OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 19.08.2016 - 8 ME 87/16 (ASYLMAGAZIN 12/2016, S. 424) - asyl.net: M24227
https://www.asyl.net/rsdb/M24227
Leitsatz:

Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG:

1. Es ist nicht gewährleistet, dass der unter einer Nierenerkrankung leidende Antragsteller bei Rückkehr nach Serbien die erforderliche Dialyse und begleitende medikamentöse Behandlung tatsächlich erlangen wird.

2. Die Zusicherung der Ausländerbehörde, sich im Rahmen einer Abschiebung um eine Dialysebehandlung zu bemühen, genügt nicht, um eine Gesundheitsgefahr bei Rückkehr zu verneinen.

3. Nach Rechtsprechung des BVerwG muss ausgeschlossen sein, dass "alsbald" nach der Rückkehr der betroffenen Person eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung droht. Nach Rechtsprechung des OVG Niedersachsen muss für etwa zwei Jahre nach Ausreise gewährleistet sein, dass die Gefahr nicht eintritt (hier nicht entscheidungserheblich, zitiert Beschluss vom 23.3.2009, asyl.net: M15402).

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Serbien, Dialyse, Änderung der Rechtslage, Nierenerkrankung, medizinische Versorgung, Zusicherung, alsbald, Abschiebungsverbot, erhebliche individuelle Gefahr, interne Gesundheitsalternative,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber nun in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) mit Wirkung vom 17. März 2016 geänderten Fassung nachgezeichnet. Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. zur Intention des Gesetzgebers: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, BT-Drs. 18/7538, S. 18 f.). Eine Änderung der vom Bundesverwaltungsgericht und vom Senat bisher gestellten Anforderungen an das Vorliegen einer krankheitsbedingten erheblichen konkreten Gefahr ist mit dieser Neuregelung erkennbar nicht verbunden. [...] Nach dem vom Auswärtigen Amt erstellten Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG (Stand: November 2015), dort S. 17, besteht in Serbien die Möglichkeit einer Dialysebehandlung. Voraussetzung ist aber die Verfügbarkeit eines Platzes. Gerade insoweit bestehen nach dem ergänzenden Einzelbericht des Vertrauensarztes der Deutschen Botschaft in Belgrad, F. [...] aber Schwierigkeiten: Im öffentlichen Gesundheitswesen sind die nephrologischen Abteilungen an Kliniken überlastet und die Wartelisten lang. Ein Dialyseplatz in einem Krankenhaus ist nur schwer zu bekommen. Die meisten Patienten gehen daher zur ambulanten Dialyse. Die ambulanten Dialysezentren arbeiten 24 Stunden ohne Pause. Die eingesetzten Apparate sind überlastet, so dass sie oft Störungen aufweisen. Es kommt auch gelegentlich zu Mängeln an medizinischem Verbrauchsmaterial und an Ersatzteilen für Apparate. Dann wird die Dialysebehandlung aufgeschoben, so dass die Patienten gezwungen sind, in ein privates Dialysezentrum zu gehen und die Dialyse auf eigene Kosten durchzuführen. Es besteht zwar die gesetzliche Möglichkeit, dass das Geld von der staatlichen Krankenversicherung erstattet wird. Aber in Wirklichkeit lässt sich dies nur schwer realisieren. Im Übrigen benötigt der Antragsteller, um die Dialysebehandlung auf Kosten der staatlichen Krankenversicherung realisieren zu können, einen Krankenschein, den er erst nach einer entsprechenden Registrierung (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 15 f.) in seiner Heimatgemeinde erhalten kann.

Nach dem dargestellten Maßstab kann folglich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Serbien nur ausgeschlossen werden, wenn gewährleistet ist, dass er dort die erforderliche Dialyse und die begleitende medikamentöse Behandlung tatsächlich erlangen wird (so zutreffend auch die Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge v. [...]).

