückgegriffen werden. Diese Werte stellen aber keine (konkreten) Berechnungspositionen dar, anhand derer die rechtmäßige Höhe des verbliebenen Teils der Geldleistungen nach 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG exakt bestimmt werden könnte. Sie können wegen des Pauschalcharakters des Regelsatzes bzw. des Regelbedarfes nur als Orientierungshilfe dienen. Durch die Gewährung auch nur eines Teils der Geldleistungen muss eine gewisse Disponibilität gewährleistet sein, dass der Leistungsberechtigte durch die eigenverantwortliche Verwendung der pauschalierten Leistung einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich ausgleichen kann (vgl. Frerichs in: Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 166 m.w.N.).

Schließlich entbehrt die Vermutung, dass alle übrigen Positionen der Abt. 8 durch die Bereitstellung von WLAN abgedeckt seien, jeder empirischen Grundlage. Physische Briefe mit Unterschriften oder Unterlagen können nicht elektronisch versandt werden. Nicht jeder hat überhaupt ein WLAN-fähiges Gerät. Schließlich müsste auch der Anrufempfänger ein solches besitzen und der dortige Internetzugang gesichert sein. Davon kann (nicht nur in Krisengebieten) nicht ausgegangen werden. Auch können nicht, wie behauptet, PC-Faxe ohne weitere Zusatzkosten nur durch die Bereitstellung von WLAN-Zugängen versandt werden.

Berücksichtigt man abschließend, dass die Erhebung in 2008 Ausgaben von Haushalten ermittelte, deren Mitglieder - anders als Leistungsbezieher nach dem AsylbLG - Internetdienstleistungen durch längerfristige Verträge günstiger erwerben können, wird der vorgenommene konkrete Abzug noch fraglicher.

Konkrete Ermittlungen zum typischen Bedarf von Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG hat der Gesetzgeber unterlassen und die EVS 2008 herangezogen. Nachdem dort außerdem Mobiltelefonie noch außen vor blieb, beruhen die damaligen Erhebungen auf Festnetztelefonie. Die Heranziehung geht daher schon bei der Berechnung des Barbedarfs eher zu Lasten von Leistungsbeziehern nach dem AsyIbLG, nachdem diese regelmäßig nicht über einen Festnetzzugang verfügen.

Das Gericht hält es gemäß den gesetzlichen Vorgaben (§ 3 Abs. 1 S. 6 AsylbLG) für grundsätzlich möglich, dass Positionen, die den notwendigen persönlichen Bedarf betreffen, durch Sachleistungen gewährt werden. Wenn diese sodann auf den pauschal berechneten Geldbetrag angerechnet werden sollen, muss, zunächst auch sichergestellt werden, ob die Sachleistung zumindest in Höhe der in der EVS 2008 zugrunde gelegten Höhe in Anspruch genommen wurde. Nur dann wäre eine Anrechnung in der dort angesetzten Höhe (inkl. der Fortschreibung) auf den notwendigen persönlichen Bedarf denkbar. Die komplette Herausnahme der Ausgaben für die Abt. 8 alleine wegen der Bereitstellung von WLAN ist ausgeschlossen. [...]