An dieser erforderlichen Gewährleistung fehlt es derzeit. Der Antragsgegner hat zwar im Schriftsatz vom [...] erklärt, "im Fall einer Abschiebung des Klägers würde seitens der hiesigen Ausländerbehörde dafür Sorge getragen werden, dass in Serbien ein Dialyseplatz für den Kläger unverzüglich zur Verfügung steht". Aus seinem während des laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erlassenen Bescheid vom [...] ergibt sich indes, dass die Frage, "ob die Dialysemöglichkeiten tatsächlich zur Verfügung stehen, ... abschließend erst geklärt werden (kann), wenn eine Abschiebung terminiert ist. Erst dann ist das Referat für die Durchführung des Rückübernahmeabkommens im serbischen Innenministerium zu kontaktieren, das hierfür zuständig ist. Sollte sich wider Erwarten herausstellen, dass eine Dialysebehandlung nicht möglich ist, würde ein Abschiebungshindernis vorliegen. Die Abschiebung würde in diesem Fall storniert werden bzw. erst dann durchgeführt werden, wenn ein Dialyseplatz tatsächlich zur Verfügung steht." Weiter hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom [...] eingeräumt, "dass seitens der Ausländerbehörde keine 100%-ige Garantie dafür gegeben werden kann, dass langfristig eine ununterbrochene Dialysebehandlung durchgeführt wird".

Hiernach kann der Antragsgegner derzeit nicht gewährleisten, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in sein Heimatland dort die erforderliche Dialysebehandlung erlangen wird. Die bloße Ankündigung des Antragsgegners, sich im Rahmen einer durchzuführenden Abschiebung um einen Dialyseplatz zu bemühen und die Abschiebung nur zu vollziehen, wenn ein solcher tatsächlich zu Verfügung steht, genügt nach dem eingangs dargestellten Maßstab ersichtlich nicht, um eine erhebliche konkrete Gefahr und das damit verbundene Vorliegen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG derzeit verneinen zu können. Im Übrigen und ohne, dass es entscheidungserheblich hierauf ankommt, hat der Antragsgegner auch keine nachvollziehbaren Gründe dafür aufgezeigt, dass es Umstände gibt, die es ihm unmöglich machen würden, sich bereits jetzt an die serbischen Behörden zu wenden und den erforderlichen Dialyseplatz zu organisieren.

Fehlt es schon an der grundlegenden Gewährleistung der erforderlichen Dialysebehandlung kann der Senat hier dahinstehen lassen, für welche zeitliche Dauer der Antragsgegner diese Gewährleistung geben müsste, um eine erhebliche konkrete Gefahr abzuwenden. Der Senat weist daher nur klarstellend darauf hin, dass sich die Gewährleistung zur Vermeidung des zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nicht nur auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Abschiebevorgang beschränken darf (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.7.2003 - 10 A 10168/03 -, NVwZ Beilage 2004, 11, 13). Wie dargestellt muss ausgeschlossen sein, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung "alsbald" nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.2006, a.a.O., S. 36 mit weiteren Nachweisen). Dies setzt zuvor nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.4.2012 - A 11 S 3392/11 -, juris Rn. 19; Bayerischer VGH, Urt. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30394 -, juris Rn. 30). Andererseits ist mit dem Begriff "alsbald" aber auch kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.1998 - BVerwG 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973, 974). Nach der Rechtsprechung des Senats wird sich jedenfalls dann, wenn sich eine Gewährleistung auf einen Zeitraum von zwei Jahren nach Ausreise erstreckt, eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG regelmäßig nicht mehr feststellen lassen. Denn es kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, der Ausländer sei auch dann unverändert auf eine Behandlung angewiesen, aber nicht in der Lage, eventuell benötigte Medikamente aus eigenen Mitteln, von dritter Seite, insbesondere durch Zuwendungen von Verwandten, oder im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu erhalten (Senatsbeschl. v. 19.7.2012 - 8 LA 44/12 -, Umdruck, S. 6 f., V.n.b.; v. 21.12.2009 - 8 LA 219/09 -, juris Rn. 6; vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 23.3.2009 - 10 LA 315/08 -, AuAS 2009, 160 f. mit weiteren Nachweisen). [...]